Bericht über eine Vortragveranstaltung im Juli 2013 //
Als Papst Benedikt XVI. im September 2011 im Bundestag sprach, waren einige Abgeordnete, vor allem ein Großteil der Linksfraktion, nicht anwesend, besuchten stattdessen Demos oder blieben aus Protest fern. Bereits im Vorfeld des Besuches war die Papstrede im Bundestag umstritten. Der Papst als Religionsoberhaupt habe als Redner im Bundestag nichts verloren, so das Argument der Gegner. Der Bundestag sei ein Ort der vernünftigen Rede und des sachlichen Austauschs. Religiöse Überzeugungen seien dort fehl am Platz. Nichtsdestoweniger war der Plenarsaal gut gefüllt, der Papst kam, sprach und bekam Applaus. Ganz anders im Januar 2008 in Rom. Der Papst sollte eine Rede zur Eröffnung des Akademischen Jahres an der römischen Universität Sapienza (link:
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Religionen gerieten mit ihrer exklusivistischen Überzeugung, die Inhalte ihrer religiösen Überzeugungen und Lehren seien die Wahrheit, häufig in den Verdacht des Fundamentalismus und der Intoleranz. Befürchtet werden Unterdrückung, heilige Kriege und Terrorismus. Ähnliche Befürchtungen hatten auch die Gegner der Papstrede – sowohl im Bundestag als auch an der Sapienza. Die Folgerung daraus: Um im gesamtgesellschaftlichen Diskurs bestehen zu können, müssten religiöse Überzeugungen rational, das heißt vernünftig, erklärt werden.</p> <h2>Wahrheit nicht zu ernst nehmen, auch die Religion nicht </h2> <p>Der Philosoph Richard Rorty vertritt einen pragmatischen Ansatz. Wahrheit sei demnach bloß provinziell. Nur die „members of my club“, die Mitglieder einer Gruppe hätten jeweils gemeinsam einen Wahrheitsbegriff, eine universale Wahrheit hingegen gebe es nicht. Für die Öffentlichkeit sei Wahrheit daher gar nicht relevant, vielmehr sollten sich religiöse Menschen mit seinen religiösen Überzeugungen zurückhalten, im privaten Bereich könnten sie am eigenen Glauben festhalten. Rorty beschreibe seine Position nicht als Relativismus, sondern als Ethnozentrismus. Es gebe eben nur lokale Wahrheiten, auf dieser Grundlage ließe sich eine gemeinschaftliche Diskursebene nicht etablieren. Religiöse Menschen sollten angesichts eines mit dieser Position einhergehenden möglichen Identitätsverlustes selbstironisch sein, sich selbst und ihre Überzeugungen nicht zu ernst nehmen.</p> <h2>Erweiterung der Vernunft</h2> <p>John Rawls spricht umfassenden religiösen Lehren den Charakter der öffentlichen Vernunft ab. In deren „nicht öffentlicher“ Vernunft sieht er aber immerhin Vernunft, die ihren Trägern nicht einfach im Namen einer säkularistisch verhärteten Rationalität abgesprochen werden dürfe. Ein Kriterium dieser Vernünftigkeit liegt für ihn darin, dass solche Lehren aus einer verantworteten und doktrinellen Tradition heraus stammen, in der über lange Zeiträume hinweg hinreichend gute Gründe für die jeweilige Lehre entwickelt wurden.</p> <h2>Weisheit – zwischen Opinio und Wissenschaft</h2> <p>Der emeritierte Papst Benedikt kritisiert nach Jonkers eine ahistorische Vernunft, die Wissenschaft mit Rationalität gleichsetzt, Glaube jedoch als subjektiv und emotional abwerte. Das Dilemma besteht demnach zwischen wissenschaftlicher Objektivität und einem rein subjektiven Gefühl. Die Befreiung aus diesem Dilemma werde möglich durch einen erweiterten Vernunftbegriff, so Benedikt. Diese erweiterte existenzielle Vernunft sei Weisheit. In der Bundestagsrede hat Benedikt dies mit dem Bild des „hörenden Herzens“ von König Salomo gemeint. Die Weisheit bildet gleichsam den „common ground“, die gemeinsame Grundlage für die Debatte zwischen Kirche und Gesellschaft.</p> <p>Vernunft solle nicht als rein subjektive menschliche Eigenschaft, sondern vielmehr als objektiver Orientierungspunkt gelten. Benedikt plädiert für ein Zusammenspiel von Vernunft und Wahrheit, um die existenziellen Fragen nach Ursprung und Ziel des Menschen zu beantworten. Die christliche Heilsbotschaft sei vielmehr Ausdruck göttlicher Weisheit als eine Doktrin. Weisheit sei die Antwort auf die Frage, wie das Ziel menschlicher Existenz zu erreichen ist, um ein gutes und wahrhaftes Leben zu führen.</p> <p>Der Weisheitsbegriff liege genau zwischen einer subjektiven „opinio“ und einem wissenschaftlichen Wahrheitsbegriff. Auf die Frage, was die wahrhafte Bestimmung menschlichen Lebens sei, gebe es, so Benedikt, vielfältige religiöse und säkulare Antworten. Alle Vertreter suchten jedoch stets nach wahren Antworten. Es gebe also einen „common ground“, nämlich diese Suche nach Wahrheit. Auf der Basis dieser gemeinsamen Suche ist dann ein Dialog möglich. Dabei ist die menschliche Würde für alle Teilnehmer verbindlich.</p> <h2>Habermas: Philosophie kann von Religion lernen</h2> <p>Jürgen Habermas vertritt neuerdings die Auffassung, dass die Philosophie von der Religion lernen könne. Das Christentum habe einen kognitiven Inhalt und könne sich deshalb gut am gesellschaftlichen Diskurs beteiligen. Den normativen Grundlagen der Gesellschaft müssten vernünftige Rechtfertigungen zugrunde liegen, die in einem gesellschaftlichen Diskurs festgelegt werden. Diese Rechtfertigungen müssten jedoch postmetaphysisch und dürften nicht transzendent sein. Religiöse Überzeugungen hätten also darin nichts zu suchen, weil sie sich auf transzendente Inhalte und metaphysische Überzeugungen stützten.</p> <p>Was ist nun gemäß Benedikt vernünftig? Kann er an der religiösen Wahrheit festhalten, ohne den Pluralismus strikt abzulehnen? Der emeritierte Papst sei überzeugt, dass ein vernünftiger Konsens der Wahrheit untergeordnet werden muss. Eine selbstreferentielle Rechtfertigung, wie beispielsweise eine Verfassung, die innerhalb eines gesellschaftlichen Diskurses festgelegt werde, reiche nicht aus. Hier verweist Benedikt, wie in seiner Bundestagsrede, auf das Naturrecht. Vernunft müsse, so Benedikt, die Vernünftigkeit des Willens Gottes zeigen. Menschliche Vernunft allein könne nicht die Grenzen von Kulturen oder Nationen überwinden. Eine noch erweiterte Rationalität sei notwendig, sonst bliebe es bei der westlich geprägten Vernunft, die zu wenig für die anderen Kulturen offen wäre.</p> <h2>Dialog braucht Vernunft</h2> <p>Laut Benedikt ist diese erweiterte interkulturelle Dimension unumgänglich. Es müsse eine polyphone Korrelation geben, in der sich Vernunft und Glaube begegnen. Dies geschehe durch sogenannte Reinigungsprozesse. Benedikt scheint also einen gewissen Grad an Pluralität zu dulden, ist jedoch überzeugt, dass dies nur eine vorübergehende Phase ist, in der sich die Pluralität hin zu einer Universalität reinigen wird. Ob der emeritierte Papst innerhalb dieses Prozesses auch eine Reinigung der christlichen Tradition in Kauf nehmen würde, bleibt offen. Könnte dieser Reinigungsprozess der Vernunft letztlich auch zu einer Polyphonie führen, in der nicht das Christliche die Melodiestimme spielt? Benedikt müsste hoffen, dass das Christentum sich innerhalb der Reinigungsprozesse des gesellschaftlichen Pluralismus letztlich als die höhere Vernunft erweisen wird. Eine solche Auffassung wäre jedoch nach Jonkers nicht wahrhaft interreligiös. Echter Dialog braucht Vernunft, soviel scheint festzustehen. Das haben offenbar auch die Gegner von Papstreden in Bundestag und im universitären Kontext begriffen. Ob der Dialog nun zwischen den Religionen stattfindet oder zwischen Religion und Gesellschaft, durch ein Redeverbot oder das Weghören wird man jedenfalls nicht ins Gespräch kommen. Vernünftiger Austausch kann aber nur stattfinden, wenn man dem anderen wenigstens zuhört. Für vernünftige Rede und Gegenrede sind die Universität und natürlich das Parlament – der Name sagt es bereits – die richtigen Orte. Im aufeinander Hören bilden sich Meinungen, kann eine vernünftige Streitkultur leben, werden Dialog und Konsens möglich.</p> <p><emphasize>Matthias Alexander Schmidt</emphasize>
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