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Religion heißt Veränderung

Religion gilt seit 200 Jahren als Feind des Fortschritts. Beharren scheint deshalb die innere Haltung sein zu müssen, weil Veränderung den Kern der Religion bedroht. Das Christentum folgt in unseren Breiten eher aus Ratlosigkeit dem Beharrungsimpuls, für den Islam wird Rückwärtsgewandtheit zur Zerreißprobe in den westlichen Gesellschaften. Aber die Hochreligionen sind keine Fruchtbarkeitskulte mehr., sondern zielen auf Veränderung der Person

Das Mittelalter als die große Zeit des Christentums gilt als „mittelalterlich“ und das heißt unhaltbare Zustände und stures Beharren auf überholten Weltbildern. "Mittelalterlich" ist dann vor allem die Katholische Kirche, so dass Luther die Religion aus den Fesseln der Rückständigkeit befreien und Galilei das alte Weltbild zerstören mussten. Der Fortschritt beginnt mit der Neuzeit. Die religiösen Institutionen, vor allem die Katholische Kirche, sind damit wohl so mit dem neuzeitlichen Blick zu beschreiben. Aber ist es der Kern gerade der Katholischen Kirche, in der bereits im Mittelalter und dann in der Neuzeit viele spirituelle Schulen wirksam geworden sind.

Religion ist nicht identisch mit der religiösen Institution

Institutionalisierte Religion fühlt sich tatsächlich durch neue Impulse bedroht, sind doch die Religionsgründer historische Personen geworden. Ihre Lehre bis in den Wortlaut der überlieferten Worte ist unveränderbar. Diesen Kernbestände infrage zu stellen, wäre das Ende der Institution. Die Institutionen vergessen dabei, dass ihre Gründer gegen die etablierten religiösen Institutionen aufbegehrten. Ob Gautama Buddha, Jesus oder Mohammed, sie wurden von den religiösen Amtsträgern ihrer Zeit abgelehnt und im Falle Jesu sogar umgebracht. Der Buddhismus konnte  in seinem Ursprungsland Indien kaum Fuß fassen, weil die hinduistische Führungsschicht verhinderte, dass die buddhistische spirituelle Praxis Fuß fassen konnte. Die Akzeptanz des Christentums bei den Germanen und Slawen ist durch die kulturelle Überlegenheit der Buchreligion erklärbar sowie durch den Monotheismus. Denn kein germanisches noch ein slawisches Heiligtum konnte wie Jerusalem, Mekka, Byzanz oder Rom andere Kultstätten integrieren. Wegen der mangelnden Integrationskraft ihrer Religionen wurden die Stämme durch ihre jeweiligen Götter klein gehalten. Das zeigt die Befriedung der Sachsen. Diese gelang nicht militärisch, sondern erst mit einer Bildungsinitiative durch Gründung von Klöstern und bischöflichen Schulen. Der innovative Beginn der heute bestimmenden Religionen ist dann auch meist als Kampf gegen die vorherigen Fruchtbarkeitskulte durchgefochten worden.

Religion ist Reaktion auf das Ungenügen mit dieser Welt

Die Religionsgeschichte bleibt eine Auseinandersetzung zwischen dem Beharren auf den tradierten Glaubensinhalten und dem Aufbruch. Mit dieser Brille kann die Geschichte jeder Religion gedeutet werden, diese Brille verführt jedoch zur Kurzsichtigkeit. Denn Religion gibt es, weil die Welt nicht so ist, wie sie sein sollte. Sie beginnt eigentlich erst mit der Vertreibung aus dem Paradies. Religion, auch in ihrem atheistischen Gewand, ist damit immer Auseinandersetzung mit den destruktiven Kräften. Die Religionen handeln das in ihren Riten aus, die atheistischen Ideologien durch  ihre jeweilige Stasi, die ja Staatsicherheit garantieren will. Religion entsteht dann, wenn der Mensch, der sich mit der Verbesserung der Welt abgemüht hat, zu dem Schluss kommt, dass er von außen erlöst werden muss. Schon vor seinem eigenen Scheitern muss er mit vielen Unsicherheiten fertig werden. Er weiß eben prinzipiell nicht, ob Gutes oder Schlechtes auf ihn zukommt. Sowohl seine biologische wie seine moralische Existenz werden von einem Bedrohungsgefühl überschattet.

Veränderung durch Religion setzt beim einzelnen an

Im Unterschied zu dem Biologismus des Nationalsozialismus wie zur Bürokratisierung der Gesellschaft in den kommunistischen Ländern setzt Religion nicht politisch bei der Umwandlung der Institutionen, sondern beim einzelnen an. "Bekehrt euch!" ist der Imperativ des ältesten Evangeliums nach Markus. Der Mensch soll sich nicht nur äußerlich ändern, sondern von innen her neu werden. Der entscheidende Unterschied, nämlich die Veränderung von den Personen zu erwarten, ist  nicht nur den Staatsideologien eigen. Im Christentum z.B. tendieren die Kirchen als die religiösen Institutionen dazu, Aufbrüche zu verhindern. Reformen im Christentum waren immer Bewegungen, die nicht bei der Umgestaltung der Institution ansetzten, sondern den einzelnen zur Veränderung forderten und dann erfolgreich waren, wenn sie dafür eine Methode entwickelten, ob das benediktinische Klosterleben, die franziskanische Bewegung oder die Exerzitien des Gründers des Jesuitenordens, um nur drei Strömungen herauszugreifen. Das ist dann auch Charakteristikum sowohl der asiatischen wie der jüdisch-christlichen Menschenbildes. Sie setzen bei der Person an. Deshalb geht auch die Trennung von Kirche und politischer Macht bereits von der mittelalterlichen Kirche aus, als eine Reformbewegung den Königen das selbstverständliche Recht streitig machte, die Bischöfe zu bestimmen. In China ist der Vatikan einen entscheidenden Schritt in diese Richtung weiter gekommen.

Wallfahrten und Exerzitien als Instrumente

Die Religionen, die die Fruchtbarkeitskulte abgelöst haben, wollen nicht die Götter beeinflussen, sondern in umgekehrter Richtung dem Göttlichen Einfluss auf den Menschen geben. Es ist nicht mehr der Tausch von Opfergaben gegen gute Ernten und Kindersegen, sondern das Wachstum der Persönlichkeit, die Eröffnung eines größeren Horizonts und ein distanzierteres Verhältnis zu den alltäglichen Zwängen. Das Streben nach irdischem Besitz wird zurückgestellt, um sich auf die Persönlichkeitsentwicklung konzentrieren zu können. Jedoch genügt Verzicht nicht, um die innere Person zu entwickeln. Wallfahrten symbolisieren nicht nur das Aufbrechen aus dem Bisherigen, sie verwandeln im Gehen, im Gebet, im Besuch von Heiligtümern. Die Stärke der mittelalterlichen Frömmigkeit erwuchs nicht zuletzt aus den Erfahrungen und Strapazen der Millionen Santiago-, Jerusalem oder Rom-Pilger. Eine weitere Methode sind lange Meditationszeiten, so im Buddhismus die Zen-Sesshins und im abendländischen Christentum die von Ignatius v. Loyola geformte 30-tägige Meditationsweg der Exerzitien.

Falls die Katholische Kirche in Deutschland wirklich Erneuerung wollen sollte, dann kann sie aus ihrer Tradition die Methoden finden. Es muss zuerst die Religiosität wachsen. Das geschieht nicht in den Sitzungen, in denen die Leitungskräfte ihre Zeit verbringen. Sie müssten Ihren Terminkalender entrümpeln und mindestens 30 Tage sich zu einem Wallfahrtsziel auf den Weg machen oder 30 Tage mit abgeschaltetem Smartphone in einer Abtei oder bei entsprechend langen Exerzitien verbringen. 

Es folgen weitere Beiträge, die sich mit dem immer wieder nicht eintretenden Aufbruch beschäftigen


Kategorie: Religion

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