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Irak in der Abwärtsspirale

(explizit.net) Diese junge Demokratie sei nach einer starken Geburt noch zerbrechlich, zeige aber ihre Vitalität. So umriss Iraks Premier Nuri K. al-Maliki die Lage seines Landes am Freitag im Weißen Haus gegenüber Präsident Barack H. Obama. Indes protestierten 1.000 iranische Dissidenten vor dem Präsidialsitz am Potomac gegen Iraks Übergriffe auf die Lager der iranischen Dissidenten im Irak, wo allein im September ein Dutzend umkamen. Auf den Fotos vom Essen Obamas für al-Maliki blicken beide, die sich seit zwei Jahren erstmals wieder trafen, konsterniert. Manche fragen sich, ob dem Irak ein neuer Bürgerkrieg droht.

(explizit.net) Diese junge Demokratie sei nach einer starken Geburt noch zerbrechlich, zeige aber ihre Vitalität. So umriss Iraks Premier Nuri K. al-Maliki die Lage seines Landes am Freitag im Weißen Haus gegenüber Präsident Barack H. Obama. Indes protestierten 1.000 iranische Dissidenten vor dem Präsidialsitz am Potomac gegen Iraks Übergriffe auf die Lager der iranischen Dissidenten im Irak, wo allein im September ein Dutzend umkamen. Auf den Fotos vom Essen Obamas für al-Maliki blicken beide, die sich seit zwei Jahren erstmals wieder trafen, konsterniert. Manche fragen sich, ob dem Irak ein neuer Bürgerkrieg droht.

Al-Maliki vermochte es nicht, die Woge der Gewalt - vor allem mit Autobomben in den westlichen Landesteilen zumeist gegen Schiiten - zu brechen. Es gab eine Verdopplung der Toten auf 7.000 nur in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr. Der Premier begründete dies auch mit den Folgen des Bürgerkriegs im benachbarten Syrien. Von dort haben al-Qaidatruppen wie die an-Nusra-Front in der sunnitischen al-Anbarprovinz angegriffen.

Baghdad mangelt es an wirksamen Gegenschritten und der Integration anderer Gruppen wie der Sunniten und der Kurden. Letztere zeigten sich im Norden noch am stabilsten.

Machtteilung

US-General Lloyd Austin, oberster US-Befehlshaber für Mittelost, warnte Ende Oktober, Irak habe eine Abwärtsspirale eröffnet, die sehr wohl in einen Bürgerkrieg führen könnte, wenn dem nicht wirksam entgegengetreten würde. Überdies, so erklärte Austin in einem Gespräch mit dem Wallstreet Journal, würde al-Maliki dadurch noch mehr in die Hände des Iran getrieben werden und der sektiererische Konflikt unter Sunniten und Schiiten auf die Region ausgedehnt werden. Die irakischen Sicherheitskräfte würden nur inadequat reagieren. Noch hätten die schiitischen Gruppen laut General Austin nicht in der Breite den Kampf aufgenommen. Aber diese Situation könne sich sehr leicht verschlechtern. Allerdings meinte er auch, die Frage sei, ob Iraks Führung besseren Beistand wünsche.

Da al-Maliki seit Mittwoch weder Vizepräsident Joe Biden noch die Kongressführer von seinen Plänen überzeugen konnte, sind seine Bitten um weiteres Kriegsgerät abschlägig beschieden worden. Senator Robert Menendez etwa verhelte seine extreme Enttäuschung nicht. Wenn diese Reise das amerikanische Vertrauen in al-Maliki bestärken sollte, so der Vorsitzende des Senatskomitees für Auswärtige Beziehungen, dann habe der Premier das verfehlt. Daher wird er vorerst die gewünschten Apache-Hubschauber entbehren müssen, die mit der irakischen Bitte aufkamen, mehr Hilfe in der Terrorbekämpfung zu leisten.

Sicher ließ Obama seinen Gast nicht ganz fallen, der es Ende 2011 gleichwohl verfehlte, einen Schutzpakt mit Washington abzuschließen, dessen Fehlen Irak nun teuer zu stehen kommt. Zwar sagte Obama eben weitere Hilfe im Kampf gegen den gemeinsamen Feind al-Qaida zu. Und dass Irak „demokratisch, inklusiv und aufblühend“ sein möge. Jedoch betonten Amerikaner auch, dass al-Maliki gegenüber den Monate langen Bitten ignorant blieb, die iranischen Überflüge - potenziell Waffen - oder solche Lieferungen durch den Irak für Bashshar al-Asads Regime zu verbieten oder diese inspizieren zu lassen. Senator John McCain riet Obama, mehr auf die Macht- und Vermögensteilung im Irak zu achten.

Rechtsstaat

Irak hat nach dem Abzug der Amerikaner am 18. Dezember 2011 zwei Jahre für eine grundlegende Etablierung von Demokratie in den irakischen Farben verloren. Zuvor gab es günstigere Anläufe für eine Machtteilung unter Schiiten, Sunniten und Kurden. Doch al-Malikis Methoden, seine engere Anlehnung an Teheran und die aufwallende Gewalt lassen diesen Integrationskurs platzen. Vieles wird sich bald in den im April anstehenden Wahlen zeigen, darunter für einen Präsidenten. Al-Maliki will sich - seit April 2006 - ein drittes Mal in dieses Amt wählen lassen. Das halbe Jahr bis dahin wird es in sich haben.

Al-Maliki ist zugleich Vizevorsitzender der Islamischen Missionspartei. Ihr Vorläufer wurzelt im Irak nach dem Zweiten Weltkrieg und in Texten des Ayatullahs Muhammad Baqir as-Sadr. Mitten im Aufschwung panarabischer und sozialistischer Lehren, plädierte der Geistliche für ein eigenes Konzept, das im schiitischen Gottesstaat münden sollte. In seinen Ideen über eine Islamische Wirtschaftsordnung lehnte er sowohl das sowjetische als auch das kapitalistische Modell für den Irak ab. Dies geschah auch in Anlehnung an die Schriften Ayatullah al-Khumainis im Iran, der as-Sadr aufgefordert haben soll, im Irak zu bleiben und eine islamistische Revolte gegen Saddam Husain in Baghdad anzuführen.

Husain ließ allerdings as-Sadr schon 1980 erhängen. Dann gab er sich mehr und mehr islamisch aus. Damals flohen viele Anhänger as-Sadrs wie sein Gefährte Muhammad Baqir al-Hakim in den Iran. Nachdem zwei Jahre später ein Attenat auf den Tyrannen Husain scheiterte, ließen sich verbliebene Sadiristen im iranischen Exil nieder. Auch aus solchen historischen Epochen heraus gab es ein recht enges Geflecht unter den Schiiten in Teheran und Baghdad. Heute spielt Muqtada as-Sadr, Sohn von Muhammad Baqi as-Sadr, eine gewichtige Rolle im Irak und verfügt über seine eigenen schiitischen Milizen. Wie bei allen aus den islamistischen Strömungen, fällt eine eigenartige Selbstbehauptung gegenüber den Islamisten Irans auf, die gern über ihre Glaubensbrüder Einfluss ausüben wollen. Auch theologische Divergenzen zeitigen andere Visionen für Staat und Region.

US-Geburtshelfer

Auch wenn es Streit um die historische Rolle dieser Islamisten Iraks gibt, so scheint doch die amerikanische Intervention durch den Sturz des Diktators Husain 2003 und durch den Abzug 2011 den Weg für die Erben as-Sadrs, darunter al-Maliki, freigemacht zu haben. Immerhin gelang es al-Maliki, sich nicht voll auf eine Herrschaft von Islamisten wie im Iran festzulegen. Er bildete daher eine Rechtsstaatskoalition, Ittilaf Dawlat al-Qanun, die sich um einen Rechtsstaat für die 30 Millionen Einwohner im modernen Mesopotamien bemüht. Diese Kernidee scheint zunächst viel besser Iraks Verhältnissen zu entsprechen. Doch muss sie sich erst noch im Feuer vieler Opponenten bewähren, darunter auch Iraner.

Kein Zweifel besteht darin, dass der weitere Weg Iraks einen Hauptimpuls für Mittelost gibt. Geht es mit der Abwärtsspirale weiter, so gibt es einen neuen Bürgerkrieg und das Land, bestehend aus vorrangig schiitischen, sunnitischen und kurdischen Regionen, steht vor dem Zerfall. Damals wehrten die Amerikaner diesen Untergang ab. Sie rissen das Ruder zur zeitweiligen Befriedung herum. Der Preis an Leben und Gut war für Amerika hoch, darunter 800 Milliarden Dollar. Heute hat der Irak keine solche Rückversicherung mehr. Umso wichtiger sind jetzt al-Malikis Bestrebungen in einer Zeit voller Ungeduld.

<emphasize>Wolfgang G. Schwanitz</emphasize>



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