Der Papst ändert die Lehre über Ehe und Familie nicht, aber er stellt diese in einen größeren Rahmen. Barmherzigkeit ist der Leitgedanke. Mit dem Ansprechen der Freude verlässt der Papst die augustinische Sicht der Ehe, die eher skeptisch gegenüber dem Menschen ist. Hat Franziskus mit seinem Schreiben eine große Reform angestoßen?
Einen irenisch-ignatianischen Weg der Mitte
„Die Debatten, wie sie in den Medien oder in Veröffentlichungen und auch unter kirchlichen Amtsträgern geführt werden, reichen von einem ungezügelten Verlangen, ohne ausreichende Reflexion oder Begründung alles zu verändern, bis zu der Einstellung, alles durch die Anwendung genereller Regelungen oder durch die Herleitung übertriebener Schlussfolgerungen aus einigen theologischen Überlegungen lösen zu wollen.“, so schreibt Papst Franziskus bereits in Nummer 2 seines nachsynodalen Schreibens über die Erwartungen.
Während dieser Abschnitt bereits die verschiedenen „Lager“ und „Wünsche“ an den Text anspricht, versucht er auch als Papst und Brückenbauer möglichst alle mitzunehmen, die Konservativen und die Liberalen, Reformer und Bewahrer. Herausgekommen ist also ein Text, der weder einen Radikalbruch, noch ein schlichtes „weiter so“ propagieren will. Auf den Einzelfall kommt es an.
Abkehr vom augustinischen Menschenbild und Hinwendung zu Thomas und Ignatius
Augustinus galt neben Thomas von Aquin lange als die theologische Gallionsfigur der päpstlichen Lehramtstexte. Verbunden mit Augustinus ist jedoch auch die Reformation und ein negativ-pessimistisches Menschenbild, das Sünde und Schwachheit vor Freiheit und Vernunft stellt. Franziskus hingegen betont eher den Wert der Freiheit und ist damit bei Ignatius, die Gnade ist bereits da und wir müssen sie in Freiheit annehmen, so schreibt er, dass es darum gehe „auf die Gnade zu antworten, die Gott ihnen anbietet“ (Nr. 35). Thomas von Aquin ist beim Papst der Gewährsmann für Verantwortung und Vernunft, wird auf ihn doch häufig Bezug genommen. Die drei Stellen, an denen Augustinus zitiert wird, bedienen ausnahmslos Ermutigung, augustinsiher Pessimismus findet keine Aufnahme.
Thomistische Tugendethik erlaubt pastorale Entscheidungen jenseits der Normen
Es geht dem Papst nicht um eine deontologische Ethik, die keine Freiräume lässt, sondern um den konkreten Fall und die subjektiven Umstände, in denen sich Tugend immer neu bewähren muss. So kritisiert er: „
In den schwierigen Situationen, welche die am meisten Bedürftigen erleben, muss die Kirche besonders achtsam sein, um zu verstehen, zu trösten, einzubeziehen, und sie muss vermeiden, diesen Menschen eine Reihe von Vorschriften aufzuerlegen, als seien sie felsenstark. Damit bewirkt man nämlich im Endeffekt, dass sie sich gerade von der Mutter verurteilt und verlassen fühlen, die berufen ist, ihnen die Barmherzigkeit Gottes nahezubringen. Auf diese Weise möchten einige, anstatt die heilsame Kraft der Gnade und das Licht des Evangeliums anzubieten, dieses »„indoktrinieren“ und zu toten Steinen machen […] mit denen man die anderen bewerfen kann«“ (Nr. 49)
[…] „Die Kirche ist im Besitz einer soliden Reflexion über die mildernden Bedingungen und Umstände. Daher ist es nicht mehr möglich zu behaupten, dass alle, die in irgendeiner sogenannten „irregulären“ Situation leben, sich in einem Zustand der Todsünde befinden und die heiligmachende Gnade verloren haben. Die Einschränkungen haben nicht nur mit einer eventuellen Unkenntnis der Norm zu tun. Ein Mensch kann, obwohl er die Norm genau kennt, große Schwierigkeiten haben »im Verstehen der Werte, um die es in der sittlichen Norm geht«,
<p> oder er kann sich in einer konkreten Lage befinden, die ihm nicht erlaubt, anders zu handeln und andere Entscheidungen zu treffen, ohne eine neue Schuld auf sich zu laden. Wie die Synodenväter richtig zum Ausdruck brachten, »kann [es] Faktoren geben, die die Entscheidungsfähigkeit begrenzen«</p> <p>Daher sind im Einzelfall Entscheidungen möglich, die abweichen von den Normen der Kirche, ohne dass diese geändert werden. Der Papst selbst verschiedene Gruppen, darunter Geschiedene-Wiederverheiratete, gleichgeschlechtliche Partnerschaften und Menschen, die vor der Ehe eheähnlich zusammenleben.“ […] Schon der heilige Thomas von Aquin räumte ein, dass jemand die Gnade und die Liebe besitzen kann, ohne jedoch imstande zu sein, irgendeine der Tugenden gut auszuüben[…] (Nr. 301)</p> <h2>Zum pastoralen Umgang mit wiederverheiratet-Geschiedenen sagt der Papst:</h2> <p>„Sie sollen sich nicht nur als nicht exkommuniziert fühlen, sondern können als lebendige Glieder der Kirche leben und reifen, indem sie diese wie eine Mutter empfinden, die sie immer aufnimmt, sich liebevoll um sie kümmert und sie auf dem Weg des Lebens und des Evangeliums ermutigt. Diese Integration ist auch notwendig für die Sorge und die christliche Erziehung ihrer Kinder, die als das Wichtigste anzusehen sind.«“ (Nr. 299). Kardinal Schönborn aus Wien twitterte bereits, dass im Einzelfall nun der Kommunionempfang für wiederverheiratet-Geschiedene möglich sei.</p> <h2>Zum pastoralen Umgang mit vorehelich Zusammenleben heißt es:</h2> <p>„Der Blick Christi, dessen Licht jeden Menschen erleuchtet (vgl. </p> <p><emphasize>Joh</emphasize> <p> 1,9; </p> <p> <p>, 22), leitet die Pastoral der Kirche gegenüber jenen Gläubigen, die einfach so zusammenleben oder nur zivil verheiratet oder geschieden und wieder verheiratet sind. In der Perspektive der göttlichen Pädagogik wendet sich die Kirche liebevoll denen zu, die auf unvollkommene Weise an ihrem Leben teilhaben: Sie bittet gemeinsam mit ihnen um die Gnade der Umkehr, ermutigt sie, Gutes zu tun, liebevoll füreinander zu sorgen und sich in den Dienst für die Gemeinschaft, in der sie leben und arbeiten, zu stellen […]“ (Nr. 78)</p> <p>In Bezug auf gleichgeschlechtlichen Partnerschaften lehnt der Papst zwar ab, diese auf die gleiche Stufe wie die Ehe zwischen Mann und Frau zu stellen, jedoch lehnt er nicht explizit homosexuelle Partnerschaften ab, er lässt Räume offen für eine solche, gibt aber keine konkrete kirchliche Form vor:</p> <p>„Wir müssen die große Vielfalt familiärer Situationen anerkennen, die einen gewissen Halt bieten können, doch die eheähnlichen Gemeinschaften oder die Partnerschaften zwischen Personen gleichen Geschlechts, zum Beispiel, können nicht einfach mit der Ehe gleichgestellt werden.“ (Nr. 52)</p> <h2>Die konkrete Lebenssituation in den Blick nehmen</h2> <p>Damit ist die Leitlinie des Pontifikates klar: Es gibt keine frohe Botschaft außerhalb der Bedingungen der konkreten Lebenssituation. Eine Moral ohne Lebenswirklichkeit ist für Franziskus keine Option: </p> <p>„Das verleiht uns einen Rahmen und ein Klima, die uns davon abhalten, im Reden über die heikelsten Themen eine kalte Schreibtisch-Moral zu entfalten, und uns vielmehr in den Zusammenhang einer pastoralen Unterscheidung voll barmherziger Liebe versetzen, die immer geneigt ist zu verstehen, zu verzeihen, zu begleiten, zu hoffen und vor allem einzugliedern. Das ist die Logik, die in der Kirche vorherrschen muss, um »die Erfahrung [zu] machen, das Herz zu öffnen für alle, die an den unterschiedlichsten existenziellen Peripherien leben«.“ (Nr. 312). </p> <p>Das Schreiben will ermutigen und Möglichkeiten der Barmherzigkeit anbieten. Es kommt aus das Pastoral und ist für die Pastoral. Franziskus will die Freude und die Schönheit betonen, er gibt Ratschläge, die man nicht von einem Papst erwartet und in die Mitte des Lebens heitere Empfehlungen gibt:</p> <p>„Es ist gut, den Morgen immer mit einem Kuss zu beginnen und jeden Abend einander zu segnen, auf den anderen zu warten und ihn zu empfangen, wenn er ankommt, manchmal zusammen auszugehen und die häuslichen Aufgaben gemeinsam zu erledigen“ (Nr. 226).</p> <p> <p>Josef Jung</p> <p>Über den kulturellen Aspekt des nachsynodalen Schreibens siehe www.hinsehen.net ab 09.04.2016</p>
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