(explizit.net) Unter schwarzen Fahnen stürmen seit drei Wochen Sunniten durch Irak, die ihr Kalifat als Ziel erklärten. Samstag eroberten sie Iraks Städte wie al-Qaim an der Grenze Syriens, womit der Fluß an Kämpfern von Damaskus bis Baghdad möglich wird. In der Metropole am Tigris mobilisieren sich die Schiiten zum Gegenschlag. Ein Plakat der Mahdi-Armee des Klerikers Muqtada as-Sadr lautete: „Nein zu Amerika, Israel, zum Terror und zum Da’ish.“ Dies meint den Syroirakischen Islamstaat, kurz Syroirakistan. Alle warteten mit Spannung, wie das Weiße Haus reagiere. Präsident Obama blieb am Donnerstag, den 19. Juni, vorsichtig, was hier erhellt wird. Abgesehen von fatalen Resultaten zu eiliger Taten, muß er komplexe Faktoren abwägen, darunter den Zu- und Rücklauf von Militanten aus Europa und Amerika, und sowie Gespräche, die Irans Griff nach Nukes abwenden sollen. Was sind die Optionen jenes Sektenkriegs und wie steht es um Gespräche mit Teheran?
Fünf Punkte nannte Barack H. Obama, darunter die Sicherheit der Baghdader Botschaft, bessere Informationen, wie man dem Ansturm jener Terrorganisation begegnen könnte, und die Entsendung von bis zu 300 Militärberatern. Diese sollen vor Ort nächste Schritte und Ziele ermitteln, auf deren Basis präzise Militärschlage folgen könnten. Zudem schloß er Kampfeinsätze von Amerikanern aus. Lokale Iraker sollten die Führung übernehmen. Baghdad möge einen Aktionsplan für Iraks Zukunft aufstellen, der Schiiten, Sunniten und Kurden einbeziehe. Das Parlament, nicht Amerika werde Iraks Führer bestimmen, die aus der Krise mit einer inklusiven Agenda alle Teile der Bevölkerung zusammenführen. Also steht Amerika jetzt mit einem Beraterbein im Sektenkrieg, der sich lange hinziehen kann.
Obamas Worte, Amerika führe keine Militäraktion, die eine Sekte gegenüber der anderen bevorzuge, und es gebe keine militärische Lösung im Irak, widerspricht seiner Maßgabe, Iraks offiziellen Kräften zu helfen und den Terroristen keinerlei Fluchträume zu erlauben. Die Kernfrage wäre, was im US-Sicherheitsinteresse liege. Dazu halte er die Amerikaner und den Kongreß im Bilde. Zugleich starte er eine Initiative, um in Mittelost Stabilität zu erlangen, erntete viel Kritik, und sandte Außenminister John Kerry am 22. Juni dorthin.
Nach Journalistenfragen kritisierte Obama Nuri Kamal al-Maliki. Er habe nicht für alle Iraker gewirkt, Stämme ausgeschlossen und keine Regierung der Einheit geführt. Den Punkt, ob es Obama nicht bereue, dort eine kleine Truppe nach dem Abzug behalten zu haben, lastete er al-Maliki an, der dies nicht wollte. Besser gesagt, Teheran wünschte es nicht. Indes feierte Obama den Abzug, aber seine Kalkulation brach ein. Eigen war seine Rede, die Debaathifizierung sei blockiert. Er meinte, die Ideologie von Saddam Husains Baathpartei und ihrer Anhänger zu deligitimieren. Weithin fehlt die offene Aufarbeitung des Gestern oder sie ist politisiert: alle werden so verdammt, Fehler abermals zu begehen.
Obama wies in durch ihn eigentlich unerwünschten Worten – er nannte Terroristen auch Jihadisten – auf die Gefährdung Europas aus deren Pendeln hin. Seit Donnerstag, den 19. Juni, hält YouTube Rekrutierungsvideos für Syroirakistan bereit. Westler mögen ihren Komfort für Jihad verlassen, tönt Abu Muthanna al-Yamani in seinem britischem Akzent. Er lehne die heutigen Grenzen ab, die Ausländer nach dem Esten Weltkrieg und dem Fall des Osmanenreichs zogen. In Syroirakistan folge heute der Shariastaat. Kein Leben ohne Jihad, die Kur gegen Depression: „Verlaßt Eure fetten Jobs für Karenz und Tod bei uns.“
Im großen Bild fehlt sicher der kritische Rat von Europäern. Kanzlerin Merkel verwies Freitag, den 20. Juni, darauf, daß Berlin nur versuchen könne, den politischen Prozeß im Irak zu begleiten, und daß Amerika dort eine besondere politische Verantwortung trage. Das merke man ja an dessen Reaktionen, Präsident Obama nehme diese Verantwortung im Augenblick wahr. Schieben sich Amerikaner und Europäer den Schwarzen Peter zu?
Wirren
Doch gerät Mittelost viel zu wichtig, um es allein Amerikanern zu überlassen. John Kerry etwa eilte am Sonntag, den 22. Juni, nach Kairo, um herauszufinden, wie im Irak rascher eine „über die Sekten hinausweisende Regierung gebildet werden könne“. Klingt gut, nur gerät dort dieser tiefe Sektenkrieg erst in vollen Schwung. Aber er will auch eine zweite Botschaft senden, nämlich daß Nachbarn aufhören mögen, die Sunnimilitanten im Irak zu finanzieren. Doch wie paßt dies zu seiner dritten Einsicht, die er besonders Kairos neuem Präsidenten Abd al-Fattah as-Sisi anträgt: er möge doch eine inklusive Regierung bilden.
Das bedeute, das Verbot für die Muslimbruderschaft aufzuheben und diese im politischen Prozeß zu beteiligen. Laut New York Times vom selben Tag sagte ein Beamter des State Departments den Journalisten weiterhin, Amerika glaube nicht, daß die Muslimbrüder ein Sicherheitsrisiko für Ägypten bildeten und man habe keine Informationen, daß diese eine Verbindung zu Terrorgruppen hegen. Also mit so unbedarften Offiziellen kann man keine Außenpolitik betreiben. Einerseits stellte sich die Muslimbruderschaft als Kerntruppe des Terrors vor. Andererseits hat sie überall Zweige erzeugt, etwa die Hamas und die gerade durch das Statedepartment indizierten „Anhänger Jerusalems“, die aus Sinai operieren.
Indes folgte die in Kairo ersehnte Nachricht, wonach Washington in den jüngsten zehn Tagen 575 Millionen Dollar an Kairo gab, die es nach dessen Coupvolte 2013 einfror. Obama setzte früh auf Islamisten wie Muslimbrüder als legitime Opposition und sorgte in einer welthistorisch wohl einmalig anhaltenden Verwirrung mit dafür, diese überall mit in die Regierungen zu bringen. Dafür sendet er jetzt an Kairo die zehn erbetenen Apache-Hubschrauber, damit die Terroristen auf Sinai bekämpft werden können. Das übrige Geld werde der Kongreß aber nur geben, sofern as-Sisi Schritte in Richtung Demokratie gehe.
Nun muß wohl jeder besorgt sein wegen der massenhaften Todesurteile gegen Islamisten am Nil. Am Vortag von Kerrys Ankunft bestätigte ein Gericht das Todesurteil gegen 183 Muslimbrüder, darunter Muhammad Badia, einer ihrer Führer, wegen der Gewalt und der Tötung eines Polizisten. Aber wer kann es denn dem neuen Außenminister Samih Shukri verwehren, wenn er „bilateralen Respekt, gemeinsame Interessen und Nichteinmischung“ anmahnt? Zum einen hält Washington alle an, Sunnimilitanten Gelder zu streichen, zum anderen drängt es Kairo auf, deren Brüder gleich wieder in seine Regierung zu nehmen. Am Potomac lernt man offenbar auch nicht aus alten Fehlern, weder am Nil noch Tigris.
Drei Optionen gibt es im Krieg um Syroirakistan: der Schnellsieg einer Seite, ein langer Krieg wie Irak und Iran bis 1988, oder dessen terroristische Ausweitungen nach Europa und Amerika, die vereinte Interventionen wie im Irak 1991 erzwingen. In 5+1-Runden mit Teheran blieben Kernfragen offen, obwohl der Endtermin am 20. Juli naht. Daß der Westen sich sehr vor einem Einsatz in Mittelost fürchtet, das sieht man gern - in Teheran.
<emphasize>Wolfgang G. Schwanitz</emphasize>
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