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Priester: Der Machtblock in der katholischen Kirche

Sie haben das Sagen und werden mit Hochwürden angeredet. Trotz dieser privilegierten Stellung streben kaum noch junge Männer in Priesterrolle. Die bisherige Pfarreistruktur löst sich auf und damit ändert sich das Priesterbild der in der Pfarrei tätigen. Und Priester wollen lieber Seelsorger als Manager sein. Das wurde bei einer Tagung des Erzbistums Paderborn deutlich. Ein Kommentar von Dr. Eckhard Bieger SJ - im Rahmen des explizit.net - Monatsthemas zur Zukunft der Priesterausbildung in Deutschland.

Am 11./12. Februar 2021 versuchte eine Tagung einen Überblick über die aktuelle Lage zu erhalten und blieb dabei zuweilen in ungeklärten theologischen Fragen stecken. Doch Einiges ist dem Autor dieses Kommentars trotzdem klar geworden:

  • Die kirchlich religiöse Landschaft ändert sich grundlegend und damit auch der berufliche Einsatz der Priester.
  • Um Aufgabe und Rolle des Priesters zu fassen, muss er in seiner Wechselbeziehung zu der jeweiligen kirchlichen Struktur gesehen werden und nicht, wie von den meisten Referent*innen und nicht zuletzt von Professor*innen als ein Wesen, das mit der Weihe ausgestattet einem inneren Kompass folgt und unbeeinflusst von dem Umfeld agiert.
  • In der seit Jahren dauernden Umbruchszeit sind keine deutlichen Konturen eines zukünftigen priesterlichen Dienstes deutlich geworden.
  • Ein Bischof aus Amazonien macht den deutschen Katholiken bewusst, dass Kirche zuerst Caritas und Bildung ist und nicht das schmale Segment der traditionellen Pfarrei, die nur noch für Menschen über 60 einen Lebensraum bietet. Die jungen Erwachsenen bringen ihre Kinder in den Kindergarten, schicken sie auf kirchliche Schulen und wenn diese ein entsprechendes Angebot haben, in die Büchereien neben der Kirche. Heime, Krankenhäuser, Schuldnerberatung, Sorge für Obdachlose sind wie die anderen Angebote der Caritas nicht von der Krise erfasst.
  • Die Altersgruppen unter 50 waren fast nicht vertreten, so dass die älteren Jahrgänge über ein Priestertum beraten haben, das sie selbst nicht mehr erleben werden.

Hier der Versuch, einige Ergebnisse herauszuschälen und die offenen Fragen ans Ende zu stellen. Diese werden nicht entlang der Tagung referiert, sondern in eine Systematik gebracht. Das ist deshalb möglich, weil die Referenten die Beiträge der anderen nicht kannten und auch im Verlauf der Tagung nicht zu konkreten Schlussfolgerungen kamen. Die Referate können jeweils einzeln angehört werden. Die Aufzeichnungen der Beiträge finden sich nicht über die Homepage der Akademie Schwerte, sondern auf einer eigenen Webseite, geordnet nach dem Programmablauf der Tagung in vier Panels und acht Workshops: Dokumentation der Tagung am 11.+12. Feburar 2021 Gestaltwandel des Priesterlichen

Das Flächenkonzept löst sich auf:

Die weiterreichende Perspektive haben zwei Priester eröffnet. Die bisherige Pfarreistruktur löst sich auf, weil Kirche nicht mehr territorial organisiert werden kann. Es werden an verschiedenen Orten kleine Gruppen entstehen, die sich auf der Basis der Bibel treffen.  Dazu Christian Hennecke: „Werden aus dem Ursprung, ein kirchlicher Waldsparziergang“. Der Vortrag ist weiter hinten im Panel III zu finden.
Der Priester ist nicht nur für die Katholiken da, sondern für jeweils eine Zielgruppe. Diese Erfahrungen eines tschechischen Priesters, der im Untergrund ausgebildet und geweiht wurde: Bereits als zweiter Redner hat im Panel I Tomas Halik auf eine säkulare Gesellschaft hin gesprochen. Titel: „Quellen der Spiritualität und des Dialogs“
Diesem Einsatz für eine bestimmte Gruppe, Kategoriale Seelsorge im Kirchenjargon, also im Krankenhaus, im Gefängnis, in Verbänden ziehen die Priester schon jetzt vor und sind mit dieser Aufgabe zufriedener als die in der Fläche tätigen Priester. Diese Zielgruppen-Priester haben nicht die Leitung des Krankenhauses oder des Verbandes, sie definieren sich auch nicht mehr vor allem über die Rolle des Zelebranten in der Eucharistiefeier. Die Kirche aus vielen kleinen Gruppen hat zudem die Bibel als Fundament, nicht wie die Territorial-Pfarrei die Messe.

Priester im Wechselverhältnis zur konkreten Kirche

Der Priester wird als Einzelwesen gesehen. Das ist die Ausprägung der heutigen Pfarrerrolle. Es gilt als selbstverständlich, dass er allein lebt. Dagegen hat Prof. Baumann eine entscheidend breitere Sichtweise eingeführt. Das von Kurt Levin entwickelte Feldmodell sieht das Individuum in Wechselbeziehung zu seinem Umfeld. Individuum wie eine Institution haben eine innere Landkarte. Die der Institution hatte Missbrauch nur als zu vernachlässigende Größe am Rande. Wenn das Umfeld sich wandelt, dann auch die Rolle und damit das Selbstverständnis des Individuums. Das Referat findet sich in Panel II unter dem Titel: „Systemische Ursachen des Missbrauchs“. Bereits im Panel I hatte der emeritierte Abt Werlen geschildert, wie sich in Einsiedeln das Verhältnis zwischen Priestern und Nicht-Priestern nach dem Konzil geändert hat. Die Priester waren bis dahin „die Herren“. Obwohl der Ordensgründer Benedikt wohl kein Priester war, gab es eine große Distanz zu den Nichtpriestern der Abtei. Das habe ich grundlegend geändert.

Bei der Tagung war nur der alleinlebende Pfarrer im Blick. Dass der Priester allein lebt, gilt erst in Zeiten des Priestermangels. Vorher lebten, schon allein aus Kostengründen, die Kapläne im Haushalt des Pfarrers. Erst als die Kirchensteuereinnahmen sprudelten, wurden aus den Kaplänen Pfarrer bei Kirchen, die vorher von einem zentralen Ort versorgt wurden. In Österreich werden viele Pfarreien bis heute von Ordensgemeinschaften, also von Stiften oder Abteien betreut. Obwohl die Wiener Akademie Veranstalter war, wurde dieses Modell nicht Thema. Auch nicht, dass das im Barock in Deutschland die Seelsorgsorganisation für einen großen Teil der Katholiken war.

Leitung wird “verschämt“ ausgeübt

Priester werden heute sehr viel früher Pfarrer und müssen gleich Großpfarreien leiten, mit viel mehr Mitarbeiter*nnen und einem größeren Immobilienbestand und Finanzvolumen. Anders als von Kritiker*nnen dieser leitenden Priester angeprangert, wollen viele nicht zu Vorgesetzten eines mittelständischen Unternehmens gemacht werden. Das kann der Autor aus Leitungstrainings bestätigen, die ich über 12 Jahre in zwei Diözesen mit Rollenspielen und Konfliktmoderation leiten konnte. Dabei hat der Autor selten diesen machtbewussten Kleriker angetroffen, sondern Männer, die eigentlich Seelsorger geworden waren und sich nun mit den Rivalitäten von Gemeinden abmühen mussten, die unter Zwang mit oft verfeindeten Nachbargemeinden zusammengelegt wurden. Einen Blick in die reale Befindlichkeit der Priester gab Benedikt Jürgens im Panel III: „Nur wer das Heilige loslässt, wird es bewahren“

Leitung ist eine Kunst, die man erlernen kann

Das Referat mit dem höchsten Praxisbezug steuerte der Chef der Verwaltung im Bistum Essen, Generalvikar Klaus Pfeffer, bei. Er sah sich, als er die erste größere Einheit leitete, wie die anderen Priester nicht auf die Herausforderung vorbereitet und hat sich die Leitungsverfahren selbst zusammengesucht. Sein Resumée: Als menschliche Organisation gelten für die kirchlichen Einrichtungen die gleichen Gesetzmäßigkeiten und Verfahrensregeln wie für andere Betriebe. Pfeffer hat keine Unterschiede entdeckt und sieht als unterscheidenden Faktor eines kirchlichen Leitungsamtes, dass mit dem Wirken eines Größeren, des Heiligen Geistes gerechnet wird. Die zwölf Leitlinien für kirchliche Führungskräfte finden sich auch im Panel III: „Führung braucht Fähigkeiten - auch in der Kirche.“

Macht der Priester und Frauen in Leitung

Das erste Referat in Panel I sollte mitten ins Thema führen. Im Rückblick handelte die Erfurter Dogmatikerin Julia Knop jedoch ein Priesterbild ab, das im Verlauf der Tagung als Auslaufmodel herausgestellt wurde. Priester in Leitung finden sich nicht mehr in caritativen Einrichtungen, vereinzelt noch in Schulen, aber sonst nur noch in Pfarreien, die eben territorial organsiert, mit Personal, Gebäuden und Finanzmitteln ausgestattet sind. Ihr Resumée: Die Leitungsgewalt von der sakramentalen Kompetenz trennen. Eucharistie zu feiern, die Lossprechung im Beichtstuhl zu sprechen, die Krankensalbung zu spenden schließt nicht die Bestimmungsmacht über Personal und Finanzen ein und sollte von den für Leitung Begabten ausgeübt werden. Damit hat sie im Sinne der Tagungsteilnehmer gesprochen. Das wurde aus den Reaktionen im Chat der Streamingplattform deutlich, als die Ordensschwester, Therapeutin und Ombudsfrau für Missbrauch im Bistum Mainz, Sr. Marie Bernadette Steinmetz RSM im Panel II eine Exhorte über Leben, Verhalten und die innere Beziehung zum einzigen Priester, zu Jesus Christus, sprach. Diese Motivation haben Generationen von Priestern, so auch der Autor dieser Zeilen, oft gehört. Sie hatte als Leitsatz an den Anfang gesetzt, dass die Katholische Kirche ohne Sakramente nicht denkbar sei und daher über die Notwendigkeit von Priestern nicht diskutiert werden muss. Diese Rhetorik war ehrenwert, aber passte nicht in die aktuelle Problemlage. Allerdings wurden die Hinweise der Therapeutin überhört, was die Ursache von Machtmissbrauch eigentlich sind:

Entwicklung der Institution oder der Personen?

Die Instabilität der Person, die den Machtzuwachs durch ein Amt nutzt, um eigene Defizite zu kompensieren. Das wird weiter so bleiben, denn nach den Ausführungen von Prof. Knop bleibt dies der katholischen Kirche wohl weiter erhalten. Denn es wird wieder eine institutionelle Lösung für ein Faktum gesucht, das auf Probleme der Persönlichkeitsentwicklung wie auf das Fehlen einer schriftlich definierten Leitungskultur hinweist. Wie soll die Institution sicherstellen, dass reife Persönlichkeiten heranwachsen, die mit einem soliden Wertefundament gegen Versuchungen des Machtmissbrauchs gefeit sind. Als Altachtundsechziger kann der Autor dieser Zeilen nur "warnen", eine Veränderung der menschlichen Natur durch Umbau der Institutionen zu erwarten.  

Weitere Fragen aus den Diskussionen der Tagung:

  1. Wenn mit dem Priesteramt Leitung verbunden ist, was macht das Unterscheidende aus, was der Priester durch seine Weihe einbringt. Christian Hennecke hat dafür die Formulierung „sakramentale Leitung“ gefunden.
  2. Alle theologischen Aspekte des Priesteramtes erfragt der erfahrende Priesterausbilder, der Münsteraner Regens Niehues
  3. Das sakramentale Weiheamt leitet sich vom Priestertum Jesu her. Was hat das Mannsein Jesu für die Auswahl der Kandidaten und Kandidatinnen für dieses Amt zur Folge? Diese Frage blitze kurz auf.
  4. Es braucht eine Leitungsphilosophie mit einem konkreten Verhaltenskodex, damit nicht nur die Leitenden eine bessere Orientierung gewinnen, sondern die Untergebenen wissen, welche Prinzipien in ihrem Tätigkeitsbereich gelten, um sich darauf berufen zu können.

Über Beobachtungen, Empfehlungen und Vermittlungen

Eine Beobachtung zum theologischen Defizit: Zu den theologischen Fragen gab es seitens der wissenschaftlichen Theologie keine ergänzenden Beiträge. Die Analyse der Erfurter Dogmatikerin blieb aus Sicht des Autors im Soziologischen stecken. Wenn die Priesterausbildung auf wenige Standorte konzentriert werden soll: Wo finden der Münsteraner Regens und mit ihm ja nicht zuletzt die jungen Männer, die sich noch für den Beruf entscheiden, Orientierung für ihre berufliche Rolle? Zur konkreten Situation des Priesters wird an der Paderborner und der Freiburger Fakultät geforscht. In Bochum sind realistische Konzepte entwickelt. Vertreter anderer Fakultäten haben sich - bei der Tagung - nicht bemerkbar gemacht.

Eine Empfehlung: Das Pfarreien sollten nicht von sich als „die Kirche“ sprechen. Es gibt das riesige Feld der Caritas, die jungen Generationen werden über Schulen und immer noch durch Jugendverbände wie die Pfadfinder erreicht. In die Kindergärten, die unter der Fachaufsicht der Caritas stehen, bringen jeden Morgen junge Erwachsene ihre Kinder. Dann gibt es noch Ordenspriester, nicht so viele in Deutschland, aber in Österreich und in vielen Diözesen der Südhalbkugel. Aus dem Blickwinkel des größeren Teils der kirchlichen Gruppierungen und Einrichtungen kann man sagen: Wenn die territorial organisierte Seelsorge so große Schwierigkeiten hat, geht die Kirche in Deutschland nicht unter. Wenn Menschen sich um die Bibel versammeln, verfliegt auch der Missmut, der wie eine dunkle Wolke her die Tagung überschattete. Kritisch äußerte sich einige Teilnehmer*innen auch über den Synodalen Weg und mögliche Veränderungen in der katholischen Kirche, dies klang in Bemerkungen am Rande an. Der Rat von Dr. Jürgens, frühzeitig auf die vatikanischen Ämter zuzugehen, um die Reformschritte vorher abzustimmen, müsste gegangen werden, sonst kommt aus Rom das Njet.

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Zur digitalen Vermittlung: Die Akademie des Erzbistums Paderborn hat gezeigt, dass mit Streaming und dem Videokonferenztool WebEx kommunikativ eine Tagung sehr gut durchgeführt werden kann. Sie spannte ihr Netz bis nach Prag und Amazonien aus. Die Note „sehr gut“ würde der Autor vergeben, wenn die Gruppenkommunikation breiteren Raum einnehmen würde. Würden solche Gruppen schon nach dem ersten Panel gebildet und blieben sie zusammen, könnten mehr Ergebnisse erarbeitet werden.

Ganz einfach wäre es, die Tagung nicht kompakt in zwei Tage zu packen, sondern jeden Tag über 6 Tage für jeweils 2 Stunden zu ziehen, um Zwischenergebnisse zu erarbeiten und Fragestellungen, die sich neu ergeben haben, aufzugreifen. Das Potential der Teilnehmer,*innen das für diese Tagung auch deshalb beträchtlich war, weil viele Frauen dabei waren, würde so endlich ausgeschöpft.

Zu den mit Video aufgezeichneten Beiträgen: Gestaltwandel des Priesterlichen

Ein kommentierender Bericht von Dr. Eckhard Bieger SJ zur Zukunft der Priesterausbildung in Deutschland

Weitere Beiträge zur Priesterfrage Priester: Kein Artenschutz für eine aussterbende Spezies



Kategorie: Kirche

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