Foto: Christian Schnaubelt

Normandie und Bergdahl

(explizit.net) Alle schauten hoch zur Jetformation, die bunt am Himmel über der Normandie entlang brauste. Auf Erden gemahnte ein Totenkreuzmeer an Gefallene der Alliierten, die solche Küstenstreifen wie Ouistreham und Omaha gegen die Nazitruppen erstürmt haben. Ihr Einsatz beendete die Nacht dieser totalitären Diktatur, die beinahe die Welt erobert hätte. Frankreichs Präsident Hollande lud zum 70. Jahrestag des amerikanisch-französischen Gedenkens am Decision-Day ein. Dort versammelten sich 18 Oberhäupter am Freitag, den 6. Juni. Unter ihnen weilten Königin Elizabeth II, Prinz Charles, Präsident Obama, Kanzlerin Merkel, aber auch die Kontrahenten Putin und Poroschenko. Zwar drehten sie einander ihre Rücken zu, doch nicht mehr, als Angela Merkel mit dem Russen und dem Ukrainer redete. Das Treffen unter lachender Sonne strahlte Vernunft und Hoffnung aus.

(explizit.net) Alle schauten hoch zur Jetformation, die bunt am Himmel über der Normandie entlang brauste. Auf Erden gemahnte ein Totenkreuzmeer an Gefallene der Alliierten, die solche Küstenstreifen wie Ouistreham und Omaha gegen die Nazitruppen erstürmt haben. Ihr Einsatz beendete die Nacht dieser totalitären Diktatur, die beinahe die Welt erobert hätte. Frankreichs Präsident Hollande lud zum 70. Jahrestag des amerikanisch-französischen Gedenkens am Decision-Day ein. Dort versammelten sich 18 Oberhäupter am Freitag, den 6. Juni. Unter ihnen weilten Königin Elizabeth II, Prinz Charles, Präsident Obama, Kanzlerin Merkel, aber auch die Kontrahenten Putin und Poroschenko. Zwar drehten sie einander ihre Rücken zu, doch nicht mehr, als Angela Merkel mit dem Russen und dem Ukrainer redete. Das Treffen unter lachender Sonne strahlte Vernunft und Hoffnung aus.

Nichts ist selbstverständlich, führt man an sich den Tag dieser Befreiung vor Augen. Laut US-Angaben brachten die Alliierten 160.000 Mann in die Normandie, darunter 73.000 Amerikaner sowie anderenorts 83.115 Briten und Kanadier. Von ihnen fielen am 6. Juni etwa 10.000: 6.603 Amerikaner, 2.700 Briten und 946 Kanadier. Nach dem deutschen Angriff am 8. August brachen die Alliierten Mitte August durch. Am 25. August waren sie in Paris. Von D-Day bis 21. August landeten sie zwei Millionen Soldaten im Norden Fankreichs. Der Preis bedeutete 226.386 Tote und Verletzte. Deutsche verloren 240.000 Mann, 200.000 Gefangene. Der US-Friedhof birgt 9.387 Tote, auch 33 Mal zwei Brüder.

Westeuropa

Bis zu jenem Treff der Oberhäupter war es ein langer Weg. Sie begründeten gemeinsame Werte, durch die die alliierte-westdeutsche sowie die Bonn-Pariser Aussöhnung glückten. Präsident Charles de Gaulle und Kanzler Konrad Adenauer schlossen den Élysée-Vertrag als Eckpfeiler der Westeuropäischen Union ab. Das hielt bis zur deutschen Einheit, nach der Helmut Kohl im Zwei-plus-Vier-Vertrag am 12. September 1990 mit den Alliierten die Nachkriegszeit abschloß: Deutschland blieb in der NATO, Sowjettruppen zogen ab, die letzten 1994 ab. Die Vier Mächte beendeten ihre Rechte und Pflichten. Berlin bejahte die Oder-Neiße-Grenze, verzichtete auf Ostgebiete, ABC-Waffen, deren Proliferation und bejahte Truppenlimits der Bundeswehr. Die deutsche und europäische Einheit verflochten sich.

Osteuropa

Das Friedliche ist wunderbar, aus Gegeneinander wurde Miteinander. Doch geriet Iraks Einfall in Kuwait am 2. August 1990 zur Nagelprobe: eine Koalition befreite das Ölland im Folgejahr. Berlin orientierte sich global um. Deutschland hatte bei der Einheit sechs Millionen Migranten, wurde am Millennium Einwanderungsland. Seine europäische und transatlantische Politik ist grundsolide. Sein Mittelostkurs entsteht. Merkel gedachte des millionenfachen Leids der Weltkriege, des Holocausts und der Teilung Europas. Geteilte Werte seien unvereinbar mit Krieg, Gewalt und Vorurteilen. Sie legte auf dem Friedhof Ranville einen Kranz nieder, wo unter 2.000 Soldaten auch über 300 Deutsche ruhen. Die Kanzlerin führt geschickt in der neuen Krise, die Europa bewegt. Ihr Kurs des Dreiklangs aus Hilfe für die Ukraine, Dialog mit Moskau für eine Friedensregelung und aufgestuften Sanktionen wirkt. Eine gemeinsame Geschichte erlaubt keine Gebietsansprüche an einen anderen Staat. Die Annexion der Krim ist widerrechtlich. Dass Wladimir W. Putin in der Normandie weilte, war gut. Viele sehen ihn lieber voll isoliert. Aber so erhält er Chancen.

Europawahlen

Andererseits stimmten Angela Merkel und Barack H. Obama ihre nächsten Schritte mit Präsident Petro O. Proschenko ab. Diese Krise ist längst nicht ausgestanden, zu der noch die Euroskepsis kommt, wie es 400 Millionen am 25. Mai im Rechtsruck bei Eurowahlen mit einer Beteiligung von 48 Prozent (2009: 43) anzeigten. Die Sorge ist begründet, denn es kam zu viel, zu rasch, zu bürokratisch. In Brüssel verfügen viele Ungewählte über die Mittel und können kaum zur Rechenschaft gezogen werden. Dies muss sich ändern, das schadet der Demokratie, die indessen noch immer kein Konkurrenzmodell erfahren hat. Denn weder Rußland noch China können dieses bieten. Beide erleben enorme Probleme. Indes ereilt Demokratien ein Verfall, wie auch Debatten um Bowe R. Bergdahl erhellen.

Bergdahl

Vor den Feiern in der Normandie kam die Nachricht, Präsident Obama habe am 31. Mai für den Gefreiten Bergdahl (automatisch wurde er in seiner Haft Sergeant, doch wies er eben die Beförderung zurück) fünf Talibanhäftlinge aus Guantanamo getauscht, die nach Qatar ausreisten: Exgeheimdienstchef Abd al-Haq Wasiq, Exgouverneur Nur Allah Nuri, Exinnenminister Khair Allah Said Wali, aus dem Kabulbüro Muhammad Nabi Umari und Exverteidigungsminister Muhammad Fazl, der Verbrechen gegen die Schiiten verübt hat.

Samstag, den 31. Mai, trat Präsident Obama im Rosengarten mit Bergdahls Eltern und verkündete den Austausch. Er hoffte wohl auf einen weiten Zuspruch im Lande, sah aber das Gegenteil. Seither machte er sich zwei Drittel der Amerikaner zu Kritikern. Zwar verstehen sie das Glück der Eltern Jani und Bob, nach fünf Jahren Haft bei den Taliban ihren Sohn zurückzuhaben, wobei dessen Vater den Anfang einer Koransure auf Arabisch vor laufenden Kameras aufsagte. Doch empfinden viele diesen Austausch als Niederlage.

Damit vertraute Parlamentarier wandten sich vorab dagegen wie Dianne Feinstein. Sie vermißte den größeren Rahmen einer Verständigung. Mike Rogers meinte, damit seien die Taliban gestärkt worden. Es war ein großer geopolitischer Fehler. Sechs Soldaten der Gruppe, die mit Bergdahl dienten, sagten am 5. Juni im TV, er beging Fahneflucht. Der Verdacht besteht, er sei Jihadist geworden. Es wären nicht nur Militärs bei seiner Suche gefallen, sondern Angriffe seien genauer geworden. Außenminister John Kerry wies die Vermutung ab, Terroristen würden ermuntert, nun noch mehr Amerikaner zu kidnappen.

Wieso kam dies nicht im Friedensrahmen, abgestimmt mit Kabul? Seit November 2010 gab es US-Kontakte mit den Taliban in München. Aber erst am 23. Mai 2014 wurde alles ausgehandelt. Floß Geld an das mit den Taliban liierte Haqqaninetz in Waziristan? Wer überwacht die Fünf in Qatar, ein Jahr nicht heimzukehren, politisch aktiv zu werden? In der Hauptstadt Duha ist eine Vertretung der Taliban. Diese nutzten ihre Chance für ein Propagandavideo zum Austausch: ein Black-Hawk-Hubschrauber zieht mit Bergdahl ab. Ähnelte das dem US-Ende in Saigon? Obama will den Krieg beenden, jedoch nicht seine Gegner. Diese feiern ihren Sieg, denn er lenkte zu deren Auflagen ein. Wohin führt dies 2016, wenn die Alliierten voll abziehen? Wer es erahnen will, der schaue nach Irak. Ein Krieg, der nicht wie in der Normandie den Sieg brachte. Was, wenn der globale Waffengang noch immer wie am Anfang läuft, sich aber demokratische Führer weiterhin so verwirrt erweisen?

<emphasize>Wolfgang G. Schwanitz</emphasize>

Das Foto zeigt die Friedensglocke in der Kathedrale von Bayeux.

 



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