(explizit.net / kath.de) Weltweite Verunsicherung über den Absturz von Flug MH17 über der Urkraine
.
Diese Woche unterhielt ich mich am Arbeitsplatz mit einer Kollegin über die bevorstehenden Ferien. Sie fliegt nach Indonesien und schon beim zweiten Satz ihrer Ausführung sagte sie: „Ich habe mir erst einmal angeschaut, wo wir lang fliegen.“ - Diese kurze Episode zeigt, dass die Ereignisse um den Absturz des Fluges MH17 in der Ostukraine in der Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit angekommen sind. Überhaupt treten die derzeitigen Krisen, ob in der Ukraine oder im Gaza-Streifen, durch die Änderung von Flugrouten oder gar den Ausfall von Flügen ins Bewusstsein der Menschen.
Aus lokal wird global
Damit sind die Krisenherde voll und ganz in der Weltöffentlichkeit angekommen. Der Absturz, besser der Abschuss, des Fluges MH17 auf seinem Weg von den Niederlanden nach Asien führt mit dem Tod von 298 Menschen verschiedener Nationalitäten die einstige lokale Krise im Osten Europas zu einer weltweiten Erschütterung. Die Börsen reagieren darauf und die Menschen fragen, wie sie mit dem Flugzeug sicher von A nach B kommen.
In Zeiten der Globalisierung, die sich in der Wirtschaft und den modernen Netzwerken des Internets und der Medien als selbstverständlich erweist, wollen wir Krisen und Konflikte immer noch lokal behandeln. Die Welt und auch die Politik schaut mit „zwei verschiedenen Augen“ auf die Ereignisse. Sie agiert beim Ausbau von Handelsbeziehungen und Konjunkturmaßnahmen sehr weitsichtig. Bei Konflikten hingegen wird sie kurzsichtig. Da wird dann schnell auf die Souveränität von Staaten verwiesen und Kritik mit dem „Recht auf Selbstverteidigung“ nivelliert.
So einfach funktioniert diese Logik aber nicht. Das hat der Absturz der Boeing 777-200 auf schreckliche Weise gezeigt. Die Toten sind absolut unschuldig am Konflikt. Unschuldige Tote gab es gewiss auch schon vorher. Nur sie wurden lokal betrachtet, nicht global. Doch in Zeiten einer Globalisierung müssen auch Menschenrechte, wie die Würde des Lebens jedes Einzelnen und das Recht auf Leben, global gelten. Die Weltgemeinschaft darf nicht nur zusehen und Entrechtung in Kauf nehmen.
Oder mit einem anschaulicheren Bild gesprochen: Man stelle sich vor, Syrien kann nicht überflogen werden, weil Assad einen Bürgerkrieg führt. Gaza und Israel können nicht überflogen werden, weil sie im Krieg sind. Die Türkei wird immer wieder von Unruhen heimgesucht, gerade im Osten zu Armenien oder im Kurdengebiet, und sollte deshalb auch nicht überflogen werden. Der Irak kann nicht überflogen werden, weil die ISIS-Truppen im Vormarsch sind. Sudan und Somalia sind seit Jahren schon Krisenherde, die man auch nicht überfliegen sollte. Und die Rolle Russlands ist in vielen Konflikten unklar, so dass man es als politisches Druckmittel auch nicht überfliegen sollte. Kurzum: Der nächste Weg nach Asien ist zu. Die beliebten Ziele in Thailand und Dubai sind nur unter stark erhöhtem Aufwand zu erreichen. Wir wären dann nicht nur in einer weltweiten Reisekrise, sondern auch in einer Wirtschaftskrise, in einer weltweiten Krise. Spekulationen über den Absturz eines Air-Algérie-Fluges über Mali, und die Frage, ob möglicherweise Islamisten das Flugzeug abgeschossen haben, geben dem überzeichneten Bild von unzähligen Überflugverboten weiter neue Nahrung.
Aus Krise wird Krieg
Die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft auf zwei der großen Krisenherde ist nun sicher. Durch politische Bemühungen und Druck mittels Sanktionen mächtiger Staaten wird nun versucht, einen Frieden herbeizuschaffen. Doch allzu oft nimmt durch einen zunehmenden Druck von Außen auch der Druck im Inneren zu. Dieses physikalische Gesetz scheint sich auch in den Krisenregionen zu bewahrheiten, werden doch auch weiterhin in der Ukraine Flugzeuge, diesmal militärische, abgeschossen. Szenarien des Kalten Krieges werden wieder reaktiviert, wenn nunmehr die NATO ein neue und irgendwie auch alte Bedeutung wieder erlangt, wenn Truppenpräsenz an der EU-Außengrenze erhöht und militärische Manöver in Grenznähe durchgeführt werden und wenn die „Rhetorik des Säbelrasselns“ und der gegenseitigen Schuldzuweisungen zur Tagesordnung werden.
Dann wird aus einer lokalen Krise schnell ein Krieg – ein Stellvertreterkrieg, in dem sich zwar Großmächte nicht offen einen Schlagabtausch leisten, aber die jeweilig einem näher liegende Partei mit Militärtechnik und sonstigem Knowhow versorgen. Im derzeitigen Ukrainekonflikt scheint die russische Unterstützung sicher, aber gleichzeitig eine westliche oder amerikanische Unterstützung auf ukrainischer Seite möglich. Die Renaissance der von beiden Seiten bewusst oder unbewussteen Handlungsweise wie im Kalten Krieg vor über 25 Jahren birgt aber keine Sicherheit, sondern mehr Gefahren. Die Globalisierung hat die Wirtschafts- und Lebenswelt so vereinigt, dass eine Abschottung in Blöcke, in Ost und West, nicht mehr funktioniert. Es scheint, als hätte die Politik, zumindest auf der Ebene der Konfliktlösung, keine neue Strategie außerhalb des Blockdenkens parat. Sie hat es versäumt in den vergangenen Krisen dauerhafte und gemeinsame Lösungen zu entwickeln, die sich auch an einem Erfolg messen lassen. Stattdessen stellen der ISIS-Vormarsch im Irak und die nicht enden wollenden Anschläge in Afghanistan die Militäroperationen der vergangenen Jahre in Frage.
Aus Konfrontation in Konsultation
Im Fall des Absturzes in der Ostukraine ist die Anwesenheit von Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eine große Chance. Jene Organisation, in der sich alle Großmächte befinden, kann ein Motor sein, aus der Konfrontation heraus in eine Konsultation zu kommen. Auch die Übertragung der Aufklärungsarbeit des Absturzes an eine im bisherigen Konflikt neutrale Nation wie den Niederlanden kann den Impuls zur Entspannung in sich tragen. Nur dazu müssen alle Parteien aus einer emotionalen, von Wut, Hass und Schmerz geleiteten Handlungsweise zu einem sachlichen Arbeiten übergehen, was wohl angesichts verschiedener Kommandanten der prorussischen Separatistenbewegung kein Leichtes sein dürfte.
Genauso kann und sollte die Rolle der Vereinten Nationen wieder stärker in den Blick rücken. Jene Institution, die aus den Lehren der beiden großen Weltkriege hervorging, kann mehr vermitteln als sanktionieren. Die Konsultation mit Konfliktparteien sollte ihr wichtiger sein, als die bloße Verabschiedung von Resolutionen und der damit zumeist vermittelte Anschein, dieser oder jener Konflikt sei nun für die UNO passé. Warum kann man nicht auf verschiedenen Ebenen über eine demilitarisierte Zone mit Sonderstatus in der Ostukraine nachdenken. Blauhelme könnten die Absturzstelle für die Aufklärung sichern und ähnlich wie in Serbien oder im Kosovo, erbeutete oder gelieferte Waffen und Waffensysteme gesichert zurücknehmen. Politisch gut verhandelt könnte für Separatisten und Ukraine dies eine Lösung sein, in der keine der Konfliktparteien einen allzu großen Ansehensverlust erleidet.
Jakobusimpuls
Der 25. Juli ist der Tag des Heiligen Apostels Jakobus. Die historischen Quellen um seine Person mögen schillernd sein, eines ist klar: Jakobus war viel unterwegs und bringt die Menschen auf die Wege. Mehr denn je zieht sein Grab in der Stadt Santiago de Compostela in Nordspanien Pilger an. Sie brechen aus ihren gewohnten und zum Teil festgefahrenen Zusammenhängen auf, legen einen beschwerlichen Weg zurück und bekommen neue Impulse für ihr Leben. Für die Ukraine ist der Weg hin zum Frieden und zu einer Lösung ebenso langwierig und beschwerlich. Doch es braucht jetzt einen Aufbruch von beiden Seiten, unterstützt durch internationale und neutrale Vermittlungsorganisationen. Solche Gespräche könnten auch auf neutralem Boden stattfinden, zum Beispiel in den Niederlanden. Dann wäre ein Ort gewählt, der ob der Vielzahl der niederländischen Toten von Flug MH17 an die Ernsthaftigkeit der Parteien appellieren und ermahnen würde, damit das Sterben der Flugzeuginsassen nicht als Kollateralschaden eines lokalen Kriegsschauplatzes abgetan wird, sondern als Samenkorn einer neuen Perspektive internationaler Friedensverhandlungen.
<emphasize>Sebastian Pilz</emphasize>
<emphasize>Redaktion kath.de</emphasize>
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!