Ein Rückblick und Kommentar zum 100. Katholikentag in Leipzig
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Vor einer Woche versammelten sich an Fronleichnam in Leipzig 13.000 Katholiken zur Heiligen Messe und abends noch mal mehrere Tausend zu einer Lichterprozession durch die größte Stadt im Freistaat Sachsen. Und dies in einer Stadt, in der gerade einmal jeder 25. Bürger katholisch ist und acht von zehn Bürgern keiner Religion angehören. Der 100. Katholikentag wollte in der „Diaspora“ Zeichen setzen: „Wir haben zeigen können ‚Kirche geht auch anders‘“, betonte ZdK-Präsident Thomas Sternberg nach dem Abschluss eines sehr politischen Katholikentages, bei dem allerdings die konkreten politischen Forderungen größtenteils ausgeblieben sind. Eins wurde beim fünftägigen Treffen mit rund 30.000 Dauerteilnehmenden allerdings deutlich: Die Kirche und die Katholikentage müssen sich wandeln und „mutig dorthin gehen, wo noch niemand zuvor gewesen ist“, sonst droht die „neue Ängstlichkeit“ der Deutschen, wie Bundespräsident Joachim Gauck betonte, auch die Religionen zu erfassen, wie die wachsende Zahl der glaubens- und kirchenfernen Bundesbürger/innen zeigt.
Wer die Kirchenmeile des Katholikentags mit seinen vielen weißen Zelten besuchte, konnte im Schatten der neu gebauten Petrikirche eine Besonderheit entdecken: Am Stand des Bistums Essen begrüßte ein Astronaut in einem echten Raumanzug die Besucherinnen und Besucher. Unter dem Motto „Mutig dorthin gehen, wo noch niemand zuvor gewesen ist“ wurden die Katholiken dazu eingeladen, die Kirche einmal von oben zu betrachten und die Dinge zu benennen, die für eine Kirche der Zukunft wichtig sind. Ein spannendes Experiment, welches glückte und zeigte, dass ein Perspektivwechsel nicht nur neue Einsichten bringt, sondern auch den Dialog „zwischen Laien und Klerus“ fördern kann. So wurden am Stand des Ruhrbistums nicht nur das „Zukunftsbild“ sondern auch die „Visionen“ des Diözesanrats der Frauen und Männer für eine Kirche im Jahr 2030, verteilt. Die Laien melden sich darin deutlich zu Wort und betonen, dass nur im Dialog und unter Beteiligung von ihnen Zukunft von Kirche gestaltet werden kann. Nicht zurückziehen ins Schneckenhaus, sondern raus in die manchmal unwirkliche und raue Realität, die im Ruhrgebiet vielenorts nicht anders als in Leipzig und Sachsen ist.
Klare Kante und Profil zeigen
Dieses Symbolbild lässt sich – aus meiner Sicht - auf den gesamten Katholikentag und die katholische Kirche in Deutschland übertragen. In der säkularisierten Welt (die in Leipzig den Katholikentags-Teilnehmenden sehr deutlich aufgezeigt wurde) verliert die kath. Kirche an Bedeutung, daran ändern die Katholikentage nur vorrübergehend etwas. In den fünf Tagen des 100. Katholikentages wurde deutlich, dass der Katholikentag einerseits so politisch wie selten war (Flüchtlinge, Europa, AfD, TTIP), andererseits aber wenige konkrete politische Forderungen (ausgenommen zur Flüchtlingshilfe, zur AfD und zum Diakonat der Frau) „hängengeblieben“ sind. In Zeiten, in denen die Menschen „immer weniger ihre Wurzeln kennen und daher auf alles Fremde ablehnend reagieren“, wie Bundespräsident Gauck verwies, betonte DBK-Vorsitzender Kardinal Reinhard Marx: „Als Kirche in Deutschland müssen wir unseren Weg so gehen, dass wir die Wirklichkeit des Menschen nicht aus dem Blick verlieren“. Statt um „kirchliche Identität“ soll sich die Kirche nach Marx wieder um „den Menschen“ und um „die Erde“ sorgen. Die Gefahr besteht dabei allerdings, dass andere gesellschaftliche Gruppen dies bereits machen und die Kirchen zuletzt an Profil verloren haben. Daher sollten die christlichen Kirchen in Deutschland jetzt stärker eine klare Kante und Profil zeigen, wie bei der Ausladung der AfD vom Katholikentag. Und dann aber auch bereit sein, diesen Dialog aktiv in der Gesellschaft zu führen. Auch innerkirchlich. Der Ruf nach dem Diakonat der Frau war in Leipzig (nicht zuletzt beim Abschlussgottesdienst) so laut, dass er auch bei der DBK in Bonn und Rom gehört worden sein muss.
Katholikentag im Wandel
Der 100. Katholikentag in Leipzig (und übrigens 40. Katholikentag an dem auch Frauen teilnehmen dürfen) bot eine gute Gelegenheit zurückzublicken. Seit dem Katholikentag im „Heiligen Jahr“ 2000 in Hamburg hat sich die katholische Großveranstaltung, die vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ausgerichtet wird, deutlich gewandelt. Die Katholikentage waren lange Zeit von Großpodien mit (prominenten) Politiker/innen und großen liturgischen Feiern geprägt gewesen. Kirchenkritische Angebote fand man nur abseits des offiziellen Programms. Dies hat sich stark gewandelt. Organisationen, wie „Kirche von unten“ haben feste Stände auf der Kirchenmeile, der Katholikentag ist breiter geworden - nach rechts und nach links – und politischer. Allerdings wurde in Leipzig deutlich, dass die Einladung von Bundespolitiker/innen kein Garant mehr für „Halle überfüllt“ – Schilder sind. Im Gegenteil. Das talkshowerfahrene Publikum der Katholikentage kennt die Meinungen der Politiker/innen und Bischöfe und sucht stattdessen eher nach „neuen Erfahrungen“ und Themen abseits des Scheinwerferlichtes der Medien. Durch die vielen Anmerkungen und Kommentare, die bei den „Anwälten des Publikums“ bei den Katholikentags-Podien eingereicht wurden wurde deutlich, dass die Katholikentagsteilnehmenden mehr mitreden wollen. Vielleicht ist es an der Zeit, die klassischen Veranstaltungsformate mit Podien mit Vorlesungscharakter durch neue Formate abzulösen, in denen die Katholikentagsteilnehmer/innen mehr selber zu Wort kommen. Und gerade weil der Katholikentag in Leipzig von seinen Veranstaltungen, Podien und öffentlichen Reden / Predigten „politischer“ als die Katholikentage in Regensburg und Mannheim war, lohnt es sich auch darüber nachzudenken, wieder Resolutionen und (Online-) Petitionen (wie bei früheren Katholikentagen) zu fördern. Und vielleicht sollten ZdK und die DBK immer kurz nach -statt wie bisher vor – Katholikentagen tagen, um die „Stimme des Katholikentages“ in die Beratungen und Beschlüsse einfließen zu lassen.
Und noch zwei Entwicklungen sind bei den Katholikentagen seit dem Jahr 2000 auffällig: Die Katholikentage werden jünger und weltkirchlicher. Über 30 Prozent der Teilnehmenden in Leipzig war unter 29 Jahren (die Mehrheit ist weiterhin über 50 Jahre alt). Jugendbischof Karl-Heinz Wiesemann dankte der kath. Jugend dafür, der Zukunft der Kirche ein Gesicht zu geben und ausdrücklich auch für die (kritischen) Nachfragen und Stellungnahmen. Für die Jugendverbände und den BDKJ bewegt sich kath. Kirche nach wie vor deutlich zu langsam. Doch die Initiativen von Papst Franziskus machen der kath. Jugend Mut, dass Veränderungen möglich sind. Papst Franziskus ist auch Taktgeber im Bereich der Weltkirche, die in Zeiten der (medialen) Globalisierung einen immer wichtigeren Stellenwert bei den Katholikentagen einnimmt. Der „Blick von außen“ ist vor allem dann gut und wichtig, wenn Kirche anfängt, sich wieder zu stark um sich selbst zu drehen, anstelle „zu den Menschen und an die Ränder zu gehen“, wie Papst Franziskus aufgerufen hat. Auch dies wurde in Leipzig deutlich.
Ausblick
Es gibt also Einiges zu beraten und auf den Weg zu bringen bis zum nächsten Katholikentag, der im Mai 2018 in Münster stattfinden wird. In der Stadt des westfälischen Friedens ist jeder zehnte Bürger katholisch. Trotz dieses quantitativen Unterschieds in der Katholikenzahl werden die zwei Jahre bis dahin zeigen, ob auch eine qualitative Weiterentwicklung des Katholikentags geschafft und dem Zitat aus der Fernsehserie „Raumschiff Enterprise“ (Star Trek) gefolgt wurde: „Mutig dorthin gegangen wird, wo noch niemand zuvor gewesen ist“… - es lohnt sich.
<emphasize>Christian Schnaubelt</emphasize>
<emphasize>(Redaktionsleiter explizit.net)</emphasize>
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