(explizit.net/ kath.de)Die Schreckensmeldungen über den Vormarsch der Kämpfer des Islamischen Staates (IS) nehmen kein Ende. Millionen Menschen sind auf der Flucht, darunter auch viele Christen. Die einstigen Stätten des Zweistromlandes, in dem Abraham, der Stammvater der drei großen Weltreligionen aufbrach, sind Schauplätze der Gewalt zwischen Volksgruppen und Religionen. Die Stimmen mehren sich, die die Zeit unter Diktator Saddam Hussein weit besser beurteilen als die gegenwärtigen Zustände von brutaler Gewalt mit Steinigungen und Massenexekutionen.
Golfkrieg und der „Arabische Frühling“
In den vergangenen zehn Jahren haben die politischen Führungssysteme der islamischen Länder im Nahen Osten große Umbrüche erlebt. Sei es, wie im Irak, wo die Weltmacht USA mit einer „Koalition der Willigen“ den Diktator Saddam Hussein stürzte. Oder sei es, wie in Libyen, wo mittels UN-Resolution und militärischen Luftschlägen westlicher Länder, die Regierung Gaddafi gestürzt wurde. Oder in Ägypten, wo der „Arabische Frühling“, der ganz Nordafrika erfasste, den Umsturz der Mubarak-Herrschaft erzwang.
Alle Bewegungen haben die Region von einer Stabilität in eine absolute Destabilität gestürzt. Die einst durch Regime und Diktatoren geführten Länder sind heute unsicherer denn je. Mit dieser Feststellung soll keineswegs die Vergangenheit glorifiziert und die Greueltaten einstiger Herrscher verdeckt werden. Dennoch bleibt festzustellen, dass totalitäre Systeme in den betroffenen Ländern weitestgehend Ruhe und Sicherheit gewährleisteten. Ägypten etwa war ein beliebtes Reiseziel. Auch andere Länder waren Handelspartner deutscher Unternehmen. Durch die Revolutionen und Umstürze aber sind diese Zeiten vorbei. Sie waren keineswegs menschenrechtskonform, dennoch regelten sie das alltägliche Leben und machten Reaktionen überschaubar.
Aktuell dagegen wirkt die politische Landschaft wie eine geschüttelte Sektflasche: Der Korken ist entweder durch inneren Druck oder äußeres militärisch-politisches Handeln entfernt worden und nun sprudeln die verschiedenen Interessen von Religionen und Volksgruppen durcheinander. Dabei bleibt es aber nicht friedlich, sondern alte Feindschaften werden wiederbelebt und können nun, durch fehlenden Druck eines Tyrannen, immer offener ausgetragen werden, als terroristische Anschläge oder durch organisierte Bewegungen, wie etwa der ISIS.
Internationales Versagen und Wegschauen in Syrien
Der Vorwurf an die internationale Gemeinschaft ist eine fehlende politische Zukunftsidee. Am Beispiel des Iraks wird deutlich, dass die westlichen Mächte nie militärisch unterlegen waren. Sie hatten aber zu wenig politische Lösungen für ein Danach. Zwar traten Verbesserungen ein, die aber mit dem Abzug ausländischer Truppen gleich wieder zusammenfielen und unwirksam wurden. Bezeichnend für diesen Weg ist die Zahl von 7000 amerikanischen Humvee-Geländewagen, die nun in Händen von IS-Kämpfern sein sollen. Da fehlt es also nicht an militärischer Ausrüstung, sondern an einem Ziel und einen tragfähigen politischen System, das für die heimischen Volksgruppen annehmbar ist. Gegenwärtig aber laufen Polizisten und Soldaten vor Terroristen davon und überlassen ihnen Kriegsgerät, weil es nicht „ihr Land“ ist, das sie verteidigen. Jede Volksgruppe hat eine andere Vorstellung von diesem Land. Ein ähnlicher Weg scheint Afghanistan bevor zu stehen, wo sich ausländische Truppen nach und nach zurückziehen.
Die internationale Gemeinschaft kam in Syrien zu keinem entschlossenen Handeln zugunsten der leidenden Bevölkerung. Diese Passivität rührt sicher aus Unsicherheit und der Erkenntnis, dass durch den Sturz eines Diktators keine Ruhe in islamisch geprägte Länder kommt.
Krise des Islams und Auswege
Die gegenwärtige Krise ist eine Krise des Islam. Nur wenn gemäßigte Stimmen innerhalb des Islams es schaffen, ein politisch tragfähiges Regierungskonzept zu entwerfen, hat die Region eine Zukunft. Dazu braucht es neben dem Sachverstand und der Vernunft anstelle von traditionell aufgepeitschten Emotionen ein Zugehen auf die verschiedenen Stammessysteme und religiösen Volksgruppen. Diese Antwort kann nur aus der islamischen Welt selbst kommen, will sie glaubwürdig sein und als Gesprächspartner ernst genommen werden. Diese Antwort wird auch eine Mischform zwischen einer Demokratie im Sinne der westlichen Welt und einer Diktatur sein. Vielleicht können die islamischen Staaten, die durch Dynastien regiert werden, ein Vermittler in dieser Frage sein. Es braucht dabei auch eine konkrete Positionsbestimmung, wie weltliche und religiöse Macht im islamischen Staat voneinander getrennt sind. Bleibt eine solche Antwort aus, nehmen radikale Gruppen mit Gewalt diese Lücke ein und füllen sie mit der Ausrufung eines Kalifats, in der weltliche und religiöse Macht vereint sind und zu einer brutalen Ausübung gegen jede Menschenwürde kommen.
Neben dieser Antwort aus der islamischen Welt braucht es aber auch die Ausdauer der Unterstützung durch die westlichen Staaten. Ein Wandel alter Strukturen braucht mindestens eine Generation, was bestenfalls 25 Jahre Engagement vor Ort bedeutet. Aus dieser Verantwortung heraus braucht es gerade auch eine Reaktion durch die USA, deren Präsident zwar das Ende des Irakeinsatzes zu seinem Wahlversprechen machte, dessen Verantwortungsbewusstsein angesichts der Fluchtbewegung von Millionen Menschen in Wüsten- und Felsregionen noch mehr gefragt ist. Wenigstens eine humanitäre Hilfe versteht sich von selbst und ist das absolute Gebot der Stunde.
<emphasize>Sebastian Pilz</emphasize>
<emphasize>Redaktion kath.de</emphasize>
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