Foto: explizit.net E.B.

Religion in der Postmoderne: Darum muss sich die Pastoral ändern

Überall in Europa und auch in den USA wird man Zeuge eines dramatischen religiösen Wandels. Die Kirchen verlieren Millionen Mitglieder pro Jahr und ein Ende des Rückgangs ist nicht in Sicht. Oft wird beklagt, Glaubensüberzeugungen seien abhanden gekommen, bei Seelsorgern wie bei den Gläubigen. Dabei sind Fragen nach Überzeugungen keine Kategorien für die heutige Zeit. Gefragt ist, was nützlich ist und Bedürfnisse befriedigt. Eine Analyse über „Glaube in der Postmoderne“:

Überall in Europa und auch in den USA wird man Zeuge eines dramatischen religiösen Wandels. Die Kirchen verlieren Millionen Mitglieder pro Jahr und ein Ende des Rückgangs ist nicht in Sicht. Oft wird beklagt, Glaubensüberzeugungen seien abhanden gekommen, bei Seelsorgern wie bei den Gläubigen. Dabei sind Fragen nach Überzeugungen keine Kategorien für die heutige Zeit. Gefragt ist, was nützlich ist und Bedürfnisse befriedigt. Eine Analyse über „Glaube in der Postmoderne“:

Die Postmoderne: enttäuscht von der Religion wie von der Moderne

Mit dem Aufkommen der Naturwissenschaften hat der Glaube als Quelle der praktischen Nützlichkeit immer mehr verloren. Stark vereinfacht kann man sagen, dass Religion in der Moderne eine Enttäuschungsgeschichte durchlaufen hat: Immer weniger wird mit dem Eingreifen Gottes erklärt werden, immer mehr mit naturwissenschaftlich-mechanischen Vorgängen. Ist Gott noch irgendwo am Werk? Abseits der persönlich-subjektiven Meinung scheint dies nicht beantwortbar zu sein. So wurde Glaube immer mehr zu einer Gesinnungs- und Haltungsfrage, die gleichzeitig beanspruchte "wahr" zu sein, um als objektiv bedeutsam gelten zu können. Das klingt abstrakt und ist es auch.

Zwei große Erschütterungen des zwanzigsten Jahrhunderts haben maßgeblich dazu beigetragen, dass traditionellen Überzeugungen nicht mehr geglaubt werden. Es sind die beiden Weltkriege. Aber auch den emanzipatorischen Gegenentwürfen zum traditionellen Christentum, der säkularen Aufklärung, wie sie die Französische Revolution, der Kapitalismus oder der Kommunismus waren, wird nicht mehr geglaubt. Man kann daher Postmoderne auch als Ende der Ideologien definieren. Der Philosoph Jean-François Lyotard sieht die Postmoderne als das Ende der großen Erzählungen, die von dem großen Entwurf der Moderne handelten, Erzählungen von der Aufklärung und daran anschließende Bewegungen stoßen auf Skepsis. Die Folge ist eine Indifferenz gegenüber Überzeugungen. Sie werden als Privatmeinungen oder Gesinnungen betrachtet, die im besten Fall nicht schaden, aber nicht aus sich, sondern nur am Nutzen gemessen werden.

Was aber folgt, wenn große Erzählungen zu Ende gehen? Man besinnt sich nicht mehr auf Überzeugungen, sondern auf Pragmatismus, auf das was nützt und Bedürfnisse befriedigt. An den Universitäten sieht man das dadurch, dass wirtschaftswissenschaftliche und andere Studiengänge, die vordergründig auf Nützlichkeit aufbauen, vorrangig gewählt werden.

Religion muss Bedürfnisse befriedigen, um Anhänger zu finden

Die Religion ist herausgefordert, zu zeigen, welchen Nutzen sie hat und welche Bedürfnisse durch sie befriedigt werden. Allein durch Moral, Gesinnungspastoral oder Gottesbeweise wird niemand Interesse am Glauben finden, denn die Lebensrelevanz ist zu gering. Es geht darum, dass „es wirkt und hilft“, und zwar nicht nur metaphysisch, sondern lebenspraktisch.

Viele neue geistliche Bewegungen haben das verstanden. Sie bieten vor allem Bedürfnisbefriedigung im Bereich des Religiösen. Um Menschen für den Glauben zu gewinnen, ist weniger die Lehre als vielmehr die Methode entscheidend. Es werden Lieder gesungen, die emotionale Bedürfnisse befriedigen, charismatische Reden gehalten und der praktische Nutzen einer Glaubensgemeinschaft dargelegt. Die Pfingstkirchen sowie viele neue geistliche Gemeinschaften beherrschen dies oft sehr gut. Man kann diese Methoden manipulativ, abstoßend oder befremdlich finden, erfolgreich sind die dennoch, da sie etwas wecken, was andere nicht bedienen, viele aber ersehnen. Ob dies letztlich wirklich zu Gott führt, ist eine andere Frage, aber es wird mit dieser Sehnsucht gespielt und sie scheint oft - zumindest oberflächlich - als Bedürfnis befriedigt zu werden.

Die traditionellen Religionspraktiken scheitern meist, weil sie nicht die Bedürfnisse der heutigen Gesellschaft befriedigen können, stattdessen nur im abstrakten metaphysischen Bereich eine Wirkung oder Wahrheit postulieren. Anziehend sind die Praktiken der Tradition daher meist nur für diejenigen, die durch eine Prägung zu bestimmten religiösen Überzeugungen gekommen sind oder der gegenwärtigen Kultur und Zivilisation kritisch gegenüberstehen.

Der neue Weg

Sowohl den bisherigen Weg, der die Kirchenschließung nicht aufhalten wird, als auch bestimmte charismatisch orientierte Alternativprojekte muss man nicht gutheißen. Es sollte aber klar sein, dass viele Traditionen und Selbstverständlichkeiten mittlerweile tot sind. Damit werden sie zu einer Art Karikatur, die nicht mehr als lebendige Religionspraktiken erlebt werden. Es müssen neue Wege gegangen werden. Dabei ist es wichtig, die richtigen Fragen zu stellen: Wie zeigt sich, dass Glaube nicht nur eine nutzlose Gesinnung ist, sondern das Leben ganz konkret zum Guten wandelt? Wie macht man deutlich, dass die grundlegenden Vollzüge der Religion Lebensrelevanz besitzen? Wie zeigt sich, dass religiöse Praktiken auf die Sehnsucht des menschlichen Lebens antworten? Wie kann man als Glaubensgemeinschaft auf religiöse Bedürfnisse reagieren?

Religion muss als lebensbereichernd erfahren werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass die religiöse Gemeinschaft, die dies bedienen kann, neue Anhänger finden wird.



Kommentare (1)

  1. Mario Spiekermann am 28.11.2017
    Eine freundliche Nachfrage: Welcher Autor hat denn diesen Artikel verfasst?

Neuen Kommentar schreiben

Zum Seitenanfang