Mit dem Begriff „Scharia“ verbindet sich im Westen die Vorstellung, dass eine Gesellschaft nach einem im 7. Jahrhundert entstandenen Gesetzeswerk geordnet und zugleich der religiösen Autorität unterworfen werden soll. Wenn dem so wäre, dann könnte es mit Muslimen nur schwer einen Dialog über die Ordnung der Gesellschaft geben, denn, so wird befürchtet, werden diese jeweils auf eine Rechtsnorm verweisen, die unmittelbar von Gott erlassen und damit nicht diskutierbar ist. Die Entwicklung in den arabischen Staaten nach der Arabellion scheint diesem Verständnis Recht zu geben. Doch ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die islamischen Staaten toleranter waren als die christlichen.
Juden fanden in islamischen Ländern Zuflucht
Während der Judenverfolgung in Nazi-Deutschland lehrten viele Professoren in Istanbul. Bereits mit der Vertreibung der Juden aus Spanien unter Philipp II. im 16. Jahrhundert kamen viele Juden ins Osmanische Reich und konnten dort leben. Noch vor der Türkenzeit, als die Muslime einen großen Teil Spaniens beherrschten, lernte das Abendland von diesen. Ohne die Vermittlung der griechischen Philosophie durch die arabischen Gelehrten in Spanien wäre der intellektuelle Aufschwung des Hochmittelalters nicht möglich gewesen. Was ermöglichte es Arabern wie Türken, auf der Basis des muslimischen Gesellschaftsverständnisses Konkurrenten, sowohl im Religiösen wie im Intellektuellen, Aufnahme zu gewähren? Es sind neben der Gastfreundschaft noch andere Prinzipien.
Scharia heißt, die Gesellschaft nach dem Willen Gottes gestalten
Aus der Grundintention des Islam, die Gebote Gottes zu erfüllen, leitet sich das Verständnis für die Gestaltung der Gesellschaft her. Sie soll nach den von Gott vorgegebenen Prinzipien geordnet werden. Es ist nicht eine vom Menschen entworfene Gesellschaft, sondern eine, in der das Gesetz Gottes Vorrang hat. „Das Verbotene verbieten und das Erlaubte erlauben“, ist das leitende Prinzip. Die Scharia ist kein Rechtsbuch, so wie z.B. das Buch Levitikus im Alten Testament, sondern das Ableiten von Rechtsprinzipien aus dem Koran und dem Verhalten des Propheten. Deshalb konnten sich verschiedene Rechtsschulen entwickeln, so die der
<p>,</p> <p> <p>,</p> <p> <p>und</p> <p> <p> <p>.</p> <p>Entscheidend ist, dass der Koran Religionsfreiheit fordert. In der 2. Sure heißt es, dass es keinen Zwang in der Religion gibt (Vers 256). Der Koran als „Ruf zur Bekehrung“ setzt Freiheit voraus. Denn er erwartet von den Menschen, dass sie sich tatsächlich bekehren können. Der Islam ging zwar von Arabien aus, ist aber universalistisch angelegt, nämlich alle Menschen um Gott zu versammeln. Der Vergleich mit dem Judentum, das ja auch international verbreitet ist, zeigt den Unterschied. Eine bestimmte Herkunft ist nicht Voraussetzung, Muslim zu werden. Der Koran hat zwar Arabisch als Ursprache, wurde aber schon bald ins Persische und andere Sprachen übersetzt.</p> <h2>Die Frage der Gewalt im Namen des Islam</h2> <p> Nun erscheint der Islam heute als eine intolerante Herrschaftsform. In vielen mehrheitlich muslimischen Ländern gibt es Anschläge auf Kirchen und Christen. Demokratie und Rechtstaatlichkeit finden sich hier kaum. Das kann aber nicht aus der Scharia abgeleitet werden. Anschläge, bei denen Unschuldige getötet werden, sind nach Aussage vieler Islamgelehrter mit dem Islam nicht vereinbar. Dass es radikale Gruppierungen gibt, ist nicht nur ein Phänomen dieser Religion. In Indien entwickelt sich unter der Führungsschicht der Brahmanen ein radikaler Hinduismus, der erreichen will, dass nur derjenige als Inder gelten kann, der Hindu ist. Dass es christliche Fundamentalisten gibt und in Uganda sogar eine christliche Sekte Kinder für ihre menschenverachtende „Lord's Resistance Army“ rekrutiert, legt Zurückhaltung in der Beurteilung der islamischen Gewaltbereitschaft nahe. Da der Islam wie die gesamte Christenheit in eine Vielzahl von Gruppierungen und Konfessionen zerfällt, können diese Gruppierungen nicht für den Islam insgesamt stehen. Und die militanten Bewegungen, die wir heute kennen, sind eine typisch moderne Erscheinung.</p> <h2>Scharia als Grundlage für eine Verfassung</h2> <p>Für Westeuropäer leitet sich eine Verfassung aus der Erklärung der Menschenrechte ab. Es gilt als selbstverständlich, dass der moderne Verfassungsstaat aus der Französischen Revolution entsprungen ist. Das ist aber nicht so einfach gewesen. Die Französische Revolution ist nach nur vier Jahren unter den Jakobinern in eine Schreckensherrschaft mit einem Krieg gegen die Vendée umgeschlagen. Die Guillotine steht für diese Phase, die erst langsam in einen Rechtsstaat überführt wurde.</p> <p>Wenn islamische Länder sich um eine Verfassung bemühen, dann müssen sie nicht selbstverständlich auf die Ergebnisse der französischen Revolution zurückgreifen, sondern können die Scharia als Basis nehmen. Es gibt dabei nur einen wichtigen Unterschied:</p> <p>Staaten können die Prinzipien der Scharia zugrunde legen. Das war in der früheren Verfassung Ägyptens der Fall. Die Muslimbrüder wollen die Scharia wörtlich ins Leben umsetzen, also Verfügungen aus einer anderen Zeit. Dann sollen auch Gesetze gelten wie das, dass einem Dieb die Hand abgehackt wird (Koran 5:38).</p> <h2>Kooperation mit den politischen Kräften</h2> <p>Die Muslimbrüder in Ägypten gelten als eine sich auf den Islam beziehende politische Sozial-Bewegung. Erstaunlich ist aber, dass sie bei der katholischen Kirche angefragt haben, über die Prinzipien einer gerechten Gesellschaftsordnung ins Gespräch zu kommen. Da die katholische Soziallehre aus philosophischen Prinzipien, so aus der Entfaltung der Idee der Gerechtigkeit, entwickelt wurde, besteht ein breites Feld für den Dialog. Sowohl die Kirchen wie die EU sind viel mehr gefordert. Gerade im Feld der Sozialethik eröffnet der Dialog neue Möglichkeiten.</p> <p><emphasize>Der Beitrag entstand aus einem Gespräch mit Prof. Dr. Felix Körner S.J., Islamwissenschaftler an der Päpstlichen Universität Gregoriana und Mitglied der vatikanischen Dialog-Kommission.</emphasize> <p><emphasize>Eckhard Bieger S.J.</emphasize>
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