Foto: Becker-Huberti

Ich bin ich. – Bin ich wer? Aber, wer bin ich?

(explizit.net) Virtuelle Präsenz als Ersatz der realen Identität

Eine Beobachtung in einem Restaurant: Ein Pärchen sitzt sich gegenüber an einem gedeckten Tisch. Sie schauen sich nicht an, sie sprechen nicht miteinander, sie texten sich per Smartphone. Und sie fotografieren ihr Essen und schicken sich gegenseitig die Fotos. - Heiterkeit unter den Zuhörern. Aber, so Miriam Meckel, ein Smartphone, die Fernbedienung unseres Lebens, kann man auch ausschalten. Ja, geht das denn überhaupt noch in der Zeit der permanenten Erreichbarkeit? Müssen wir uns nicht fragen: Bin ich nur noch dann, wenn ich wahrgenommen werde? Führt das Share yourself, das Prinzip des Veröffentlichens, zu einem Ich im Außen? Wird mein Selbst heutzutage daran gemessen, welche soziale Reichweite ich im Virtuellen habe?

(explizit.net) Virtuelle Präsenz als Ersatz der realen Identität

Eine Beobachtung in einem Restaurant: Ein Pärchen sitzt sich gegenüber an einem gedeckten Tisch. Sie schauen sich nicht an, sie sprechen nicht miteinander, sie texten sich per Smartphone. Und sie fotografieren ihr Essen und schicken sich gegenseitig die Fotos. - Heiterkeit unter den Zuhörern. Aber, so Miriam Meckel, ein Smartphone, die Fernbedienung unseres Lebens, kann man auch ausschalten. Ja, geht das denn überhaupt noch in der Zeit der permanenten Erreichbarkeit? Müssen wir uns nicht fragen: Bin ich nur noch dann, wenn ich wahrgenommen werde? Führt das Share yourself, das Prinzip des Veröffentlichens, zu einem Ich im Außen? Wird mein Selbst heutzutage daran gemessen, welche soziale Reichweite ich im Virtuellen habe?

In einer fiktiven Begegnung lässt Meckel den amerikanischen Poeten Walt Whitman (1819-1892) dem Facebook-Erfinder Mark Zuckerberg (* 1984) in Form von Originalzitaten begegnen. Auf der einen Seite einer, der das Ich als seelisch-sinnliche Ganzheit begreift, die sich jedoch aus einer Vielheit von Unterschiedlichem, Wandelbaren, sich gar Widersprechendem zusammensetzt. Auf der anderen Seite einer, dem das Ich vor allem Produkt von Inszenierungsstrategien im Netz ist, formbar, eindeutig und in vielerlei Hinsicht zu vermarkten.

Der Poet postet:

<emphasize> „Nie war mehr Anfang als jetzt,</emphasize>

<emphasize> Nie mehr Jugend oder mehr Alter als jetzt,</emphasize>

<emphasize> Nie wird es mehr Vollkommenheit geben als jetzt,</emphasize>

<emphasize> Oder mehr Himmel und Hölle als jetzt.</emphasize>

<emphasize> Drängen und Drängen und Drängen – </emphasize>

<emphasize> Immer der zeugende Drang der Welt.“</emphasize>

Und er klickt weiter in die Eingabezeile der Timeline:

<emphasize> „Lange genug hast du verächtliche Träume geträumt,</emphasize>

<emphasize> Jetzt reibe ich dir den Schlaf aus den Augen,</emphasize>

<emphasize> Du musst dich an das Blenden des Lichtes und jedes Augenblickes</emphasize>

<emphasize> In deinem Leben gewöhnen.“</emphasize>

Zuckerberg reagiert gereizt:

<emphasize>„Die Menschen fühlen sich heute wohl damit, dass sie alles teilen, immer offener und mit immer mehr Menschen. Das ist die neue soziale Norm, die sich mit dem Lauf der Zeit herausgebildet hat.“</emphasize>

Der alte Poet denkt kurz nach und schreibt dann:

<emphasize> „Ich widerspreche mir selbst?</emphasize>

<emphasize> Nun gut, ich widerspreche mir selbst.</emphasize>

<emphasize> (Ich bin ja weiträumig, ich enthalte Vielheiten).“</emphasize>

Zuckerberg, ob der Respektlosigkeit der Nachricht, die er lesen musste, unruhig geworden, schreibt zurück:

<emphasize> „Du hast eine Identität. Mehrere Identitäten zu haben ist ein Mangel an Integrität.“</emphasize>

Er klickt auf „Post“ und glaubt triumphieren zu können, weil er glaubt, das letzte Wort gehabt zu haben.

Vorgeführt werden hier zwei sich grundlegend widersprechende Ideen, wie wir das menschliche Ich verstehen können und wollen: Als eine existentielle Identität, die volatil, wandelbar und offen ist, dafür aber in ihrem Kern letztlich unbegreifbar, unsichtbar und damit auch unbeschreibbar oder als eine operationale Identität, die geschaffen wird durch die Aktivitäten des Einzelnen für sich und mit anderen in einem permanenten Aushandlungsprozess über die digitalen Netzwerke, die als Ergebnis einer Inszenierungsstrategie zum formbaren und handelbaren Produkt und zu einer Marke wird. Eine Explosion des Persönlichen, das öffentlich wird.

Es geht darum, drinnen oder draußen zu sein, dazuzugehören oder nicht. Es geht um Inklusion oder Exklusion. Identität ist dann die Summe der Differenzmarker, die uns hilft, wir selbst und nicht die anderen zu sein. Falls wir das noch wollen. Denn es setzt die Markierung von Differenz voraus, von einem „Unterschied, der einen Unterschied macht“, so der britische Anthropologe Gregory Bateson. Die Identität ist Voraussetzung dafür, dass wir uns beschreiben, von anderen abgrenzen und erkennen können. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass wir in Zeiten der umfassenden Digitalisierung zwischen dem Realen und dem Virtuellen, der Lebensmaterie und dem Lebensnetzwerk, dem „on“ und dem „off“ unterscheiden können.

Miriam Mekel bot drei Lesarten an, wie sich Identität in einer Zeit deuten lässt, in der das Ich damit befasst ist, sich ständig in seinen Netzwerken neu zu positionieren und zu verorten.

Identität als Bühne

Man kann sich das Internet als eine Bühne vorstellen, auf der wir alle mit Hilfe der modernen Kommunikationstechniken das Spiel des Lebens spielen. Es begann vor zwanzig Jahren mit dem Mobiltelefon, aus dem inzwischen das Smartphone wurde. Es ging weiter mit dem Tabletcomputer, der es uns immer schwerer macht, einen Vorhang zwischen der bunten Welt der Vernetzung und unserem manchmal grauen Alltagsleben zu ziehen.

Diese Bühne der digitalisierten Mobilkommunikation scheint es uns leicht zu machen, uns zu inszenieren: Ich maile, also bin ich. Ich bin erreichbar, also bin ich wichtig. Ich bin immer „on“ oder im „standby“, also bei mir selbst angekommen als dem Prachtexemplar eines vernetzten Neonomaden der digitalen Globalisierung.

Aus der Faszination wurde ein Fetisch, aus der Vernetzung die Verfolgung durch unerledigte Aufgaben. Wir tragen das Telefon mit uns wie eine Waffe, gerichtet auf alle, die eine Frage an uns haben, stets bereit zum Abschuss einer neuen Nachricht. Müssten wir nicht lernen: Was will ich? Warum ist das Smartphone keine Hilfe, sondern ein Hindernis auf dem Weg eines autonomen und authentischen Lebens? Was hat dieses Gerät mit mir zu tun? Ist das Mobiltelefon Ausdruck meiner selbst oder bin ich Ausdruck dieses Gerätes?

Es steht die binäre Entscheidung zwischen „on“ und „off“ an und die Neuentdeckung einer Befreiung von äußerlichen Anforderungen, die Raum und Zeit für Muße schaffen. Die Wiederaufnahme des zweitweise im Duden gestrichenen Wortes „Muße“ signalisiert die Feststellung, dass Muße nicht Faulheit, sondern Voraussetzung für Kreativität und Kontemplation ist. Die exzessiven Mimen der eigenen Bedeutsamkeit schert das aber wenig. Sie balzen weiter auf der Bühne der digitalen mobilen Alltagsinszenierung.

Was sich bei der technikbasierten Kommunikation verändert hat, ist mit den Dimensionen der „zentrierten“ oder „nicht zentrierten“ Interaktion beschrieben worden (Erving Goffmann). Der überwiegende Teil unserer Interaktionsformen über Kommunikationstechnologien oder in sozialen Netzwerken gehört zur „zentrierten“ Interaktion. In ihrem Zentrum steht nicht das Du, sondern das Ich. Der Radius unserer Aufmerksamkeit und Wahrnehmung, so Meckel, ist oft nicht größer als der Lichtschein eines Smartphones in der Dunkelheit. „Ich-zentrierte“ Interaktion oder Kommunikationsautismus heißt dieses Phänomen der Ich-Spiegelung, ein Monolog-Theater unter vielen Anwesenden.

Identität im Netz wird zu einem narzisstisch-solipsistischen Programm einer fortwährend bespielten Bühne des Lebens. Ich bin nur noch, was öffentlich und für alle sichtbar ist. Es gilt das Dogma der totalen Transparenz mit der Folge der Entzauberung; denn wo alles sichtbar wird, ist das eigene Ich Objekt eines pornografischen Blicks meiner selbst und anderer. Das total transparente Ich wird zu einem bewahrenden Gefäß, in dem noch die Leere erstarren kann. Die aber kriecht kalt in uns hinein, während wir – umgeben von Millionen anderer Ichs – durch das Netz streifen und um unser Leben posten.

Identität als Filter

Wenn wir Identität als ein sich wandelndes Konstrukt begreifen, das abhängig ist von vielen Einflüssen und Veränderungen in uns und unserer Umwelt, dann verschieben sich auch in diesem Zusammenhang einige Parameter, die das Ich in seinen Netzen mehr und mehr gefangen nehmen. Diese Veränderung vollzieht sich still in den Schaltzentralen der Digitalisierung, in denen an der Metamorphose des Menschen gearbeitet wird, also bei Google, Facebook, Amazon und Co. Hier entstehen aus Code die Algorithmen, die unsere Präferenzen analysieren und beschreiben, was wiederum unser Verhalten in Gegenwart und Zukunft beeinflusst.

Ist es anfangs noch ein Akt der Selbstbestimmung, die mich fragen lässt, was ich will, um darauf eine eigenständige Antwort zu erhalten, bleibt mir als wertvollstes Geschäftsgeheimnis der digitalen Wirtschaft verborgen, was die Algorithmen von Google und Co. aus meiner Frage machen werden. Ich weiß, dass ich nicht weiß, wie die Selektionen und Präferenzen, die Analysen und Vorhersagen im Netz für mich vorgenommen werden. Ich weiß, es geschieht, aber ich weiß nicht wie.

Es gehört zu den elementarsten Voraussetzungen eines autonomen und authentischen Lebens zu wissen, welchen Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten es unterworfen ist. Und wenn wir nicht erfahren und wissen können, wie das personalisierte Internet funktioniert, damit es uns die Informationen und Produkte anbieten kann, die wir schon immer hatten haben wollen, müssen wir wenigstens der Überraschung und dem Zufall den Weg ins Netz bahnen, indem wir alternative Suchmaschinen nutzen, indem wir über das TOR-Netzwerk browsen, um uns in unserer Suche unsichtbar für die zu machen, die glauben, alles Leben müsse heute transparente Bühne sein.

Tun wir das nicht, bleiben wir nicht bloß ahnungslos. Unsere Identität wird zum Filter im Netz: Ausdruck unsere Wünsche, Vorlieben und Ziele, nach denen wir in einer umfassenden Datenspur gesucht haben, die wir geliked und geposted haben, filtert sie alles, was auf uns zukommen kann. Alles, was ich suche, ist schon in mir gefunden worden. Alles, was ich wünsche, ist schon in meiner Wirklichkeit angelegt. Alles, was außerhalb meiner selbst ist, bin ich auch. Und nur das, was ich bin, ist der Fall. Sonst nichts.

Meine Identität, so Meckel, ist die Konkavlinse, durch die ich ins Netz und auf die Welt schaue. Sie wirft mir ein Bild meiner selbst zurück, angereichert mit passenden Informationen und Eindrücken. Ich sehe gut aus auf diesem Bild.

Identität als Kapital

Es gibt eine dritte Form der Neuinterpretation von Identität für das Ich im Netz. Durch sie wird Identität zu einem handelbaren Gut, zu einer Ware auf dem Markt des Inszenierungswettbewerbs. Hier wird Identität zur „most valuable commoditiy“ (Schmidt/Cohen: Die Vernetzung der Welt), ein handelbares Gut, gebildet aus dem Wechselspiel von Angebot und Nachfrage. Ich bin Marktführer. Oder ich bin nichts mehr wert.

Am Beispiel der App „Identity Guard“: Diese App hilft den Usern, unsere persönlichen Informationen gegen unbefugte Zugriffe Dritter zu schützen. Wichtigste persönliche Informationen sind nicht etwa medizinische Daten oder sexuelle Präferenzen, sondern der Credit Score oder die Passwörter für das Online-Banking. Identität ist hier der Zugang zu und die Fülle meines Bankkontos.

Diese App ist nur eine Eingangstür zur Welt der Egoanalysen auf der Basis von Big Data. In den USA ist ohne entsprechende Ratings zur Kreditwürdigkeit kaum mehr ein Leben möglich. Der 1987 ins Leben gerufene Fico-Score ist das Standardmaß für die Integrität des Menschen, die an seinen finanziellen Verhältnissen hängt, nicht umgekehrt. Unter anderem mit diesen Mitteln ist die Identität zu einem kommerzialisierten Produkt geworden. Was ich wert bin, lässt sich in Zahlen ausdrücken. Ohne den richtigen Score bin ich ein Nichts.

Wir werden korrumpierbar, anfällig, uns als Ganzes aus dem Blick zu verlieren, uns selbst zugunsten des sozialen Matchings in den Netzen zu verändern. Wir unterwerfen uns den Marktgesetzen einer Kommerzialisierung von Identität und damit der Logik des „Neurokapitlismus“ (Hennric Jokeit und Ewa Hess), wo das Ich eine dauerhafte „dynamisch erneuerbare Expansionsbereitschaft“ an den Tag legt. Expandieren kann man so lange, bis man den Ausgangspunkt, den Kern verloren hat. Dann implodiert man.

Bei dieser Verwandlung schauen wir uns selbst beim Verschwinden zu. Wir selbst befreien uns von den Fesseln der physischen Existenz, unsere eigenen Gedanken reichen aus. Wir werden nach dem höheren, weiteren, besseren Ich streben, das in der Selbstoptimierung durch digitale Technologien seinen angemessenen und effektiven Resonanzraum findet.

Die Optimierung des Menschen – „Self Enhancement“ genannt – ist zurzeit die aktuellste Entwicklungsstufe in der Verwandlung menschlicher Identität zu einem handelbaren Produkt. Der Anfang besteht in einem kleinen Armreif, den wir tragen und der alles dokumentiert, was wir tun. Heute habe ich 8.736 Schritte getan, bin 928 Stufen gestiegen und habe dabei 1.459 Kalorien verbraucht. Das ist zu wenig, denn ich habe 1.845 zu mir genommen! Ich habe 6 Stunden und 32 Minuten geschlafen, davon 84 Minuten im Tiefschlaf. Ich bin zwölf Mal aufgewacht. Ich habe beim Sex viel zu wenig Energie verbraucht. Das muss besser werden. Ich muss besser werden.

Der mathematische oder informatorische Mensch, wie ihn Georg Musil 1913 bereits vorausgesehen hat, ist eine Funktion aus Problem und Problemlösung durch technologischen Fortschritt. Er kennt keine Krankheit, sondern nur Dysfunktionen seines physischen Apparats, keine körperlichen Grenzen, sondern nur Schwellen auf dem Weg zu einer besseren physischen Leistungsfähigkeit. Er ist nicht müde oder unkonzentriert, sondern bloß schlecht eingestellt in seinem „Neuroenhancement“. 50 mg Ritalin über den Tag verteilt, lösen das Problem.

Das datengetriebene und technologisch angereicherte Leben der Zukunft gleicht dem digitalen Code: 0 oder 1, schlecht oder gut. „Alles auf der Welt ist entweder drinnen oder draußen“, so der amerikanische Schriftsteller Dom DeLillo. Und in dieser Welt sind wir immer drinnen, denn das Netz mit seinen digitalen Technologien ist in uns hineingewandert, beginnend mit dem Tracking-Armreif über den RFID-Chip unter der Haut bis zum Hirnimplantat. Und wir sind immer draußen. Denn was wir uns in der Folge antun, hat mit den externen Anforderungen an permanente Optimierung zu tun.

Wir telefonieren nicht mehr, sondern teleportieren Gedanken. Wir erfahren nicht mehr, sondern laden Erlebnisse aus den eigenen Ego-Speichern oder denen anderer hoch. Unsere Passwörter für die nächsten 24 Stunden sendet eine Pille, die wir geschluckt haben, an die Außenwelt. Der Minicomputer im linken hinteren Backenzahn mobilisiert einen mechanischen Schließmechanismus unseres Kiefers, gegen den wir nicht mehr andenken können, um so dem süßen Keks im Anmarsch den Weg zu versperren.

Wir sind gut. Wir sind besser. Wir sind großartig. Wir sind die, von denen wir selbst immer geträumt haben. Ich bin auf dem Markt der Optimierungsoptionen. Ich bin Marktführer. Oder ich bin nicht mehr.

Und wir müssen noch besser werden. Wir müssen noch besser im Besserwerden werden. Uns optimieren und die Optimierung optimieren.

Ausblick

Als besseres Selbst sind wir auf dem Weg zu einem Grad von Autonomie, wie wir ihn nie zuvor gekannt haben, konstatiert Miriam Meckel. Befreit von den Grenzen unserer Physis, von unserer Psyche, von störenden Affekten. Wir überschreiten unsere Grenzen. Auch die Idee eines authentischen Lebens.

Authentizität hat ausgedient. In Zeiten der allumfassenden Optimierung ist nichts mehr echt, sondern immer nur der Entwurf einer Zwischenstufe auf dem Weg zum Besseren, eine Abfolge von Updates und Upgrades. Als permanente Betaversion unserer selbst unterliegen wir der Überprüfung und Bereinigung des Ichs durch uns und andere.

Was ist mit unserer Identität, wenn wir Menschmaschinen sind, den Gesetzmäßigkeiten der totalen Digitalisierung und Vernetzung unterworfen. Wir sind auf jeden Fall andere, denen die Grenze fehlt, bei denen das Denken im Raum zwischen Anfang und Ende, Jetzt und Bald, Hier und Dort fehlt. Wir implodieren in den Möglichkeiten der Grenzenlosigkeit.

Unsere Identität ist nun ein volatiles, sich stets wandelndes Netzwerk an Beziehungen, die sich zweckorientiert in jeweils neuen Konstellationen wiederfinden. Das Gesetz lautet: Wer hat, dem wird gegeben. Die Reichen an Geld, Gut und Wahrnehmung werden reicher an Geld, Gut und Wahrnehmung.

Vielleicht werden sich dann Menschen zusammentun, die wieder auf die innere Stimme des Menschen hören und Authentizität. Authentizität, nicht Transparenz; Echtheit, nicht Offenlegung. Vielleicht malen sie sich Schilder: „Du musst dein Leben ändern!“ Und sie werden ein Ziel haben: das nicht umfassend beobachtbare, analysierbare und berechenbare Ich in die eigene Welt zurückzuholen. Identität wäre dann wieder ein Medium der Inklusion unter veränderten Voraussetzungen und die Geschichte, so Miriam Meckel, hätte wieder einmal gezeigt, dass sie sich weigert, linear zu verlaufen.

<emphasize>Manfred Becker-Huberti</emphasize>

<emphasize></emphasize>

<emphasize></emphasize>

Das

17. Philosophicum Lech

, vom 25. bis 29. September 2013 in Lech am Arlberg/Österreich, tagte unter dem Thema „Ich. Der einzelne in seinen Netzen.“ Mit zwölf Vorträgen und einigen weiteren Veranstaltungen trugen renommierte Philosophen, Kunsthistoriker, Literatur- und Kommunikationswissenschaftler aus ihren Fachgebieten Facetten zu einem Phänomen bei, das in unserer Gegenwart durch einen seltsamen Widerspruch gekennzeichnet ist: Auf der einen Seite beklagen wir den zunehmenden Individualismus und Egoismus in unserer Gesellschaft. Das „Ich“ steht im Vordergrund, die „Ich-AG’s“ prosperieren, das jeweilige „Selbst“ muss verwirklicht werden. Die Gesellschaft mutiert zur Ellbogengesellschaft, in der Gier und Geiz, Hedonismus und Konsumsucht blühen. Jeder wird auf sich selbst zurückgeworfen. In einer Gegenbewegung, so kann man feststellen, verdunstet in der gleichen Gesellschaft Individualität, die Einzigartigkeit und Besonderheit des einzelnen Menschen. Der Gruppendruck wird immer stärker, „Teamfähigkeit“ und soziale Vernetzung sind conditio sine qua non der Gesellschaft. Wer sich nicht als Asozialer, Aussteiger und Sonderling brandmarken und damit vor die Tür der Gesellschaft stellen lassen will, muss Transparenz herstellen, sich für andere öffnen, Intimes öffentlich machen, sich eine virtuelle Identität schaffen. Das virtuelle „Ich“ ersetzt das reale „Ich“, das sowieso ja nur eine Illusion ist, wie Hirnforscher erklären.

Professor Dr. Miriam Meckel

, geb. 1967, Professorin für Kommunikationsmanagement und Direktorin am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement, Universität St. Gallen, Faculty Associate am Berkman Center for Internet Society, Harvard University, Cambridge/MA, USA, und Permanent Visiting Professor an der Singapore Management University, Singapur, referierte in Lech über: iDENTITY. Das Ich im Netz.



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