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Sexuelle Aufklärung 2.0

(explizit.net) YouTube löst Bravo ab – und die Eltern

Was früher der Zeitschrift „Bravo“ zugeteilt worden war, hofften Eltern am Ende der Postmoderne selbst zu übernehmen: Die sexuelle Aufklärung ihrer Kinder. Entgegen dem hauptsächlich massenmedial verbreiteten Vorbehalt einer pädagogischen Überforderung sind viele Eltern sehr wohl in der Lage, ihre Kinder sexuell aufzuklären. Doch oft kommen sie zu spät, denn bevor Mutter oder Vater anfangen, ihr Kind als reif genug einzuschätzen, hat dieses längst mehr über die Medien gefunden, als die Eltern ihm vielleicht erzählen wollten. Es macht sich rapide auf den eigenen Weg der Aufklärung und empfindet die „verspätet“ kommenden Eltern beim Erledigen dieser Aufgabe nur noch als „peinlich“ oder „süß“. Dabei spielen Onlineinhalte der Zeitschrift Bravo bei den meisten Jugendlichen kaum noch eine Rolle, denn längst haben Videoportale mit ihrem breiten Portfolio die Überholspur entdeckt und ziehen an den Printmedien vorbei. Um Rat gesucht wird in speziellen Foren oder in Facebook, aufgeklärt bei YouTube. Eine Entwicklung, der man sich stellen muss, denn sie ist nicht ohne Folgen.

(explizit.net) YouTube löst Bravo ab – und die Eltern

Was früher der Zeitschrift „Bravo“ zugeteilt worden war, hofften Eltern am Ende der Postmoderne selbst zu übernehmen: Die sexuelle Aufklärung ihrer Kinder. Entgegen dem hauptsächlich massenmedial verbreiteten Vorbehalt einer pädagogischen Überforderung sind viele Eltern sehr wohl in der Lage, ihre Kinder sexuell aufzuklären. Doch oft kommen sie zu spät, denn bevor Mutter oder Vater anfangen, ihr Kind als reif genug einzuschätzen, hat dieses längst mehr über die Medien gefunden, als die Eltern ihm vielleicht erzählen wollten. Es macht sich rapide auf den eigenen Weg der Aufklärung und empfindet die „verspätet“ kommenden Eltern beim Erledigen dieser Aufgabe nur noch als „peinlich“ oder „süß“. Dabei spielen Onlineinhalte der Zeitschrift Bravo bei den meisten Jugendlichen kaum noch eine Rolle, denn längst haben Videoportale mit ihrem breiten Portfolio die Überholspur entdeckt und ziehen an den Printmedien vorbei. Um Rat gesucht wird in speziellen Foren oder in Facebook, aufgeklärt bei YouTube. Eine Entwicklung, der man sich stellen muss, denn sie ist nicht ohne Folgen.

Im Wandel der Zeit

Von Sigmund Freud über Oswalt Kolle bis hin zur Bravo, die im Freundeskreis herumgereicht worden ist, waren Eltern entweder zum Störfaktor verdammt oder wurden im Nachhinein liebevoll als „unfähig“ diskreditiert. Was sie nicht konnten oder wollten, war die sexuelle Aufklärung der Kinder. Heute sieht die Welt der Jugendlichen differenzierter aus: Die Bravo existiert immer noch, sowohl gedruckte wie auch Online-Inhalte gehören zum Portfolio der Zeitschrift. Jedoch werden diese längst durch die mediale Übermacht der Videoportale und ihrer sozialen Vernetzung überrollt.

Das liegt nicht daran, dass Bravo die Zeit verschlafen hat oder keinen Online-Auftritt ihr Eigen nennt. Ganz im Gegenteil, die Zeitschrift tritt mit einem großen Portfolio auf, wie früher aus der Druckversion bekannt. Auch das berühmte Dr. Sommer-Team steht dort den Jugendlichen zur Verfügung; doch sieht man von den Themen ab, die anscheinend nie aus der Mode fallen - wir erinnern uns: „Wird man durch Küssen schwanger?“ „Welcher Star ist nicht mehr Single?“ oder warum Justin Bieber ein neues Tattoo hat - fällt eines auf: Hier wird immer noch hauptsächlich mit Texten gearbeitet, Skizzen und Grafiken unterstreichen gegebenenfalls einige Artikel, auch ein paar Videoclips sind auffindbar.

Die damals häufig von gesellschaftlicher Zensur geplagte Bravo liefert viele Inhalte zum Thema Beziehung, Liebe und Verantwortung, doch anscheinend sind die Videokanäle und Selfmade-Produktionen der Social-Web Portale attraktiver. Sie treffen wohl mehr die Situation der Jugendlichen, denn diese kommen früher in die Pubertät, zudem sind sie sehr früh in der Lage, das Internet als Konsummedium zu nutzen.

Höherer Impact der Informationen über Sexualität

YouTube ist hier das meist genutzte Portal. Hier werden die richtig „heißen“ Themen diskutiert und in Videos anschaulich und leicht verständlich erklärt. Von Blümchensex über Spielzeuge beim Geschlechtsverkehr bis hin zu Ratschlägen für multiple Orgasmen und SM-Praktiken wird dort alles erläutert. Nicht erst seit „Shades Of Grey“ wird die Jugend mit einer anderen Form der Sexualität und des sexuellen Umgangs konfrontiert; sie ist seit der Einführung des Breitband-Internets in der Lage, ohne große Hürden an allerhand Videomaterial heran zu kommen. Hier war wieder der technische Fortschritt und nicht der Zeitgeist die Triebfeder.

Wandel der sexuellen Aufklärung, nicht Befreiung

Nicht zuletzt die im September 2013 stattgefundenen Fachtagungen zum Thema „Liebe, Sex, Freundschaft und digitale Medien“ zeigen die starke Wechselwirkung zwischen den Beziehungen und der Sexualität von Jugendlichen mit den medialen Informationsangeboten. Die intensive Nutzung der sozialen Netzwerke und der mobilen Kommunikationsmittel gehört zum Alltag der meisten Kinder und Jugendlichen, dort findet ihre Lebenswirklichkeit statt. Facebook und Whatsapp sind Orte, über die Jugendliche ihre Beziehungen pflegen, dafür sorgen Beziehungsstatus und die öffentliche Darstellung ihres privaten Lebens.

Befreit ist die Jugend dennoch nicht: bereits im frühen Alter werden Jugendliche, abseits von YouTube, mit Pornografie konfrontiert; dabei ist nicht die erotische Konversation gemeint, sondern verzerrte Rollenbilder und falsche sexuelle Erwartungen.

Die Auswirkungen von Pornografie bei Kindern und Jugendlichen ist noch wenig untersucht, aber bereits ab dem 13 Lebensjahr lassen sich entwicklungspsychologische Besonderheiten feststellen: Männliche Standfestigkeit wird als Normalzustand wahrgenommen und eine der Frau gegenüber herabwürdigende Sprache wird nicht als Verletzung des Persönlichkeitsrechts empfunden. Denn der jugendliche Konsum von Pornografie verändert den Blick auf die Frau: Die männlichen Jugendlichen sehen Analsex als selbstverständlich an, obwohl die Mehrzahl der jungen Frauen angibt, es gar nicht als angenehm zu empfinden. Gewaltvoller Oralsex wird als normal und von der Frau erwünscht angesehen, denn in den pornografischen Inhalten erleben es die Jugendlichen nicht anders. Die Stimulation und Beeinflussung geht auch über die Musikvideos und andere Kanäle. Reizwäsche - die eigentlich für sexuelle Situationen gedacht ist - wird von 13-jährigen Kindern in Foren diskutiert und in den Blick genommen, denn sie sehen im Netz bei ihren kaum älteren Stars diese Form der Selbstdarstellung und wachsen mit der irreführenden Auffassung auf, so mehr von den „Jungs“ wahrgenommen, oder wertgeschätzt zu werden. Denn Sex sells und „sexy sein“ ist „in“. Ob Sängerin Kesha, oder Miley Cyrus, alle laufen sie in diesem Duktus der Konsumindustrie.

Die Romantik wird vertrieben

Der Hang zur Romantik, den auch männliche Jugendliche laut Studien natürlicherweise haben, wird durch den Konsum von Pornographie abgewürgt, ebenso mangelt es einfach an Privatsphäre in der Sexualität der Jugendlichen, denn das Versenden von Sexbildern des eigenen Partners ist nur eines der großen Probleme. Schlussendlich ist die Mehrheit der Jugend entwicklungspsychologisch zu früh mit Inhalten konfrontiert, deren Prägung sie schlecht auf die Pubertät und das Erwachsenalter vorbereiten.

Die Rolle der Social Media

Jedoch sei vor einer zu schnellen Verurteilung der Social Media-Kanäle gewarnt. Jugendliche haben meist höhere Wert- und Moralvorstellungen in Bezug auf Partnerschaft und Liebe, als viele Erwachsene es ihnen vielleicht zutrauen, auch wenn sie sprachlich provozieren oder ihren Beziehungsstatus in Facebook Co öffentlich diskutieren. Sie sind nicht anders als die Jugend vor 30 Jahren. Viele sehnen sich nach einer wirklichen Partnerschaft und schlittern trotzdem unbewusst in diverse mediale Fallen. Und auch wenn YouTube anfängt, die sexuelle Aufklärung zu „übernehmen“, darf man nicht die Eigencharakteristika von Social Media unterschätzen:

Web 2.0 bedeutet auch „user generated content“; also von Jugendlichen für Jugendliche gestaltete Beiträge. Viele der Kanäle bei YouTube, wie z.B. 61MinutenSex sind inhaltlich und sprachlich lebendig gemacht und auf die Jugendlichen abgestimmt. Es wird verantwortungsvoll und ernst mit den Themen umgegangen, die Realität der Jugendlichen wird wahrgenommen, ob man sie nun moralisch für schlecht halten will oder nicht. Die Inhalte sind weder kitschig noch albern, für Erwachsene vielleicht befremdlich, für Jugendliche jedoch alltäglich.

Diese Inhalte spiegeln anscheinend die Anfragen der Jugend wider und reagieren auf den Wunsch, sich selbst zu informieren. Die Jugendlichen fühlen sich davon angesprochen, denn dort werden sie mit ihren Anliegen ernst genommen.

Das weite Netz bietet keine Schutzzonen

Die Gefahren liegen weiter draußen: Im unkontrollierten Netz sind die Kinder und Jugendlichen ohne mediale Aufklärung schutzlos den Kräften der Konsum- und Pornoindustrie ausgeliefert. Filtersysteme sind hier fast wirkungslos, was hier zählt ist Aufklärung, und zwar bei Eltern und Jugend. Dabei kann Kirche vielseitig helfen: Sie müsste verstärkt im Zuge ihres Aufsprungs in das Web 2.0-Zeitalter nicht nur die Vernetzung und Arbeitsmöglichkeiten erkunden, sondern auch Aufklärung in ihren ihr möglichen Wirkungskreisen leisten. In der Katechese muss verstärkt ein Bild des Menschen vermittelt werden, das sich diametral von dem unterscheidet, welches durch die Konsumgüter- oder Pornoindustrie vermittelt wird. Religion fängt auch mit dem Menschenbild an; wird dieses durch Mediennutzung verzerrt, wird es sehr viel schwieriger, religiöse Inhalte zu vermitteln. Eine Entfremdung schleicht sich ein.

Die Institutionen müssen sich mehr um das Netz und seine Auswirkungen kümmern. Denn Pornografie darf nicht gesellschaftsfähig werden; die Social Media-Kanäle sind, was sie sind und können mit ihrer Nutzung einen Teil dazu oder dagegen beitragen.

<emphasize>Thomas Porwol</emphasize>



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