(explizit.net)Elemente einer Spiritualität der Öffentlichkeitsarbeit - Gastbeitrag von Wolfgang Sauer
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Wer über theologische Grundlagen und Aspekte der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit nachdenkt, wird sich zuerst und vor allem in Erinnerung rufen, dass das Christentum eine Religion des Wortes und der Sprache ist. Hält man sich vergleichsweise die geschichtlichen Fakten anderer religiöser Systeme vor Augen, sind es dort oft die auserwählten Hüter, die den Schatz religiöser Wahrheiten besitzen und verwalten und sie den Anhängern der jeweiligen Religion nur in dem Maße kundtun, wie sie es für förderlich oder hinsichtlich der Erhaltung ihrer spirituellen Vorrangstellung für ungefährlich halten. Die großen Religionen im Umfeld Israels, sei es in Ägypten oder Babylon, handelten offenkundig nach diesem hierarchischen Schema.
Der Mensch ist auf Dialog hin angelegt
Der biblische Glaube lebt jedoch nicht primär von Texten gesammelter Wahrheiten und Weisheiten, wie dies bei den klassischen Buchreligionen, etwa auch dem Islam, der Fall ist. Die religiöse Geschichte des Judentums geht einher mit einem Phänomen von Sprache und Vermittlung, das wir „Offenbarung“ nennen. Hier sei an das theologische Erstlingswerk von Karl Rahner erinnert: „Hörer des Wortes“. Es reflektiert die „potentia oboedientialis“ des Menschen, will sagen: seine Fähigkeit zu hören und in den Dialog zu treten. In der Genesiserzählung des Jahwisten wird von den Geschöpfen als den „Stummen“ gesprochen, in denen Adam keine entsprechende Hilfe, keine Ansprechpartner ausmachen kann. Erst im menschlichen Gegenüber findet der Mensch zu seiner Identität. Menschsein heißt Hören und Reden, verwirklicht sich im Dialog: im zur Verantwortung bereiten Dialog!
Die mittelalterliche Theologie, etwa bei Thomas von Aquin, lebt zudem von der Vorstellung, dass der durch göttliche Offenbarung entzündete Glaube nicht in blindem Gehorsam besteht, sondern geradezu konstitutiv mit der Fähigkeit kritischer Reflexion einhergeht: „fides quaerens intellectum“ – eine Gläubigkeit, die in der intellektuellen Auseinandersetzung zu sich selbst findet, die mit den Mitteln von Vernunft und Verstand das Unbegriffene überwindet, um dem Unbegreiflichen in unverstellter Wahrheit begegnen zu können (vgl. Simone Weil, 1909-1943, „Das Unbegriffene verbirgt das Unbegreifliche“: «La raison ne doit exercer sa fonction que pour parvenir aux vrais mystères, aux vrais indémontrables qui sont le réel. L’incompris cache l’incompréhensible, et pour ce motif doit être éliminé.» (L’intelligence et la grâce).
Martyrium – öffentlicher Glaube
Mit diesen skizzenartigen Vorüberlegungen soll verdeutlicht sein, dass die so genannte Öffentlichkeitsarbeit der Kirche ihr eigenes Wesen reflektiert und realisiert. Wenn, wie Johannes Paul II. es in „Redemptor Hominis“ formulierte, der Mensch der Weg der Kirche ist, dann ist es ein Grundgesetz kirchlichen Handelns, sich verständlich zu machen und somit allen Versuchungen zu widerstehen, die den Glauben als ein „Arkanum“ definieren, das etwa vor der als böse phantasierten Welt zu schützen sei. Rückzug ist kein Rezept, wenn Kirche eine „Hilfe sein will, die entspricht“. „Überwindet das Böse durch das Gute!“
Eine heroisch-dramatische Aufgipfelung der christlichen Einsicht, dass die offenbarte Wahrheit im lauteren Zeugnis weitergegeben und so gesehen „publiziert“ werden muss, finden wir seit den ersten Tagen der Kirchengeschichte im Phänomen des Martyriums. „Wahrheit und Zeugnis“ sind Schlüssel-Korrelationen kirchlichen Handelns im Blick auf die offenbarte und geglaubte Wahrheit. Die Öffentlichkeit, der Areopag – auch unter der Bedingung kritischer Auseinandersetzung oder der Gefahr blutiger Verfolgung – ist die Bedingung der Möglichkeit kirchlicher Existenz. Als Jesus vor dem Hohen Rat verhört wird, antwortet er dem Hohenpriester (Joh. 18,20): „Ich habe offen vor aller Welt gesprochen. Ich habe immer in der Synagoge und im Tempel gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen. Nichts habe ich im Geheimen gesprochen.“ Oder erinnern wir uns an das Wort aus dem Lukas-Evangelium: „Deshalb wird man alles, was ihr im Dunkeln redet, am hellen Tag hören, und was ihr einander hinter verschlossenen Türen ins Ohr flüstert, das wird man auf den Dächern verkünden.“ (Lk. 12,3)
Pfingsten als fundamentales Ereignis und Modell kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit
Vor diesem Hintergrund kann und muss spätestens das Pfingstereignis als Geburtsstunde kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit gesehen werden. Der entsprechende Bericht der Apostelgeschichte lässt erkennen, dass die geistgewirkte Kommunikation alle Sprachbarrieren überwindet und das „Publikum“ der Kirche nach damaligem geographischen Kenntnisstand „international“, sozusagen „per definitionem grenzenlos“ verstanden wird. Negativ formuliert: es darf keine Limitierung auf „interne Kreise“ geben. Auch und gerade hier gilt das Wort Jesu „Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch soll es nicht so sein!“ (Mt. 20, 25-26) Interessant dürfte in diesem Zusammenhang auch die unmissverständliche Kritik des Apostels Paulus an der Gemeinde in Korinth sein „Was nützt es euch, Brüder, wenn ich komme und in Zungen vor euch rede, euch aber keine Offenbarung, keine Erkenntnis, keine Weissagung, keine Lehre bringe?“ (1 Kor. 14,6) Und: „Wenn du nur im Geist den Lobpreis sprichst und ein Unkundiger anwesend ist, so kann er zu deinem Dankgebet das Amen nicht sagen; denn er versteht nicht, was du sagst.“ (1 Kor, 14,16). Wir fühlen uns erinnert an das Wort des Apostels Philippus, der in den äthiopischen Kämmerer fragt „Verstehst du auch, was du liest?“ Jener antwortete: „Wie könnte ich es, wenn mich niemand anleitet? Und er bat den Philippus, einzusteigen und neben ihm Platz zu nehmen.“ (Apg. 8,30-31)
Wir können also festhalten: die Öffentlichlichkeitsarbeit der Kirche entspricht ihrem Wesen und ihrem Auftrag. Sie folgt damit zudem einem Urdatum biblischer Anthropologie, die der publizierten und im Diskurs erschlossenen Wahrheit den absoluten Vorrang gibt, und allen Versuchen eines gnostischen Geheimwissens widersteht, wie wir dies vereinzelt aus der Frühgeschichte des Christentums kennen. Die Versprachlichung und Verlautbarung dessen, was Kirche glaubt, denkt und tut, ist konstitutiv für ihr Selbstverständnis. Sie versteht sich als „Brief Christi“ (2Kor. 3,3) und „gibt Rechenschaft von ihrer Hoffnung“ (1Petr. 3,15).
Mit anderen Worten: Alles ist zur Besichtigung offen!
Ideal und Realität
Als „realitas complexa“, wie das Konzil (Lumen Gentium 8) feststellt, ist die Idealgestalt der Kirche hineingestellt in die Kompromisse, Kompromittierungen und Fragwürdigkeiten, die uns als Christen nicht nur schmerzen, sondern an denen wir auch als Mitglieder der Kirche unseren je eigenen Anteil haben. In seiner aufsehenerregenden Ansprache vom 22.12.2014, mit der er das versammelte Kollegium der Kurienverantwortlichen auf das Weihnachtsfest einstimmte, hat Papst Franziskus den Sachverhalt einer von Verirrungen und Krankheiten gelähmten Kirche beim Namen genannt und – auch dies ein vorbildliches Beispiel von Öffentlichkeitsarbeit! – einem weltweiten Auditorium nicht verschwiegen. Als kurz danach die journalistischen Reaktionen etwa davon gesprochen haben, dass „der Papst die Kurie abgekanzelt“ habe, wurde das literarische Genus seiner Ansprache vielfach verkannt. Es handelte sich nicht um eine „Philippika“ gegen einen zu reinigenden Augiasstall, sondern um eine vorweihnachtliche „Exhortatio“, eine Anregung zur Gewissenserforschung, die sich der Papst auch selbst auferlegte. Wie so oft beendete er auch die besagte Ansprache mit der Bitte „E, per favore, non dimenticate di pregare per me!“ Wer um das fürbittende Gebet für sich selbst wirbt, gehört eben gerade nicht zu jenen „Machthabern, die ihre Völker unterdrücken“. Die Sprache des Geistes ist nicht die der Anklage oder herabwürdigenden Kritik, sondern die offene, von ehrlicher Sorge bestimmte correctio fraterna (brüderliche Zurechtweisung). Wenn also das Ereignis des 22.12.2014 einen Neuheitswert hatte, dann bestand er darin, dass mit Mut und Wahrhaftigkeit öffentlich darüber gesprochen wurde, dass auch die hohe und höchste Geistlichkeit jenen Gefahren ausgesetzt ist und nicht selten erliegt, von denen etwa in der Geschichte von der Versuchung Jesu in der Wüste die Rede ist.
Geistliche Kriterien kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit
Mit dieser Feststellung kommen theologische, spirituell begründete Kriterien kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit in den Blick. In einer Welt, in der das Konfliktive über das Versöhnliche herrscht, kann und darf sich die Kirche in ihrem öffentlichen Handeln nicht einfach den vorherrschenden Gesetzmäßigkeiten und quotenträchtigen Spielregeln anpassen. Kirchliches Handeln ist von jenem prophetischen Geist bestimmt, der dem jungen Jeremia bei seiner Berufung mitgegeben wurde (Jer. 1,10): „Sieh her! Am heutigen Tag setze ich dich über Völker und Reiche; du sollst ausreißen und niederreißen, vernichten und einreißen, aufbauen und einpflanzen.“ Übersehen wir es nicht: „aufbauen und einpflanzen“ lautet der Schlussakkord prophetischer Berufung. Kirchliches Handeln in der Öffentlichkeit nimmt Teil am pastoralen Grundauftrag, an der Humanisierung der Gesellschaft und der Sensibilisierung für die Wahrheit und Wirklichkeit des Reiches Gottes. Deswegen dürfen der Kirche nicht alle Mittel recht sein, auch wenn es darum geht, sich vor Unrecht zu schützen und gegen Verleumdung zu verteidigen. Nicht die Versammlung hochbezahlter Anwälte und Medienberater, sondern das der eigenen Sendung treue Auftreten („sei es gelegen oder ungelegen“) sind die entscheidenden Wesensmerkmale kirchlicher „Strategien“. Der nachdenkliche Satz in der Psalmenerklärung des Hl. Augustinus, dass man dort, wo man einen Feind zu hassen meint, es für gewöhnlich unwissend mit einem Bruder zu tun habe, kann den Furor mäßigen und kirchliche Öffentlichkeitsarbeit von dem alten Rat(.. damit nichts Törichtes daraus entsteht – et respice finem, Äsops Fabel 45) inspiriert sein lassen. Das alles hat mit jener Macht und Ohnmacht zu tun, die im Evangelium vielfach vorhergesagt wird und bleibender Maßstab ist. Weil die Kirche von ihrem Wesen her missionarisch ist (Vaticanum II), ist jegliches öffentliches Handeln immer auch prophetisch-missionarischer Einsatz, der seine Frucht nicht im unmittelbaren Erfolg, sondern in der Langzeitwirkung des ausgesäten Samens hat. „Lasst alles wachsen bis zur Ernte!“ (Mt. 13,30). „Dein Auge gibt dem Körper Licht!“ (Lk. 11,34).
Kirche ist kein Selbstzweck, es kann ihr nicht darum gehen, für sich eine „gute Presse“ zu erobern. Wenn Kirche Gutes tut und davon redet, dann ist dies ein Werk des Friedens, eine Erinnerung an die Wesensbestimmung des Menschen zur Solidarität und zur Wahrung seiner unteilbaren Würde. Der im 2. Vaticanum vielfach betonte Aspekt der „communio“ darf von der Kirche nicht nur „ad intra“ verstanden werden. Sie leistet ihren genuinen Beitrag gerade dadurch, dass sie mithilft, dass eine stabile Völkergemeinschaft entsteht und die Botschaft des Humanum alle Menschen guten Willens erreicht. Wo immer also Kirche sich auf den Areopagen dieser Welt engagiert, macht sie sich zur Anwältin des Menschen und des Menschlichen. Dies ist ihre Mission, wesentlich und unverzichtbar. Dass eine auch von der Kirche aktiv mitgetragene publizistische Kultur ein wesentlicher Beitrag zur Wertegemeinschaft und zum Gelingen von Demokratie und Rechtsstaat ist, steht außer Frage.
Lassen Sie mich an dieser Stelle an eine mir unvergessliche Aussage von Claude Dagens, dem Bischof von Angoulême, erinnern. Auf meine zugegeben etwas hilflose Frage, wie viele Gläubige denn in seinem Bistum leben würde, antworte er sehr spontan: „J’ais pas, on est là pour tous“. Dieses „Für alle da sein“ ist gleichsam der Artikel 1 in der Verfassung der Kirche Jesu Christi.
Daraus folgt, dass alle notwendigen Anstrengungen unternommen werden müssen, reaktionsschnell und „auffindbar“ zu sein, ansprechbar und identifizierbar. Dies ist nicht nur eine technische, sondern vor allem eine spirituelle Herausforderung. Sie beinhaltet, dass sich die Kirche als Dolmetscherin und Vermittlerin anbietet, wo und wie immer um den Weg des Menschen in einer gerechten Welt gerungen wird. So gesehen ist Kirche ein „social network“ im doppelten Sinn: gesellschaftsrelevant und im innersten Wesen „sozial“. Ihre Öffentlichkeitsarbeit ist „Liturgie“ im ursprünglichen Sinn des Wortes: „leitourgía“, Dienst an der Gemeinschaft. Dazu gehört eine Ästhetik der Sprache und der Bilder, der stilbildende Einsatz in einer bekanntermaßen vielfältigen Kakophonie.
Die öffentliche Sprache der Kirche ist hierbei nicht nur eine Sache der effektvollen Intelligenz, sondern auch der bekundeten Umkehrbereitschaft und der Bitte um Entschuldigung, wenn falsch gehandelt wurde. Ein weiterer Aspekt dürfte die erklärte Bereitschaft zur vertrauensvollen Kooperation zwischen den medienschaffenden kirchlichen Instanzen sein. Bisweilen gewinnt man den Eindruck, dass ein Konkurrenzmodell vorherrscht und eine Überbetonung des je Eigenen, etwa der diözesanen Eigenständigkeit, dazu führt, dass Synergien verpasst und die Außenansicht der kirchlichen Player fast einem „seht, wie sie einander misstrauen“ gleicht. Die Kirche gewinnt, wenn sie sich lernfähig und lernbereit zeigt; so wie schon die ersten Anhänger Jesu, gewissermaßen seine „follower“, als „discipuli“, als Lernende bezeichnet wurden. Die öffentliche „Mission“ der Kirche beinhaltet eine geistgeleitete Inkulturation auf dem noch immer nicht ganz entdeckten Kontinent des Internet, der nicht verteufelt, sondern getauft sein will.
Natürlich besteht kein Zweifel: auf diesem Kontinent wimmelt es von Geschäftemachern und Taschendieben, Wegelagerern und Räubern. Als barmherziger Samariter ist Kirche mit prophetischem Auftrag gesandt, Unrecht zu denunzieren und den unter die Räuber Gefallenen beizustehen; die wirklich großen Player verbergen sich oft hinter ihren anonymen und leider oft menschenverachtenden Geschäftsmodellen. Es geht also um eine aktive, um eine pro-aktive Öffentlichkeitsarbeit. Es genügt nicht, wie jede auf Reputation bedachte Institution lediglich Zahlen und Charts veröffentlichen und gleichsam auf „Volksempfängern“ gleichenden Einbahnstraßen unter die Leute zu bringen - das gehört inzwischen zu jeder halbwegs zeitgemäßen Unternehmenskultur. Nein, es geht darum, sich mit einem eigenen cantus firmus im Konzert des Publizierten einzubringen, auch auf die Gefahr von Missverständnissen und eigener Kontamination hin. Wer sich nicht die Hände schmutzig machen will, dessen Hände bleiben leer: und nach den leeren oder aber gefüllten Händen wird Kirche gemäß der Aussagen der Gerichtsszene von Matthäus 25 beurteilt.
Journalismus versus Öffentlichkeitsarbeit?
Als ich meinen Dienst als Geistlicher Direktor im ifp angetreten habe, wurde ich sehr bald mit einem vermeintlichen Gegensatz konfrontiert, der mit dem Stichwort „Journalismus versus Öffentlichkeitsarbeit“ charakterisiert werden kann. Dahinter steht die nicht immer belegte Behauptung, dass Öffentlichkeitsarbeiter Menschen seien, die ihre journalistische Seele verkauft hätten und sozusagen nur dem einen Ideal verpflichtet wären, ihre Institution medienwirksam zu präsentieren, unter Hintanstellung aller Kriterien eines fairen und werteorientierten Journalismus. Ich will nicht in Abrede stellen, dass es diesen Typus von Öffentlichkeitsarbeit gibt, wie ich auch nicht ausschließen möchte, dass es korrumpierten Journalismus gibt. Bei der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit, wie ich sie mir wünsche und wie sie vom Geist des Evangeliums auch gefordert ist, kann und darf es keinen Gegensatz zwischen Professionalität und Konfessionalität geben. Wobei ich Konfessionalität im ursprünglichen Sinn des Wortes verstehe: dass einer in der Verantwortung seines Gewissens zu dem steht, was er feststellt, behauptet und verlautet. Wahrhaftigkeit und Transparenz bedingen sich gegenseitig.
Kirche agiert in diesem Kontext in mehrfacher Hinsicht: Kirche ist selbst Medium, bedient sich der Medien, ist Gegenstand der Medien, sie kritisiert Medien, und sie muss sich folglich auch kritisieren lassen. Zurückliegende „Skandale“, von deren Folgen sich die Kirche bis heute nicht erholt hat, waren u.a. auch Negativbeispiele unsachgemäßer Öffentlichkeitsarbeit. Als etwa im unseligen „Missbrauchsjahr 2010“ der Tsunami öffentlicher Kritik bei der Kirche den Buhmann schlechthin ausgemacht hatte, gab es vielfältige mehr oder weniger hilflose Reaktionen seitens der Verantwortlichen. Da wurde ignoriert, vertuscht, empört auf andere Skandalherde verwiesen, es wurden Gegenangriffe gestartet. Die Stimmen derer, die mit Verweis auf Verantwortung und Wahrhaftigkeit ein Höchstmaß an Transparenz einforderten, wurden nicht selten als Nestbeschmutzer denunziert. Es gab auch die subtileren, will sagen: raffiniertere, Reaktionen von vermeintlicher Einsicht. Aber auch da galt, dass „nur die halbe Wahrheit sagen eben doch auch gelogen ist“. Heute wissen wir, dass keine noch so ausgeklügelte Strategie der Gesichtswahrung auf Dauer davor bewahren wird, dass am Ende doch alles ans Licht kommt. In stilbildender Prophetie sollten kirchliche Akteure mutig in der ersten Reihe stehen, wenn es darum geht, Unrecht aufzudecken und Lügen zu enttarnen. Das christliche Ethos dieses Vorgangs muss freilich immer auch darin bestehen, dass zwischen Sünder und Sünde getrennt: also das Persönlichkeitsrecht gewahrt und – wenn es sein muss – verteidigt wird.
Ein anderes Beispiel könnte der sattsam bekannte Finanzskandal sein. Dies braucht hier nicht auch noch ausgeführt zu werden. Nicht ganz nebensächlich freilich dürfte eine Episode aus dem Verwaltungsrat der Deutschen Bistümer sein. Als vor Jahren eines der jüngeren und damit auch ärmeren Bistümer für eine rückhaltlose Offenlegung der Kirchenfinanzen plädierte, wurde dies vom Finanzdirektor eines der „reicheren“ zurückgewiesen und spöttisch so kommentiert: „Wer nichts hat, braucht auch nichts verbergen!“
Ein entsprechender Mentalitätswandel und Paradigmenwechsel beschäftigt uns derzeit, nicht zuletzt unter einem starken persönlichen Impuls aus Rom.
Um das Gesagte noch einmal zu konkretisieren: ich hatte im Frühjahr 2010 einen substantiellen Schriftwechsel mit einem SWR-Redakteur, den ich aus Respekt auch namentlich erwähnen und im Wortlaut zitieren will: Clemens Bratzler. Ich hatte ihn adressiert, um mich bei ihm für eine in meinen Augen sehr faire Berichterstattung über einige Details des Missbrauchsskandals im Jesuitenkolleg von St. Blasien zu danken. In vorbildlicher Freimütigkeit antwortete er mir damals (11.02.2010): „Journalisten können (in vielen Fällen sollten sie sogar) eine Haltung haben, wenn sie an ein Thema herangehen, aber sie müssen stets bereit sein, diese Haltung zu ändern, wenn sie durch Tatsachen widerlegt wird. Das ist mein Credo, allerdings sieht die Praxis leider nicht immer so aus. Denn oftmals ist die Wirklichkeit leider viel weniger plakativ, skandalös oder spannend als es sich der Reporter oder der Planungsredakteur am Schreibtisch gedacht haben. Dazu kommen noch Zeit-, Konkurrenz- und Quotendruck. Und dann wird das, was nicht passt, eben irgendwie passend gemacht. Zynisch formuliert: Wer will sich schon eine gute Geschichte durch allzu viel Recherche kaputtmachen lassen? Auch wir sind - das gebe ich zu - vor solchen Fehlern leider nicht ganz gefeit, auch wenn wir uns sehr bemühen, sie zu vermeiden. Ihren Brief sehe ich als Aufmunterung, sich hier weiter anzustrengen und sich nicht vorschnell mit einfachen Antworten zufrieden zu geben. Ich hoffe sehr, dass uns das immer gelingt und dass wir - wenn es mal nicht der Fall war - die Größe besitzen, dies dann auch zu korrigieren.“
Dienmut und Bescheidenheit
Eine solche Grundhaltung adelt jeden, der in der publizistischen Arbeit steht. Wenn das Institut, in dem ich derzeit arbeite, sich der „Förderung publizistischen Nachwuchses“ verschrieben hat, dann muss es neben der professionellen Beherrschung des journalistischen Handwerks auch und gerade darum gehen, die ethischen Grundlagen für das spätere berufliche Tun zu legen, ganz gleich, ob es seinen Schwerpunkt im Journalismus oder in der Öffentlichkeitsarbeit haben wird. Wo es um Wahrheit und Wahrhaftigkeit geht, kann keiner für sich reklamieren, er habe sie für sich gepachtet. Für christlich inspirierte Öffentlichkeitsarbeit sind Demut und Dienmut wegweisende Begriffe. Als Jesus seine Jünger in die Städte und Dörfer aussandte, wird bei Lukas (Lk. 10,1) vielsagend angemerkt: „in die er selbst kommen wollte“. Die Öffentlichkeitsarbeit der Kirche hat etwas von der Gestalt des Vorläufers, des Vorläufigen. Kirche verkündigt nicht sich selbst, bringt nicht sich selbst ins Spiel der Publikationen, sondern ist auf Christus bedacht (2 Kor. 4,5), auf seine Publizität und sein Publikum.
Was Paulus von seinem eigenen Amtsverständnis sagt, dass er nicht „Herr des Glaubens, sondern Diener der Freude sein will“ (2 Kor. 1,24), gilt mutatis mutandis auch von kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit: nicht besserwisserische Belehrung oder Schönfärberei, sondern ein unprätentiöser Dienst an den Fakten und an der dahinter liegenden Wahrheit muss das Ziel sein. Und auch wenn wir aus Erfahrung wissen, dass wir beim Erreichen dieses Ziels nicht immer „den Zwölfer“ treffen, muss man wenigstens dorthin zielen. Wer von vorneherein die hohen Standards aus dem Auge verliert, wird sich nicht wundern müssen, wenn er irgendwann auch die letzte Selbstachtung verliert, als Opfer der eigenen Arroganz, Rechthaberei oder Formulierungsakrobatik.
Alles wirkliche Leben ist Begegnung
Im großen Seminarraum unseres ifp in München steht an der Längswand der Prolog des Johannesevangeliums geschrieben. Ich kann nicht beurteilen, ob die Studierenden ab und zu ihre Blicke verweilen lassen auf jenen unerhörten Worten vom menschgewordenen Gott und von der Fleischwerdung des Logos in einer Finsternis, die ihn nicht er- oder begriffen hat. „Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er die Macht, Kinder Gottes zu werden“ fährt der Hymnus am Anfang des Johannesevangeliums fort. Wenn wir uns über theologische Aspekte kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit Gedanken gemacht haben, dann gilt staunend festzustellen, dass alles menschliche Reden und Verlauten zu tun hat mit jener ursprünglichen Theo-Logie, dass nämlich unser Gott sich geoffenbart und uns als Menschen geschaffen hat, die redend und schreibend kommunizieren können. „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“, stellt Martin Buber fest. Theologie betreiben heißt: das Wort Gottes „um der Menschen willen“ lieben und ihm im eigenen Leben einen Resonanzboden zur Verfügung zu stellen: damit das Evangelium zur Welt kommen kann.
Kirchliche Öffentlichkeitsarbeit ist also nie Propaganda, sondern Dienst an der Wahrheit und an der Sehnsucht des Menschen nach Licht und Heil.
Dieser Beitrag wurde als Vortrag im Katholisch Sozialen Institut, Bad Honnef bei dem 12. Forum für kirchliche Öffentlichkeitsarbeit am 29.1.2014 gehalten. Wolfgang Sauer ist Geistlicher Direktor des Instituts zur Förderung des publizistischen Nachwuchses, München. Das ifp wird von der katholischen Kirche getragen.
Gastbeitrag von Wolfgang Sauer
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