Islamischer Staat – vernichten oder diplomatisch anerkennen?

Loretta Napoleoni plädiert in ihrem Buch ‚Die Rückkehr des Kalifats‘, mit dem Islamischen Staat (IS) zu verhandeln, statt ihn zu bombardieren. Der Journalist, UN- und Nahost-Experte Andreas Zumach aus Genf setze sich mit der These auseinander.

Loretta Napoleoni plädiert in ihrem Buch ‚Die Rückkehr des Kalifats‘, mit dem Islamischen Staat (IS) zu verhandeln, statt ihn zu bombardieren. Der Journalist, UN- und Nahost-Experte Andreas Zumach aus Genf setze sich mit der These auseinander.

Die Entstehung des Islamischen Staates

Der IS, der momentan ca. die Hälfte der Staatsgebiete Syriens und des Irak besetzt hält, über kampferprobte ehemalige irakische Soldaten und tschetschenische Terrorkämpfer verfügt, sich über Ölverkäufe in der Türkei und geraubte Kulturgüter finanziert und über die neuesten amerikanischen Waffen verfügt, rief im vergangen Sommer das Kalifat im historischen ‚Bilad Al-Sham‘, als Staat aller Muslime aus. Im Mittelalter gehörten zum damaligen Kalifat alle islamischen Staaten sowie die iberische Halbinsel.

Reaktion des IS auf die Bombardements

Seit die Amerikaner mit der Bombardierung des IS im Irak begonnen und in Syrien fortgesetzt haben, ist der IS nicht geschwächt, sondern gestärkt worden. Agierte der IS bis vor kurzem noch fast ausschließlich im Gebiet des Irak und in Syrien, hat er nach den massiven Angriffen der USA, Russlands und Frankreichs „einen Feldzug des Terrors begonnen, um die zivilisierte Welt zu destabilisieren.

Eine nicht-militärische Strategie zur Lösung des Konfliktes im Nahen Osten

Zumach schlägt zur Befriedung des Nahen Ostens eine nicht-militärische Strategie vor, die sich so zusammenfassen lässt. „Der IS lebt vom Krieg in Syrien. Der muss beendet werden, dann geht auch der IS unter. Der IS darf sein Öl nicht mehr verkaufen können, und keine Partei im Bürgerkrieg darf an neue Waffen kommen.“

Im Hintergrund: Der IS und Saudi-Arabien

Der IS stößt mit seinem Anspruch mit den Wahhabiten, der strengen islamischen Richtung in Saudi-Arabien, zusammen. Diese sehen als Krieger des wahren Islam. Und genau dieser Absolutheitsanspruch wird mit hoher Wahrscheinlichkeit die ehemaligen Verbündeten IS und Saudi-Arabien zu erbitterten Feinden werden lassen. Weder für die Wahhabiten noch für den selbsternannten Kalifen Abu Bakr al Baghdadi gibt es einen Islam außer dem ihren.

Das neu ausgerufene Kalifat umfasst für seinen „Kalifen“ Abu Bakr al Baghdadi alle islamische Staaten – auch Saudi-Arabien.

Die Diskussion fand im Haus am Dom in Frankfurt Mitte am 16. November statt

Wirtschaftliche Daen zum IS

Das Jahresbudget des IS für das Jahr 2015 beträgt 2, 5 Milliarden Euro. Die Zahlen werden von Informationsquellen durch interne IS-Dokumente aus Syrien und dem Irak belegt.

Der Abbau der Bodenschätze macht mit ca. 48% fast die Hälfte des IS-Jahreseinkommens aus, die Kontrolle der Landwirtschaft 10%, Erpressung und Steuerzahlungen der Bevölkerung 32%, Kunstschmuggel 3%, Lösegelder und Spenden 4%, und Organ- und Menschenhandel, Drogenhandel 3% sind die finanziellen Quellen des IS.

Damit ist der IS zur stärksten und reichsten Terrororganisation geworden. Je mehr Gebiete der IS erobert, umso reicher und mächtiger wird er. Der IS hat Raffinerien und Ölquellen überfallen und kontrolliert sie nun. Trotz Krieg in Syrien und im Irak fahren die Tankwagen in Richtung Türkei, wo ein Schmugglernetz mit dem Öl handelt.

80% der syrischen Bio-Baumwollfelder in Rakka und Deir ez-Zor werden vom IS kontrolliert, die Produktion liegt bei ca. 100.000 Tonnen. Exportiert wird hauptsächlich an den zweitgrößten Textillieferanten Europas, die Türkei. Der IS ist Teil eines regional agierenden wirtschaftlichen Netzwerkes. So kauft und verkauft der IS direkt oder indirekt über Zwischenhändler Waren im Ausland. Der Verbraucher weiß nicht, woher sein Öl, Benzin oder seine Baumwolle stammt. Sind die Waren auf dem Markt, können sie nicht mehr zurückverfolgt werden.

Putin machte daher auf dem letzten G 20-Gipfel in Ankara auf den Geldzufluss aus vierzig Länder an den IS aufmerksam.

Unterschied zu Al-Quaida

Das Finanz-Modell von Al-Quaida beruhte auf Banktransfers: einen Geber und einen Empfänger.Der IS wollte autonom werden und bedient sich eines breit gefächerten Wirtschaftsmodells auf seinem Gebiet: dem Hawala-System, ein Geldtransfer auf Vertrauensbasis über Zwischenhändler, das der Karawanenzeit entstammt. Eine bestimmte Summe wird in einem Land hinterlegt und der Empfänger erhält sie in einem anderen Land wieder. Da keine elektronische Überweisung vorgenommen wurde, ist der Geldfluss nicht mehr zurück zu verfolgen.

Im September 2014 führte der IS mit dem Islamischen Dinar aus Gold, Silber und Kupfereine eine eigene Währung ein, damit die Währung der Ungläubigen nicht benutzt werden muss. Verantwortlich für die Finanzen ist seit vier Jahren der berüchtigte ‚Finanzminister‘ Muafaq Mustafa Mohammed al Karmoush, genannt Abu Salah. Seit Beginn des Syrienkrieges hat Abu Bakr al-Bahdadi, genannt ‚Kalif Ibrahim‘ einen Staat mit zwei Vize-Kalifen, drei Kriegsberatern und sieben Ministern gebildet. Sie geben vor, ein Staat zu sein, kümmern sich jedoch nicht um die UN-Kriterien. Es hat sich gezeigt, dass mit militärischen Mitteln diesem selbst ernannten Kalifat nicht beizukommen ist. Daher bleiben nur die Abriegelung des Gebietes und die totale Isolation durch ein Embargo der UN, so dass keine Ware das IS-Gebiet verlässt.

Petra Kuppinger



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