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Rezension: Islam in Europa, Revolten in Mittelost

Wolfgang G. Schwanitz dokumentiert Hauptlinien der Geschichte

(explizit.net) Was wie eine islamische Naturgewalt daherkommt und für europäische Augen direkt aus dem Islam zu entspringen scheint, ist von Menschen ausgedacht und hat seine Wurzeln auch in deutschem Gedankengut, vor allem im Hass gegen die Juden. Seit dem Kaiserreich und bis in die achtziger Jahre spielt Deutschland eine entscheidende Rolle. Dabei verhalten sich Europa und Nahost wie zwei kommunizierende Röhren. Schwanitz zeigt über 120 Jahre hinweg, wie die Konflikte Europas und später der zwei Blöcke Ost und West im Kalten Krieg mit den Vorgängen in Nordafrika und Mittelost verbunden sind.

Wolfgang G. Schwanitz dokumentiert Hauptlinien der Geschichte

(explizit.net) Was wie eine islamische Naturgewalt daherkommt und für europäische Augen direkt aus dem Islam zu entspringen scheint, ist von Menschen ausgedacht und hat seine Wurzeln auch in deutschem Gedankengut, vor allem im Hass gegen die Juden. Seit dem Kaiserreich und bis in die achtziger Jahre spielt Deutschland eine entscheidende Rolle. Dabei verhalten sich Europa und Nahost wie zwei kommunizierende Röhren. Schwanitz zeigt über 120 Jahre hinweg, wie die Konflikte Europas und später der zwei Blöcke Ost und West im Kalten Krieg mit den Vorgängen in Nordafrika und Mittelost verbunden sind.

Besonders ausgenutzt wurde der Jihad im 19. Jahrhundert. Das war zu einer Zeit, als die türkischen Osmanen den Nahen Osten kontrollierten, als sich bereits das saudische Königshaus zu etablieren begann und als sich ein arabischer Nationalismus formte. Die europäischen Mächte versuchten unter den benachbarten Muslimen ihre Einflusszonen abzustecken.

Da Deutschland im Nahen Osten keine kolonialen Ansprüche durchsetzen konnte, war es für die Türken, Araber, Iraner und andere Muslime ein willkommener Gesprächspartner, zuerst im Ersten, dann im Zweiten Weltkrieg. Deutschland wollte dort durch Aufstände der Muslime Truppen Englands und Frankreichs binden. Wilhelm II. vereinbarte eine Kooperation mit dem Sultan der Osmanen und später mit den Jungtürken. Die Deutschen, dafür steht der Name Max von Oppenheim, bauten ein System von Lesesälen, 75 an der Zahl, im Reich der Osmanen auf, um die alten Ideen von Heiligem Krieg, konkret Aufstände und Terroranschläge, modern unter die Leute in deren Sprachen zu bringen.

Die Jungtürken waren nationalistisch orientiert und damit gegen alles Nicht-Türkische. Sie wollten sowohl Armenier wie Juden aus ihrem Reich vertreiben oder besser gleich ausrotten. Deutschland nahm den Genozid an den Armeniern „in Kauf“, Wilhelm II. verhinderte den an den Juden. Die von den Deutschen gegründeten Propagandastellen arbeiteten in der Zwischenkriegszeit weiter. Hitler fand dann in dem Großmufti von Jerusalem Amin al-Husaini, einen Kooperationspartner. Dieser hatte nicht nur das Ziel, aus den englischen und französischen Mandatsgebieten einen großsyrischen Staat zu formen, sondern vor allem den Aufbau eines jüdischen Staates zu verhindern. Diese Ziele waren mit einem Vernichtungswillen verbunden, der sich nicht allein politisch erklären lässt.

Es trafen sich zwei Gleichgesinnte, für die die Vernichtung der Juden erstes Ziel war. Al-Husaini hielt sich 1941 in Berlin im Hinblick auf die Wannseekonferenz auf. Der Autor zeichnete die wiederholte Um-Terminierung dieser Konferenz zur „Endlösung“ der Judenfrage minutiös nach und zeigt die weitreichenden Konsequenzen: Um den sich abzeichnenden Judenstaat nicht stark zu machen, verhinderten die Nationalsozialisten in Absprache mit al-Husaini die Ausreise der osteuropäischen Juden. Noch war Deutschland im Siegesrausch und beide Seiten erwarteten, dass die deutschen Truppen über den Kaukasus bis zu den Ölfeldern im Zweistromland vorstoßen würden.

Al-Husaini blieb bis in die sechziger Jahre aktiv und ist als Ziehvater von Yasir Arafat zu sehen, der 1965 die politische Bühne betrat. Auch deutsche Diplomaten und Altnazis blieben nach dem Zweiten Weltkrieg im Nahen Osten aktiv, teils unter arabischem Namen. Das mündete organisch in die Terror-Politik der Fatah. Usama Bin Ladin ist dann kein zufälliges Ereignis mehr, sondern steht in einer Entwicklungslinie, die die Auslöschung Israel als Ziel des Islamismus deklariert. Dass dann die Staaten, die Israel unterstützen, ebenso mit Terror bekämpft werden müssen, ist eine logische Weiterentwicklung der Ursprungsidee.

Diese langjährige Kooperation zwischen Deutschland und auch arabischen Vertretern des Terrors endete nicht mit der Anerkennung des Staates Israel und den Reparationszahlungen, die Konrad Adenauer vereinbarte. Im Ost-West-Konflikt war es dann vor allem die DDR, die den Terror der Fatah durch politische Anerkennung, ihre Diplomatie und Waffenlieferungen und unterstütze. Russland zeigte sich nicht viel zurückhaltender.

Die Lektüre bewirkt eine erhebliche Verschiebung der Koordinaten in der Beurteilung des Nahen Ostens und seiner Terrorgeschichte, ob das Attentat bei den Olympischen Spielen in München, die Flugzeugentführungen oder die Wellen der Intifada waren – überall steckt gleichwohl deutsches Gedankengut und Kollaboration dahinter. Es ist dann nicht verwunderlich, dass deutsche Terroristen so einfach im Nahen Osten Aufnahme fanden, diplomatisch hatte die DDR den Boden gut vorbereitet.

Der Leser sollte sich durch die Dokumente durcharbeiten, um erst einmal die Zusammenhänge Schwarz auf Weiß zur Kenntnis zu nehmen und sich darüber klar zu werden, dass der Nahe Osten nicht irgendwo am Rande des Mittelmeeres liegt, sondern seit der Kaiserzeit mit Deutschland gemeinsame Ziele verfolgen konnte und über Jahre, auch in Westdeutschland, Büros unterhalten konnte. Vor allem verliert die Aussage des vormaligen Präsidenten Irans ihr Überraschungsmoment, dass Israel ausradiert werden müsse. Das einigt nicht nur Araber und Iraner, es ist erstes erklärtes Ziel der Terrorakte von Jihadisten. Wenn der Autor die Ereignisse bis in die Gegenwart aufrollt, wird die ungebrochene Entwicklungslinie des Jihad deutlich.

Zwar hat die Bundesrepublik die antijüdische Politik nicht offen weiter verfolgt, jedoch kaum etwas dafür getan, der Terror-Idee geistig etwas anderes als Entrüstung entgegenzusetzen. Erstaunlich ist auch der verengte Horizont deutscher Historiker, die meinen, eine deutsche Geschichte im Zusammenhang mit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg schreiben zu können, ohne die Aktivitäten eines Max von Oppenheim, der die Propaganda im osmanischen Einflussbereich organsierte oder ohne al-Husaini, der seine tödlichen Gedanken noch im Kalten Krieg an die nächste Generation der Terroristen weitergeben konnte.

Das als ein sehr kursorischer Überblick. Wer die Darstellung des Autors, die im Einzelnen durch Archivmaterial belegt werden, gelesen hat, ist erstaunt, welches Nahost-Bild durch die Medien täglich vermittelt wird.

Die Vorgeschichte mit der Verstrickung Deutschlands in den Terror scheint auch in den politischen Diskussionen ausgeklammert zu sein, wohl nicht zuletzt deshalb, weil die Bundesrepublik die Diplomaten aus der Hitlerära weitgehend übernommen hat. Diese dürften kein Interesse daran gehabt haben, dass die Verwicklungen Deutschlands in den islamistischen Terror bekannt würden. Auch grüne oder SPD-Außenminister tragen ihre Brillen, durch die sie den Nahen Osten betrachten. Das ist besonders deshalb gravierend, weil Deutschland faktisch keine politischen Ideen entwickelt hat, wie mit dem Jihad und den Intifada-Aufständen umzugehen wäre. Mit diesem Buch dürfte es aber ein Ende damit haben, dass bei parlamentarischen Beratungen wie bei der Einschätzung der Entwicklungen durch Journalisten der islamistische Terror wie von einem anderen Stern herkommend beschrieben wird.

Vor allem das Auswärtige Amt muss die Vorgeschichte aufarbeiten und es muss aufgeklärt werden, wie und durch welche deutsche Diplomaten die Aufwiegelung zum Jihad auch nach dem Zweiten Weltkrieg weiter ging. Nur wer die Entstehung des Jihad mit seinem Ziel der Vernichtung des jüdischen Staates oder der Verdrängung Andersgläubiger wie Christen kennt, wird auch Konzepte entwickeln können, wie diese überwunden werden können. Da der Terror weiter die Köpfe der Jihadisten beherrscht, zwingt das Buch, die Entwicklung gründlicher zu studieren und es nicht bei der Einhegung der Terrorgruppen zu belassen. Will man die Hinwendung zum Terror gegen Andersdenkende und die Idee, Israel zu beseitigen, aus den Köpfen wieder herauslösen, muss man erst einmal verstehen, wie sie in die Köpfe gelangt ist.

Das Buch ist in einer nüchternen Sprache verfasst, es lässt sich eigentlich flüssig lesen, würde es nicht die Augen für Entwicklungslinien öffnen, die das deutsche Geschichtsbild in andere Koordinaten transformiert. Wer sich die Mühe macht, auch die Dokumente über wichtige Verhandlungen, Verträge, Vorgänge zu studieren, wird sich der Lektüre des ganzen Bandes nicht mehr entziehen können. Er wird mit der Einsicht entlassen, dass der Terror im Nahen Osten und global gar nicht so irrational ist.

Dafür wird dieses Buch sicher zum Standardwerk werden und nicht als sog. Sekundärliteratur bald von neuen Publikationen überholt werden. Denn kaum jemand wird sich die Arbeit machen, die Archive nicht nur des deutschen Außenamtes sondern auch Russlands und Arabiens zu durchforsten. Das Buch gehört in jedes historische Seminar, aber auch in die politischen Redaktionen der Zeitungen. Der Auswärtige Ausschuss des Bundestages wird sich sicher dafür interessieren. Ob es den Weg bis ins Auswärtige Amt schafft, bleibt abzuwarten. Wer auf der Suche nach einem Thema für eine Dissertation ist, wird dieses Buch als Primärliteratur nutzen.

<emphasize>Eckhard Bieger</emphasize>

Wolfgang G. Schwanitz,

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<p> Islamismus und Genozid von Wilhelm II. und Enver Pascha über Hitler und al-Husaini bis Arafat, Usama Bin Ladin und Ahmadinejad sowie Gespräche mit Bernard Lewis</p> <p>Trafo Verlag Berlin, 2013, 783 S. ISBN </p> <p>

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