(explizit.net) Barack H. Obama ist ein brillanter Redner. Das konnten 2.000 Jugendliche am Mittwoch bei seiner Brüsseler Rede feststellen. Er scheute sich gar nicht vor Eingeständnissen wie: „Wir sind vor allem Menschen, die Fehler machen; wir fällen schwierige Entscheidungen darüber, wie wir die Macht ausüben. Aber ein Teil von dem, was uns heraushebt ist, dass wir Kritik begrüßen wie auch Verantwortung in der globalen Führung.“ Wer am 26. März genau zugehört hat, wird die feinen Widersprüche bemerkt haben, die sich gleichwohl auf seinen Kurs in der gegenwärtigen Krise um die Ukraine und in Mittelost niederschlagen.
Vorausgeschickt sei, dass die meisten Zuhörer wohl ein klares Programm erwartet hätten, wie Amerika und Europa nun Wladimir W. Putins Aggression und Expansion begegnen sollten. Dies, wie die Rolle der fast vergessenen NATO, blieb schwach und vage. Statt dessen wich der Präsident dahin aus, was er am liebsten tut: abstrakter über die Welt und ihre Prinzipien zu philosophieren, wie zum Beispiel alle Männer und Frauen seien gleich erschaffen. Die Geschichte des vorigen Jahrunderts erweise, wie dazu die alten und neuen Einsichten kollidierten. Amerika und Europa wiesen die dunklen Mächte zurück und begründeten eine neue Architektur des Friedens. Bausteine waren der Marshall-Plan, die NATO und repräsentative Demokratien mit individuellen Rechten und offenen Märkten.
Novum
Auf der anderen Seite lief das Leben hinter dem Eisernen Vorhang. Für Dekaden gab es einen Wettbewerb, der schließlich nicht durch Panzer oder Raketen gewonnen worden sei, sondern durch Ideale in den Herzen der Ungaren, Polen, Tschechen und Ostberliner, die an den Grenzsoldaten vorbei gingen und endlich diese Mauer niedergerissen haben.
Als einstiger Ostberliner fällt mir auf, dass Obama stets die Rolle der militärischen Macht herunterspielt. Am Ende besiegten Sowjetpanzer und Raketen jeden Widerstand 1953 in Berlin, 1956 in Budapest und 1968 in Prag. Umgekehrt geriet das Wettrüsten zum Punkt, in dem das unhumane System schließlich versagte. Und Michail S. Gorbatschows Rede 1989, sein Militär würde nicht eingreifen, wenn die Ostdeutschen das Regime zu kippen suchten, gab die Bahn für deren friedliche Revolte frei. Bei allem sorgte die angedrohte beiderseitige Vernichtung mit dafür, daß aus dem Kalten Krieg kein Heißer Krieg wurde.
Obama meinte, dass dieses Rennen anders fortdauere und Technologie es den Terroristen erlaube, in Horrordimensionen zu töten. Dem sollten auch die jungen Generationen im Sinne der UN-Menschenrechte widerstehen. Jedoch käme kein neuer Kalter Krieg, denn Rußland führe keinen Block von Nationen an und es gebe keine globale Ideologie mehr.
Man muss ihm widersprechen. Flexible Blöcke mit diversen Nationen und Ideologien richteten sich auf: Rußland, China, Nordkorea, Iran, Syrien und andere. Mischideologien verschränken sich mit linken, nationalistischen und islamistischen Strängen. Global sind sie für dynamische Plattformen, Phasen und Erdregionen komplementär genug. Das Neue erwächst auch daraus, dass sich Konflikte im Innern von Staaten mit ungeahnter Intensität im globalen, regionalen und lokalen Wechselspiel innerer und äußerer Achsen als Folge der Globalisierung abspielen. Wehe, wer dabei schon seinem Nationalstaat entsagen will.
NATO
Zwar behält das Bündnis seit 60 Jahren seinen Paragraph fünf, wonach ein Angriff auf einen Partner die Solidarität aller ihrer Paktteilnehmer zugleich herausfordert. Obama bekannte sich dazu, wies aber auch auf die Schwächen der Allianz hin. Nur vier Länder geben mehr als vier Prozent ihres Nationaleinkommens für Rüstung aus, die meisten ein bis zwei Prozent. Ein enorme Lücke zum kriegsmüden Amerika. Dennoch will Obama es auf den Stand vor dem Zweiten Weltkrieg abrüsten. Er wollte zudem auch möglichst alle Kernwaffen abschaffen und sagte die vereinbarte Raketenabwehr in Osteuropa gegen Iran (und Russland) ab, um Putin entgegen zu kommen. Abermals sprach er in Brüssel davon, dass die Krise um die Ukraine keine militärische Lösung habe. Wer riskiert schon für die Krim einen Weltkrieg? Wer einmal wegschaut, könnte bald der Nächste sein, so oder so.
Nur derjenige sichert wirklichen Frieden, der selbst resolut ist und eine Kombination von gestaffelten Faktoren einsetzt. So gedieh der äußere Rahmen im Kalten Krieg, wo dann der innere Widerstand gegen die Regimes den Ausschlag gab. Die euroamerikanischen Schwächen, an der Spitze wie in der Basis, bahnen Putin weitere Wege, sein altes Reich auferstehen zu lassen. Also ist dies jetzt seine Stunde. Fraglos findet er viele Imitatoren.
Westasien
Nach seiner Rede eilte Obama nach ar-Riyadh, um mit König Abdullah den Syrienkrieg und das Tauziehen um Nukes in Teheran zu besprechen. Zwei Stunden nahmen sie sich am Freitag, den 28. März, im Gartenpalast in der Wüste. Sie blieben sich uneins, ob und wie die moderate Opposition im Bürgerkrieg gegen Bashshar al-Asad gestärkt werden könne. Dies zu einer Zeit, wo extreme Gruppen auf den beiden Kernseiten mehr Hilfe durch den Iran und die Hizballah sowie durch al-Qaida im Irak und Jemen erhalten. Da Obama wenig zu raschen Entschlüssen oder Militärhilfe neigt, Rote Linien zum grünen Signal werden läßt, steht seine Wende gegenüber dem dreijährigen Waffengang noch aus. Dafür verlieh der Aktivistin Maha al-Munif den Mutpreis, die den Familienschutz leitet.
Was Wunder, al-Asad bereitet nunmehr alles vor, um siegreich aus den für den Sommer anberaumten Präsidialwahlen hervorzugehen. Er will gern noch einmal sieben Jahre im Amt verbleiben. Heute stellt er sich als Kämpfer gegen die Terroristen dar, sitzt aber auf einem hohen Berg an Toten. Von dort, wo seine Truppen in Damaskus, Hums und in den Grenzregionen zum Libanon stabil die Stellung halten, kommen Berichte über Wahlforen zu seinen Gunsten. Seine Frau Asma erschien am 21. Mai zum arabischen Muttertag im Fernsehen, wie sie sich mit Müttern vermisster Soldaten traf. Die Wahlen werden sodann zur inneren Angelegenheit erklärt und al-Asad regiert mit Putins und Irans Segen weiter.
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Indes feierte man in Teheran das Nuruz-Frühjahrsfest. Der „Führer der Revolution“ Ali Khaminai hielt am 21. März eine Rede. Da sich seine Kanzlei jüngst der modernen Medien bedient, waren viele Sätze aus dieser Ansprache gleich als Twitter verfügbar. Zwei davon lauten so: „Der Holocaust ist ein Ereignis, dessen Realität unsicher ist, und wenn es ihn gab, dann ist offen, wie er geschah.“ Und: „Wagt sich irgend jemand in Europa über den Holocaust zu sprechen?“ Er sollte Ari Babaknias persisches Buch zum jüdischen Genozid lesen. Fragt sich nur, ob das Auswärtige Amt oder das Kanzleramt auf jene Ansprache Khaminais mit einer aufklärenden Note reagiert haben. Wer könnte es denn direkter tun?
<emphasize>Wolfgang G. Schwanitz</emphasize>
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