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Lernen aus dem Friedensgebet im Vatikan

Der Natur- und Rechtsphilosoph Robert Spaemann hat in seinem jüngsten Interview im Spiegel gesagt: "Der Anspruch auf Wahrheit ist selbst schon politisch unkorrekt, weil man ihm unterstellt, die Gleichberechtigung des anderen nicht anzuerkennen. Damit wird aber auch die Toleranz bedeutungslos, denn sie muss einen Grund haben, der nur in der Achtung der Würde des anderen bestehen kann. Dazu gehört, ihm die Wahrheitsfähigkeit zuzusprechen.“ Er widerspricht damit vehement auch einem modernen Diktum, das besagt, dass die Religionen erst dann friedensstiftend wirken könnten, wenn sie ihren Wahrheitsanspruch aufgäben.

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. mit seinem bischöflichen Leitspruch „Mitarbeiter der Wahrheit“ stellte sich ebenfalls dagegen: Nicht bloß in seiner Theologie, sondern gerade wenn er sehr philosophisch wurde. Er erkannte eine notwendige Verbindung zwischen der Suche nach Wahrheit und der Freiheit: „Die Wahrheit kann nur in der Freiheit erkannt und gelebt werden“, steht in seinem Nachsynodalen Schreiben „Ecclesia in Medio Oriente“.

Der Natur- und Rechtsphilosoph Robert Spaemann hat in seinem jüngsten Interview im Spiegel gesagt: "Der Anspruch auf Wahrheit ist selbst schon politisch unkorrekt, weil man ihm unterstellt, die Gleichberechtigung des anderen nicht anzuerkennen. Damit wird aber auch die Toleranz bedeutungslos, denn sie muss einen Grund haben, der nur in der Achtung der Würde des anderen bestehen kann. Dazu gehört, ihm die Wahrheitsfähigkeit zuzusprechen.“ Er widerspricht damit vehement auch einem modernen Diktum, das besagt, dass die Religionen erst dann friedensstiftend wirken könnten, wenn sie ihren Wahrheitsanspruch aufgäben.

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. mit seinem bischöflichen Leitspruch „Mitarbeiter der Wahrheit“ stellte sich ebenfalls dagegen: Nicht bloß in seiner Theologie, sondern gerade wenn er sehr philosophisch wurde. Er erkannte eine notwendige Verbindung zwischen der Suche nach Wahrheit und der Freiheit: „Die Wahrheit kann nur in der Freiheit erkannt und gelebt werden“, steht in seinem Nachsynodalen Schreiben „Ecclesia in Medio Oriente“.

Das Friedensgebetstreffen am vergangenen Pfingstsonntag im Vatikan war die Interpretation dieses Satzes durch Taten: Die Vertreter dreier Weltreligionen beteten nicht miteinander, sondern nacheinander. Sie hielten es aus, dass die jeweils anderen das vortrugen, das sie als falsch oder zumindest unvollkommen ablehnen. Während ein Vorbeter sprach, beteten nur die Anhänger seiner Religion mit. Die anderen harrten derweil aus: Die Juden hielten beim Gebet der Christen still, die Christen bei den Muslimen und auch Juden und Muslime achteten die Anrufung des Ewigen durch den jeweils anderen. Dabei verbindet die beiden nicht-trinitarischen Monotheismen auch nur die philosophische Vorstellung vom Höchsten. Bemerkenswert ist, dass hier Politiker in der ersten Reihe saßen, die sich Gott im Gebet ganz anvertrauten. Es sind dieselben, die just im Moment nicht einmal den Verhandlungstisch teilen. Diese „wahrheitsfanatischen“ Religionen sind offenbar doch die letzte Zuflucht der Mühseligen und Beladenen. Welch ein Bekenntnis zu ihrer Friedenskraft!

Das friedensstiftende Potential wird ihnen jedoch selbst von Anhängern und gar geistlichen Würdenträgern abgesprochen, ganz oder teilweise. Dieser Zweifel schränkt die Freiheit und damit die gemeinsame Suche nach der Wahrheit ein. Sie gefährdet zudem das gemeinsame Ringen um Prinzipien, die eine gerechte Ordnung ausmachen und schon jetzt das Zusammenleben verbessern könnten. Leider ist dies auch unter Christen festzustellen, in deren Religion das Aushalten-Können eigentlich konstituierend ist.

Es ist eine einfache logische Formel: Wenn ich postuliere, dass nur friedfertig ist, wer a,b und c als gleich gültig anerkennt, dann versage ich den Menschen ihr Recht darauf zu sagen: Nein, nur a gilt. Oder ausschließlich b oder nur c. Es darf auch a, b und c zugleich geglaubt werden. Aber einschließlich. Die Politiker mit ihrem jeweiligen Blickwinkel auf Sicherheit, Gerechtigkeit und die Zukunft im gemeinsamen Heiligen Land, über die klügste Lösung für den Konflikt, brachten es fertig, sich betend vor Gott auszuhalten. Schaffen wir das mit unseren Feinden?

Nicht allein der philosophische Relativismus, sondern auch alltägliche Anbiederung raubt die Chance auf eine echte Versöhnung auf ethischer Grundlage: Sie übergeht die eigenen Gläubigen, nimmt sie im Spaemannschen Sinne nicht ernst. Ein konkretes Beispiel: Bei einer Dankandacht für Erstkommunionkinder predigte der katholische Pfarrer von den 99 Namen Gottes. Es ist eine Betrachtung aus rein islamischer Tradition. Und getreu dieser nannte er auch den 100. Namen nicht. Ein Kind antwortete: Es ist Jesus Christus! Weil der ägyptische Präsident Anwar Sadat, ermordet 1981 von Islamisten, einmalig zwei dieser 99 Namen nicht nannte, die traditionell die Rede eines guten Muslim einleiten sollen, nannten ihn Fundamentalisten einen Frevler. Er verzichtete auf die vollständige Formel Bismillah ar rahman ar rahim - Im Namen Gottes, des Barmherzigen und Gnädigen, die am Anfang fast jeder Sure im Koran steht. Er sagte nur „Im Namen Gottes“, als er vor der Knesset seine historische Rede hielt, um als erster arabischer Herrscher den Frieden mit dem jüdischen Staat einzuleiten. Sadat wollte nicht als Muslim sondern als Gottgläubiger dort sprechen, gerade weil er einen hohen Respekt vor der Religion hatte. In jungen Jahren war er sogar selbst Muslimbruder gewesen. Die Narbe an seiner Stirn ließ Zeit seines Lebens auf eine intensive Gebetspraxis schließen.

Das Gegenstück zur Geringschätzung der Wahrheit ist die der Vernachlässigung der Liebe, des Respekts vor den Menschen. Die Fixierung auf das, was trennt. Das Misstrauen, die Unterstellung der Hinterlist. Der lieblose oder gar verächtliche Blick auf das, was den Gläubigen heilig ist. Das kann sogar in liberalem Gewand daherkommen, wie beim Katholikentag in den Aussagen des liberal-jüdischen Religionsphilosophen und Rabbiners Walter Homolka. Er betonte beim Podium zu '50 Jahre Konzilserklärung Nostra Aetate“, was aus seiner Sicht Juden von Katholiken trenne: Die Haltung zu Ehescheidung, Abtreibung und Frauenordination. Andere jüdische Stimmen mögen ihm da sehr wohl widersprechen. Dennoch steht es ihm frei, in diesen Fragen anders zu denken. Diese Freiheit zu nutzen, um zu lernen, sich gegenseitig auszuhalten und das Verbindende zu suchen, das wäre Dialog. Er ist vielfach Praxis, gerade zwischen Christen und Juden in einer Weise, die viele nach der Shoa nicht mehr für möglich hielten. Sogar in Deutschland. Vor dem schrecklichsten Hintergrund. Gerade Christen waren es etwa auch in der unsäglichen Beschneidungsdebatte, die Juden und Muslimen argumentativ beistanden. Versöhnung setzt aber einiges voraus: Anerkennung und Aushalten-Können, ob die bitteren Lektionen der eigenen Geschichte oder schlicht das Anderssein.

<emphasize>Michaela Koller</emphasize>



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