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Herausgefordert durch Flüchtlingspolitik Italiens

Für die neue rechtsnationale Regierung Italiens sind die Einwanderer das Hauptproblem Italiens - die Zahlen beweisen jedoch das Gegenteil. Zum Foto: Der Papst lässt sich demonstrativ mit der Schwimmweste eines ertrunkenen Mädchens fotografieren.

Der neuen rechtspopulistischen Regierung „Lega-Cinque Stelle“ hat sich rasch eine Gelegenheit geboten, ihre Anti-Immigrationspropaganda in politische Münze umzusetzen. Mit der Abweisung des Ngo-Rettungsschiffs Aquarius will der frisch gekürte Innenminister und Parteiführer der Lega, Matteo Salvini, der eigentliche Gewinner der Wahlen, eine neue Diskussion über Einwanderung auf europäischer Ebene erzwingen. Dabei geht er mit dem Brecheisen vor: Ungeachtet der Menschenrechte, des internationalen Seefahrtsrechts und der Gefahr, sich in Kollision mit den EU-Partnern zu begeben. Seine Härte zeigte einen ersten Erfolg. Nach tagelanger Debatte hat sich Spanien erbarmt, die 629 Flüchtlinge, darunter Kinder, schwangere Frauen und Verletzte, aufzunehmen.

Es droht Chaos und humanitäre Katastrophe im Mittelmeer

Es soll ein „Signal an die Schlepper und Migranten in Afrika sein, zukünftig von einer Überfahrt abzusehen“. Und um den Rest, das heißt die Afrikaner, die sich trotzdessen auf den Weg begeben, sollen sich „gefälligst Malta, Frankreich oder Spanien kümmern“, so der Lega-Chef.

Es ist zu befürchten, dass die Sperrung der italienischen Häfen anhalten wird. Es ist andererseits technisch ausgeschlossen, dass die Rettungsschiffe der Ngo’s in Zukunft hunderte von Seemeilen zurücklegen, um die Flüchtlinge an spanische oder gar französische Häfen zu bringen. Dafür sind sie weder gerüstet, noch erlaubt oft die sanitäre Situation der Schiffbrüchigen eine tagelange Überfahrt. Die Aquarius war über vier Tage nach Valencia unterwegs. In diesen Stunden wartet das amerikanische Marineschiff Trenton mit 41 Flüchtlingen an Bord auf Anweisungen, wo es anlegen kann. Die Körper von zwölf Ertrunkenen musste die Crew im Meer zurücklassen, weil das Schiff keine Kühlzellen hat. Die Straße von Sizilien gilt mittlerweile als Hekatombe.

Verwerfliches Spiel mit Menschenleben

Empörung aus Brüssel und von den EU-Nachbarn blieb nicht aus. Frankreich und Italien lieferten sich einen scharfen Schlagabtausch, in dem sie sich gegenseitig unmenschliche Behandlung von Migranten an den Grenzen vorwarfen. Zweifellos will Salvini eine neue Basis für die Aushandlung von Flüchtlingsquoten auf der in zwei Wochen anstehenden EU-Gipfelberatung zur Asylpolitik schaffen. Den 2016 ausgearbeiteten Reformvorschlag des Dublin-III-Abkommens lehnt der Innenminister als unvorteilhaft für Italien strikt ab. Er gesellt sich vielmehr zu Ungarn und Österreich, die dem europäischen Migrationsdrama unsolidarisch den Rücken zugekehrt haben.

Der Fall hat auch Italien innenpolitisch gespalten. Den politischen Druck auf dem Rücken von gestrauchelten Bootsflüchtlingen auszutragen, findet die Links-Mitte-Opposition ebenso verwerflich wie die italienischen Bischöfe, die wiederholt Appelle an die Regierung richteten. Viele Katholiken forderten den Papst über die sozialen Medien auf, den fremdenfeindlichen Salvini zu exkommunizieren. Dieser scheut nicht, Fotos von sich mit einem Rosenkranz in der Hand zu posten.

Dennoch stimmt die Mehrheit der Italiener darüber überein, dass der Migrationsfluss gedrosselt werden müsse - und dass es zu viele Einwanderer, vor allem Farbige, im Belpaese gäbe. Dunkelhäutige Afrikaner nehmen die untersten Sprosse der sozialen Leiter der Zuwanderer ein. In der Tat bilden sie die jüngste Generation unter den Migranten.

Hat Italien mehr Flüchtlinge aufgenommen als die anderen Industrienationen der EU?

Seit der Schließung der Balkanroute wurde der Seeweg von Libyen nach Süditalien der hauptsächliche Fluchtweg für Menschen, um Krieg, Verfolgung und Hunger zu entkommen. Der Großteil stammt aus Schwarzafrika, nämlich Eritrea, Nigeria, Sudan, Mali, denen internationaler Schutz zusteht. Zwischen 2014 und 2018 gelangten etwa 550.000 Migranten über das Mittelmeer nach Italien, die meisten davon im Jahr 2016, nämlich 181.000.

Derzeit befinden sich 170.000 Asylsuchende und solche mit Aufenthaltstitel in den verschiedenen Aufnahmezentren im Lande, eigentlich eine erträgliche Zahl im Hinblick auf die 60 Millionen Einwohner. Die Ausländer machen damit zwischen 8,5-10 Prozent der Bevölkerung aus, vergleichsweise weniger also niedriger als in Frankreich und Deutschland. Das war bisher auch das Argument der EU-Nachbarn, warum sie keinen dringenden Bedarf der Entlastung Italiens sahen.

Auf der anderen Seite lastet auf Italien die unangenehme wie schwierige Aufgabe, Schiffbrüchige aus dem Meer zu fischen und in Erstaufnahmeeinrichtungen zu versorgen. Die Aufnahme ist mit höherem Personalaufwand und Anstrengungen verbunden.

Vorgängerregierung von Renzi hatte längst den Migrationsfluss gedrosselt

Der Vorwurf, in dem Flüchtlingsdrama von Europa alleingelassen zu werden, ist nicht neu. Bereits die Vorgängerregierung von Matteo Renzi und Paolo Gentiloni hat im Europarat für die Umsetzung der Quotenregelung gekämpft. Sie reklamierte, dass bis September 2017 nur sieben Prozent der vereinbarten Relocation-Quote von Asylanwärtern tatsächlich auf die Nachbarstaaten verteilt wurden.
Seit letztem Herbst hat sich die Situation jedoch erheblich verbessert: allein 2018 wurden 12.700 Flüchtlinge, die ein Anrecht auf internationalen Schutz haben, umverteilt, größtenteils auf Deutschland und Schweden. Als wichtigster Schritt gilt aber das umstrittene, im Februar 2017 unterzeichnete Abkommen zwischen Italien und der libyschen Küstenwache. Gegen Geldzahlung patrouilliert libysches Militär an den Küsten, um das das Ablegen von Schlepperbooten zu verhindern und Flüchtlinge wieder zurück eskortieren. Dadurch wurde der Migrantenstrom nach Italien innerhalb eines Jahres um ca. 80 Prozent reduziert (Verringerung insgesamt um 76,3 Prozent, allein von den libyschen Küsten 82,5 Prozent). Im Grunde hatte die Renzi-Regierung kurz vor Ende ihrer Legislaturperiode das Flüchtlingsproblem „in den Griff bekommen“ – wenn auch mit zweifelhaften Mitteln.

Lokale Politiker stellen sich gegen Aufnahme von Flüchtlinge

Die Mitte-Links-Regierung förderte auch eine Dezentralisierung und Fragmentierung der Auffangzentren und Unterkünften: Weg von den großen Hubs zu kleineren Unterkünften nach dem deutschen Modell, um eine Ghettoisierung zu verhindern und ein Absorbieren zu erleichtern. Von den ca. 8.000 Gemeinden in Italien haben bisher jedoch nur 1.000 an dem freiwilligen Projekt teilgenommen. Hier liegt das Problem. Die meisten Gemeinden verweigern eine Kooperation. Ihre Bürgermeister fürchten, nicht wieder gewählt zu werden, wenn sie Flüchtlinge in ihrer Gemeinde aufnehmen. Es fehlt an einer politischen Führungsschicht, die die Bevölkerung behutsam an die Fremden heranführt, sie involviert und Inklusion auch als Chance einer kulturellen Bereicherung propagiert, die dem sozialen Frieden dienlich ist. Dem Staat bleibt nichts anderes übrig, als eine formale Aufnahme von oben zu befehlen. Diese Einrichtungen (CAS) unterstehen direkt dem Innenministerium und gelten zumeist als schlecht funktionierend. Was als Übergangslösung gedacht war, ist heute die Realität von fast 75 Prozent Flüchtlingen.

Bevölkerung nimmt nicht-integrierte Migranten als Störenfriede war

Die Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden hat einen Einfluss auf Akzeptanz und Eingliederung der Ausländer. Weil zudem Beschäftigungsprojekte fehlen, sieht man viele der Afrikaner auf der Straße betteln. In Rom versuchen manche ihre „Integrationsbereitschaft“ durch das freiwillige Kehren der schmutzigen Straßen zu signalisieren. Doch letztendlich nimmt der Bürger die Flüchtlinge vor allem als störendes Element wahr, die die Verelendung und Überfremdung ihrer schönen Städte vorantreiben.
Natürlich gibt es Ausnahmen: die vorbildliche Integrationsarbeit der Jesuiten vom römischen Astalli-Zentrum oder der Laiengemeinschaft Sant’Egidio, ihre humanitären Korridore. Numerisch machen sie jedoch nur einen kleinen Teil aus.

Es fällt auf, dass in den italienischen Medien selten über die tatsächlichen Integrationsprobleme, so wie in Deutschland, gesprochen wird. Vielmehr verharrt die Diskussion noch bei der Grundsatzfrage, Ausländer ja oder nein. Gelungene Integration scheint oft vor allem der Verdienst der Betroffenen selbst zu sein.

Salvini instrumentalisiert Gefühl des sozialen Niedergangs unter den Bürgern

Ein anderer Faktor sind die hohe Jugendarbeitslosigkeit von 33 Prozent und die großen infrastrukturellen Probleme des Landes, die Verschuldung vieler Gemeinden. Für jeden Flüchtling erhalten sie zwar einen festen Betrag, aber wenn kein Geld für die dringende Renovierung der Schule und Asphaltieren der Straßen vorhanden ist, sinkt die Bereitschaft, Fremde zu akzeptieren.

Der populistische Salvini hat somit ein leichtes Spiel. Er liefert ein konkretes Bild für die latente Unsicherheit und Frustration unter den Bürgern. Er fokussiert alle Probleme des Landes auf die (farbigen) Einwanderer – obwohl ihre Zahl überschaubar ist. Mit der Schaffung eines Feindbildes lenkt er von den eigentlichen Problemen ab, die so vielschichtig sind, dass sich schon seine Vorgänger an ihnen die Zähne ausgebissen haben. Er wird kaum neue Arbeitsplätze schaffen, ein Grundeinkommen zahlen, Steuern senken und die Staatsverschuldung abbauen können. Dafür werden auch nicht Einsparungen bei den Flüchtlingen ausreichen.

Stumme Geste von Papst Franziskus

Ein direktes Eingreifen in politische Debatten der Regierung ist dem Vatikan verwehrt. Der Tweet von Gianfranco Kardinal Ravasi, Präsident des Päpstlichen Kulturrates, mit dem Zitat aus dem Matthäusevangelium (25;43) „Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich nicht aufgenommen“, hat den Standpunkt der Kirche klargestellt. Erste Hilfe dürfe niemanden, der in Not ist, verwehrt werden. Vergangenen Donnerstag hat der Papst bei einem Treffen mit einer mexikanischen Delegation noch einmal betont, dass “Einwanderer sind keine Bedrohung für unseren Wohlstand“ seien. „Sie sind keine Nummern.” Aber Bergoglio plädiert auch für eine “internationale Teilung der Verantwortung gegenüber Migranten“. Es ist augenscheinlich, dass Italien in dieser historischen Phase mit der Belastung durch die Flüchtlinge überfordert ist, sei es nun berechtigt oder nicht. Zumindest besteht das Risiko, dass rechtsradikale Strömungen noch mehr Zulauf bekommen. Das Phänomen besteht bekanntlich auch in Deutschland und Frankreich.

Der Gemütszustand des Papstes ist daher leicht zu erahnen. Vor kurzem soll er die orangefarbene Schwimmweste bei einem Arbeitstreffen mit dem vatikanischen Dezernat für Flüchtlinge und Migration aus seinem Zimmer geholt und angelegt haben. Eine stumme, aber aussagekräftige Geste. Er bewahrt die Weste unter seinen persönlichen Gegenständen. Sie war ihm 2016 von einem Flüchtlingshelfer geschenkt worden. Sie gehörte einem ertrunkenen Mädchen.

Aus Rom berichtet Tanja Schultz

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Kategorie: Kirche

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