(explizit.net) Dies sei ein Anschlag auf die Menschenwürde, meinte Präsident Obama am Samstag zum Angriff mit Chemiewaffen durch das Regime Bashshar al-Asads gegen Syriens Bevölkerung. Das gefährde auch Amerikas nationale Sicherheit, erklärte er im Weißen Haus. Über eintausend Menschen seien ermordet worden, darunter hunderte Kinder. Überdies würden Amerikas Freunde und Partner an der Grenze bedroht wie in Israel, Jordanien, Libanon und Irak. Dies könne zum weiteren Einsatz von C-Waffen eskalieren, auch in den Händen von Terroristen, die damit Amerikaner angreifen könnten. Dem müsse nun eine limitierte Militäraktion gegen Regimeziele folgen, um dessen C-Waffenarsenal zu vermindern.
Kernfragen
Freilich hat Barack H. Obama diesmal für den Schlag, der also jederzeit erfolgen kann, nur etwa eine Hälfte der Bevölkerung hinter sich. Amerikaner, die zuvor noch weit deutlicher hinter den Kriegen in Afghanistan und Irak standen, sind kriegsmüde geworden. Deshalb wird der Präsident versuchen, sich durch ein Votum im Kongreß abzusichern. Das kann sich bis nach dem 9. September hinziehen, sofern es denn erteilt wird. Daher forderte Obama jedes Kongreßmitglied heraus: Welche Botschaft geben wir, wenn ein Diktator straflos hunderte Kinder vergasen kann? Worin liegt der Sinn des Weltsystems, wenn das C-Waffenverbot nicht durchgesetzt wird? Welches Signal erhalten Regierungen oder Terroristen, die A- oder B-Waffen anstreben oder Armeen, die (wie wohl auch in Syrien einen) Genozid realisieren? „Wir können nicht in einer Welt unsere Kinder aufziehen, “ führte Obama auch aus, „in der wir nicht zu den eigenen Worten, den selbst unterzeichneten Verträgen und den Werten stehen, die uns definieren.“
Eine parlamentarische Konsensbildung scheiterte in London, obwohl Premier David Cameron selbst positiv hinter dieser Abstimmung stand. Zudem muß Obama ohne die Ergebnisse der UN-Inspektoren und die Zustimmung im Sicherheitsrat handeln, wo er sicher durch Moskau und Bejing blockiert werden würde. Beide Machtzentren paralysieren die Weltgremien, tragen eine Hauptverantwortung für Syriens Bürgerkrieg und wollen Präsident al-Asad für sein böses Morden keineswegs zur Verantwortung ziehen.
Halbheiten
Wie sehen Amerikas Aussichten auf Erfolg aus? Gar nicht gut. Denn Obamas Aktion ist so angelegt, daß keine Bodentruppen eingesetzt werden sollen. Diese wären für eine Sicherung der C-Waffendepots und des Landes unerläßlich. Amerikanern erklärte er, man könne den unterschwelligen Konflikt Syriens nicht mit dem amerikanischen Militär lösen. In dieser Region gebe es alte sektiererische Differenzen und die Hoffnungen des Arabischen Frühlings hätten Kräfte und einen Wandel entfesselt, für den es viele Jahre benötige. Daher wolle man nicht daran denken, eigene Truppen „in anderer Völker Kriege“ zu bringen.
Hier liegen Fehler. Zum einen kann es nicht darum gehen, “den Konflikt Syriens“ zu lösen. Vielmehr muß im Schatten des Militärs eine Infrastruktur gebildet werden, die Syrern hilft, ihre Konfliktbündel selber zu regeln. So, wie es Amerikaner und andere Alliierte dereinst mittelfristig in Westdeutschland getan haben. Zum anderen vertieft eine kurzfristig angelegte Halbheit nur noch das Chaos in Mittelost. Schließlich widerspricht sich der Präsident, wenn er Abgeordnete tiefgehende Fragen stellt, die in der Globalära alle angehen, dann aber vom „Krieg anderer Völker“ redet. Gibt es diesen überhaupt noch?
Flächenbrand
Daher folgt wohl ein Ergebnis, was viele nicht wollen: Eine Teilköpfung der Regimehydra, in deren Folge es nur noch zum stärkeren Einsatz von C-Waffen, intensiveren inneren und äußeren Krieg sowie zur Fragementierung Syriens kommen kann. Die von Obama angesprochenen Surrogate für den Einsatz von Bodentruppen wie Druck auf al-Asads Regime, Hilfe für die Opposition, Sorge für die Flüchtlinge und eine politische Regelung mit einer Regierung, die den Hoffnungen des Volkes entspricht, zeitigten sehr dürftige Resultate. Was nach zwei Jahren nicht geklappt hat, stimmt nun auch nicht mehr optimistisch.
Man darf die Achse, die sich al-Asad geschaffen hat, nicht unterschätzen. Sein Ziel, zu überleben und an der Macht zu bleiben, läßt ihn eiskalt kalkulieren. Je mehr Tote und Elend im Schatten amerikanischer Angriffe entstehen und durch die Medien vorgestellt werden, desto besser für ihn. Er kann dann alles auf Amerika abwälzen. Hinter ihm stehen seine Sponsoren wie Wladimir Putin, die bereits jetzt von den „amerikanischen Kriegsverbrechen“ reden. Gelänge es der Achse Damaskus-Teheran-Hizballah-Hamas überdies, Israel in den Krieg zu verwickeln, das teilmobilisierte, könnte sich in vielen Augen die gesamte Ausrichtung der limitierten US-Militäraktion verändern. Dann würden Islamisten alles in das Licht eines „Befreiungskriegs gegen Christen und Juden“ tauchen können. Daher wären weder ein Erstschlag Irans gegen Israel noch die Stellvertreterkriege durch jene proiranischen Kräfte nicht mehr auszuschließen.
Solche „Entgleisungen“ unter einer begrenzten Aktion sind bereits im Ansatz dieser amerikanischen Halbheit vorprogrammiert. Entweder Amerika läßt sich voll ein, oder lieber gar nicht. Eine Lehre, die der hastige Abzug aus Irak und aus Afghanistan nur noch bestätigen. Den Gegnern bleibt viel Zeit, C-Waffen zu verbringen und außerhalb Syriens anzuwenden. Einst haben Amerikaner ihre Truppenpräsenz für Dekaden durchgestanden. War die Bedrohung größer, ist sie heute kleiner oder wird sie nur verkannt?
Die Welt dreht sich nicht im Rhytmus der Ungeduld im Weißen Haus, das immer nur halbschwanger sein will. Überdies ist es fraglich, warum Obama all jene aus ihrer Verantwortung entläßt, die historisch das meiste dazu beigetragen haben, daß solche gräßlichen Tyranneien in Mittelost entstanden sind. In erster Linie waren dies die italienischen, deutschen und russischen Machthaber nach dem Ersten Weltkrieg, die ihre schwarzen, braunen und roten Ideologien samt Ordnungen in der Region durchgedrückt haben. Amerika soll nun in der Tat sehr hastig eine giftige Suppe auslöffeln, die es dort nimmer eingebrockt hat.
Paris und London sollten sich noch mit Washington einigen, in welcher Arbeitsteilung was über welche Zeiträume getan werden kann. Al-Asads Clique und Hinterleute gehören vor ein internationales Tribunal, das ihn und die ihn tragende Ideologie überführt. Deutschland unter Kanzlerin Angela Merkel darf sich auch nicht mehr entziehen. Sie schiebt alles von sich, spricht vom „nichtmilitärischen Weg“, weist aber keine konstruktiven Ideen vor. Der Einsatz chemischer Waffen in Mittelost hat seit der Zeit nach dem Ersten Welkrieg nicht nur eine britische, sondern auch deutsche Dimension. Von bekannten Lieferungen privater Firmen zu schweigen. Wieso darf sich Berlin seiner Verantwortung entwinden? Es muß ja nicht das Militär sein, andere Hilfe wäre noch höchst willkommen anstatt außen vor zu bleiben und dann noch stets die Amerikaner zu kritisieren. So können heute Probleme der mittelöstlichen Nachbarn nicht mehr vernünftig geregelt werden. Obama sollte Westler und Mittelostler an einen Tisch bringen. Fehler allein agierender Amerikaner kommen sonst allen teuer zu stehen, auch Europa.
<emphasize>Wolfgang G. Schwanitz</emphasize>
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