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Ist diese Kirche noch zu retten?

(explizit.net) Ein Kommentar von Ludger Verst zum Rücktritt eines Priesters im Bistum Münster

Wenn in Deutschland Jahr für Jahr ganze Großstädte die Kirchen verlassen, dann blutet vielen, nicht nur Kirchenmitgliedern, das Herz. Ratlos schauen sie mit an, wie die ehemals fröhliche Festung Schaden nimmt und an Boden verliert. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Die Gründe sind hinreichend bekannt und was langfristig noch schwerer wiegt, sind Substanzverluste im Inneren. Die Shell-Jugendstudien der letzten Jahre dokumentieren ein drastisches Absinken der Gottesdienstbesucherzahlen vor allem bei jungen Mitgliedern. Kirchenbindungen kommen trotz Taufe, Kommunion, Firmung oder Konfirmation kaum mehr zustande. Wen wundert es da, dass inzwischen immer mehr Geistliche ihre ehemals glaubenssicheren Hochburgen verlassen. Der Münsteraner Pfarrer Thomas Frings (55), der jüngst seinen Bischof aus Resignation um Entpflichtung bat, ist kein Einzelfall.

(explizit.net) Ein Kommentar von Ludger Verst zum Rücktritt eines Priesters im Bistum Münster

Wenn in Deutschland Jahr für Jahr ganze Großstädte die Kirchen verlassen, dann blutet vielen, nicht nur Kirchenmitgliedern, das Herz. Ratlos schauen sie mit an, wie die ehemals fröhliche Festung Schaden nimmt und an Boden verliert. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Die Gründe sind hinreichend bekannt und was langfristig noch schwerer wiegt, sind Substanzverluste im Inneren. Die Shell-Jugendstudien der letzten Jahre dokumentieren ein drastisches Absinken der Gottesdienstbesucherzahlen vor allem bei jungen Mitgliedern. Kirchenbindungen kommen trotz Taufe, Kommunion, Firmung oder Konfirmation kaum mehr zustande. Wen wundert es da, dass inzwischen immer mehr Geistliche ihre ehemals glaubenssicheren Hochburgen verlassen. Der Münsteraner Pfarrer Thomas Frings (55), der jüngst seinen Bischof aus Resignation um Entpflichtung bat, ist kein Einzelfall.

„Solange ich lebe“, schreibt Frings in seiner in den sozialen Netzwerken lebhaft diskutierten Erklärung, kenne ich nur eine schwindende Zahl bei den in der Kirche Aktiven und eine wachsende bei den Kirchenaustritten. Die Reaktionen auf dieses Phänomen sind bei Kirchenleitung, Gemeindeleitung und in den Gemeindegremien sehr ähnlich. Gemeinden, Seminare und Klöster werden geschlossen oder zusammengelegt, um dann meist das Bisherige weiterzumachen. (…) Hinsichtlich des Pastoralplans für unsere Gemeinde kam auf die Frage „Was wünschen sie sich für die Zukunft?“ auch die Antwort ‚Dass alles wieder so ist wie vor 30 Jahren’. Diese Antwort halte ich für die ehrlichste, die mehrheitsfähigste und eine, die ich sogar nachvollziehen kann“, so das Fazit des scheidenden Priesters.

Kein Aufbruch in die Lebensräume

Die vor 30 Jahren in der öffentlichen Wahrnehmung noch als unersetzlich geltende Bastion Kirche ist unter den gegenwärtigen Strukturbedingungen offensichtlich am Ende. Fakt ist: Eine Verschlankung und gleichzeitige Dynamisierung des kirchlichen Engagements in die Passagen des Gesellschaftlichen, in die städtischen Quartiere und lokalen Initiativen hinein ist allen Beteuerungen und Grundsatzreden zum Trotz ausgeblieben. Im Zuge der Neugliederung der pastoralen Räume in den Bistümern und Landeskirchen wurden in den zurückliegenden 20 Jahren Chancen einer konzeptionellen Neuorientierung systematisch und nahezu flächendeckend vertan. Aus Angst. Einer Angst, die vor allem in den Gemeinden selber wohnt. Kaum jemand will, wenn er noch dabei ist, liebgewonnene Gewohnheiten aufgeben. Die territoriale Struktur der Gemeinden fördert förmlich die Unbeweglichkeit ihrer Mitglieder. Solche Gemeinden täuschen, wie auch das Münsteraner Beispiel zeigt, darüber hinweg, dass sie inhaltlich längst gescheitert sind, weil sich ihre strukturelle Realität gewissermaßen im Leerlauf aufrechterhalten lässt. Versuche einer Vitalisierung des Gemeindegedankens - z.B. durch eine so genannte „lebensraumorientierte Seelsorge“ - kamen über Projektstadien meist nicht hinaus.

Zum anderen zeigt sich eine kaum mehr theologisch aufzufangende Service-Mentalität bei Taufen, Kommunionfeiern und Trauungen, die einer, wie Frings es nennt, „inneren Gestimmtheit dafür, dem Grundgerüst, das man zum Mitfeiern braucht“, diametral entgegensteht: „Der Anspruch, dass solche Feiern serviceorientiert, fehlerlos, auf hohem Niveau ´geliefert´ werden sollen, und die Ahnungslosigkeit nicht Weniger sind für mich immer schwerer auszuhalten“, kritisiert der Geistliche, mit dem mich eine gemeinsame Zeit als Priesteramtskandidat in Münster Anfang der 1980er Jahre verbindet.

„Mit Kirche darf ich nicht scheiße aussehen“ (Shell-Jugendstudie 2010)

In der Tat zeigt sich, dass die klassische Religiosität und ihre Lebensbedeutung beim religiösen Mainstream in Deutschland weiter rückgängig sind, wobei der Schwerpunkt der Veränderung, so die Shell-Jugendstudien seit 2010, bei den katholischen Jugendlichen liegt.

Ähnlich einbrechende Fundamente zeigen die Statistiken im Blick auf Kernbestände des Glaubens selbst. Der größte Einbruch verbindet sich mit dem Gottesglauben. Nur noch ein Drittel der Zwölf- bis 25-Jährigen betrachtet ihn für ihr Leben als wichtig, etwa die Hälfte für gänzlich unwichtig. In jüngerer Zeit zeigt sich, dass der Entfremdungs- und Auswanderungsprozess auch die Etablierten in den kirchlichen Kernbereichen erreicht. Befragungen von Kirchenmitgliedern und Geistlichen beider Konfessionen dokumentieren, „dass das traditionell Christliche nicht mehr als nur noch einen Bodensatz ausmacht“. Das Beklemmende ist: Unter den derzeitigen Bedingungen und in den bisherigen Formen deutet nichts darauf hin, dass es den Kirchen gelingen könnte, den Fall ins Bodenlose aufzufangen.

In seltsamer Gewissheit macht sich die Überzeugung breit: Über effektivere Strukturen und attraktivere Wege des Kirchlichen wird auch die nächsten Jahrzehnte fleißig und wohl ebenso frustriert wie folgenlos weiter debattiert werden. Thomas Frings: „Wir bedienen zu viel Tradition und wecken zu wenig Sehnsucht.“

<emphasize>Ein Kommentar von Ludger Verst</emphasize>

Zum Autor:

Ludger Verst ist Inhaber von INTERFAITH – Labor für soziale Kommunikation – in Dreieich. Nach 25 Jahren in der Medienarbeit der katholischen Kirche ist Verst als Berater, seit 2016 auch als Schul- und Krisenseelsorger im Bistum Mainz tätig.



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