(explizit.net) Es beginnt ein Risikojahr im Regionaldreieck Amerika, Mittelost und Europa. Nach Israel reist Kanzlerin Angela Merkel Ende Februar auf Einladung des Premiers Benjamin Netanjahu im Rahmen jährlicher Konsultationen. Beide hatten am Donnerstag miteinander telefoniert. Sie haben viel zu bereden, zumal der Übergangspakt der sechs Mächte mit Iran am 20. Januar auf ein halbes Jahr in Kraft treten soll. Teheran akzeptiert darin, seine Nuklearaktivitäten zu begrenzen. Im Gegenzug lockern jene sechs Staaten das Embargo. In dem Halbjahr soll ein dauerhaftes Abkommen für den Verzicht auf das militärische Atomprogramm durch Iran verhandelt werden. Überwachen wird das die Internationale Atomenergie-Organisation der Vereinten Nationen (IAEA). Inzwischen gingen die Entwürfe der Übereinkunft auch nach Berlin, Bejing, London, Moskau, Paris und Washington. Die Abstimmung dazu zwischen Amerika und Israel ist diesmal wohl etwas besser gelaufen.
Sicher wird der Text noch unter die Lupe genommen. Denn es beginnt ein Risikojahr mit vielen Grundbeschlüssen im Regionaldreieck Amerika, Mittelost und Europa. Um nur einige Punkte zu nennen: bis Mittwoch stimmen Ägypter über ihren Verfassungsentwurf ab. Der Islamismus der Expräsidenten Muhammad Mursi sowie der Arabische Sozialismus Abd an-Nasirs, Anwar as-Sadats und Husni Mubaraks entfielen. Indes zog Demokratie ein, zumindest im Ansatz. Erstmals dürfen Andersgläubige – konkret Juden und Christen – „ihren Scharias“, nicht mehr dem islamischen Gesetz folgen. Im Regionalfokus sind zudem Syrien samt Nachbarn Israel, Jordanien, Libanon und Irak nebst Saudi-Arabien und den Golfstaaten, die hoffentlich dauerhaft diesen Kriegsbrand löschen werden. Dann soll der Friedenspakt unter Israelis und Palästinensern folgen. Gar nichts gilt als sicher.
Berlin
Angesichts dessen fragt es sich, was die Bundesregierung diesbezüglich angeschoben hat. Angela Merkel telefonierte am Mittwoch mit Präsident Barack H. Obama. Es ging um Investitions- und Handelsabkommen sowie um den Nato-Gipfel. Die Kanzlerin wird in den nächsten Monaten nach Washington fliegen. Im bilateralen Verhältnis gab es ernste Störungen, nachdem die massive Lauschaffäre bekannt geworden war. Dies schlug sich im Koalitionsvertrag nieder: eine Überwachung der Nutzerinnen und Nutzer des Internets solle gesetzlich untersagt werden. Datenschutz für und durch Bürger rangiert ganz oben.
Im Koalitionsvertrag der drei großen Parteien heißt es auch, auf eine weitere Aufklärung zu drängen, wie und in welchem Umfang ausländische Nachrichtendienste Bürgerinnen und Bürger sowie die deutsche Regierung ausspähen. Um Vertrauen wieder herzustellen, werde man ein legal verbindliches Abkommen zum Schutz vor Spionage verhandeln. Damit sollen die Bürger, Regierung und Wirtschaft vor „schrankenloser Ausspähung“ geschützt werden. Berlin verstärke die Spionageabwehr. Die Kommunikation und ihre Infrastruktur müsse sicherer werden. Dies gelte ebenso für die europäische Ebene.
Nötig sei ein neuer Rechtsrahmen für den Umgang mit Daten. Ziel sei eine internationale Konvention für den weltweiten Schutz der Freiheit und der persönlichen Integrität im Internet. Die laufende Verbesserung der europäischen Datenschutzbestimmungen wäre kräftig voranzutreiben. Auf dieser Basis sei das Datenschutzabkommen mit Amerika zügig verhandeln. Ob Washington dieses Vertrauensproblem wirklich voll erkannt hat?
C-Waffen
Obwohl der Koalitionsvertrag den Einsatz von chemischen Waffen in Syrien vermerkt und dass neue Initiativen geboten wären, hatten Bürger noch die Absage Merkels im Ohr, trotz der vorhandenen deutschen Kapazitäten zur Vernichtung von C-Waffen dafür nicht zur Verfügung zu stehen. Sicher schwangen hier die erwähnten Turbulenzen im deutsch-amerikanischen Verhältnis mit. Daher kam es doch überraschend, dass die Ministerin für Verteidigung, Ursula von der Leyen, am Donnerstag meinte, mit die syrischen C-Waffen vernichten zu können. Man habe auch im niedersächsischen Munster die Technologie und Erfahrung dafür.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier räumte noch eine mögliche Kritik daran durch die Umweltbewegung ein, sagte aber, dies wäre auch eine Sache der Glaubwürdigkeit gegenüber dem syrischen Bürgerkrieg in einer Zeit, in der die Mächte versuchten, diesen Waffengang durch Gespräche im Schweizer Montreux am 22. Januar zu beenden (Genf II). Die New York Times brachte dies unter einer fehlgehenden Schlagzeile: „Mehr Hilfe aus Deutschland, um Syriens C-Waffen zu zerstören“, zeigte ein Foto des Labors „in Münster“ statt Munster (Örtze), was sie gleich anderntags korrigiert hat. Jedenfalls haben Steinmeiers Worte, niemand mit Verantwortung könne hier Nein sagen, eingeschlagen.
Neuorientierung
Der Berliner Außenminister, der dieses Amt bereits 2005 bis 2009 inne hatte, ließ bei der Amtsübernahme am 17. Dezember neue Töne erklingen. Er sprach von „grassierender Europaentfremdung“ und dass das transatlantische Verhältnis – Stichworte Irak-Krieg, Guantánamo, Snowden, Nationale Sicherheitsagentur – unter erheblichem Stress stehe. Er deutete eine kritische Selbstüberprüfung der Außen- und Sicherheitspolitik an. Zu sehen ist, dass er ein anderes Selbstverständnis anstrebt, bei dem Berlin etwa in Nordafrika nicht allein darauf vertrauen möge, dass andere wie Amerika am Ende schon für die notwendige Stabilität sorgen werden, sei es durch ihr politisches oder auch militärisches Engagement.
Er traf den Nagel auf den Kopf. Amerika braucht ebenso in weltpolitischen Fragen eine streitbare Beratung, Kooperation und Kritik aus Europa, gerade aus Berlin. Es kann nicht mehr angehen, dass Europäer stets erst auf die Amerikaner warten, dann eher wenig tun, um schließlich Washington nach allen Regeln der Kunst zu kritisieren. So war es seit dem Beginn der Globalära. Es bedarf eines originären Ansatzes, ebenso in der Belebung von Gremien und der Nato. Dabei sind Berlin wie die Europäische Union längst reif für die tiefe Reorganisation der UN: beide sollten ihre Dauersitze im Sicherheitsreit erhalten.
Steinmeier, der Montag in Paris die Freundesgruppe des syrischen Volkes traf, also auch die Syrische Nationale Koalition – Präsident Ahmad Jarba ist wieder gewählt –, erwähnte in jener Antrittsrede Herausforderungen in der südlichen Nachbarschaft: Ägypten komme nicht zur Ruhe. Libyen sei auf dem Weg zum versagenden Staat. Tunesien ringe um seine Zukunft. Von der Begeisterung über den „Arabischen Frühling“ blieb Ernüchterung. Die Demokratie dürfe im Alltag in Kairo nicht dauerhaft den Beigeschmack von Hunger und Chaos bekommen, sonst leide auch der Glanz demokratischer Verheißung. Europa müsse helfen, den Prozess der inneren Versöhnung zu stützen und mit dafür Sorge tragen, dass die wirtschaftlichen Verbindungen nicht völlig erodierten. Nötig seien auch eine bessere Einsicht, was in Arabien laufe, und treffende Begriffe für sunnitisch-schiitische Zwiste.
<emphasize>Wolfgang G. Schwanitz</emphasize>
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