Foto: explizit, E.B.

Heilsame Dezentralisierung – die neue Gestalt der Kirche der Zukunft?

„Das Lehramt soll nicht alle Problemkreise der Diözesen aufgreifen.“ schreibt Papst Franziskus in seiner Enzyklika

<emphasize>Evangeli Gaudium</emphasize>

(EG) unter Punkt 16. Übertriebene Zentralisierung wirke „verkomplizierend“, es braucht Mitspracheregelungen im pastoralen Dialog (EG31/32) und Bischofskonferenzen mit eigenen Kompetenzbereichen. Stichwort ist „Kirche im Dialog mit der Welt“.

„Das Lehramt soll nicht alle Problemkreise der Diözesen aufgreifen.“ schreibt Papst Franziskus in seiner Enzyklika

<emphasize>Evangeli Gaudium</emphasize>

(EG) unter Punkt 16. Übertriebene Zentralisierung wirke „verkomplizierend“, es braucht Mitspracheregelungen im pastoralen Dialog (EG31/32) und Bischofskonferenzen mit eigenen Kompetenzbereichen. Stichwort ist „Kirche im Dialog mit der Welt“.

Synodale Herausforderungen

<emphasize>Bischof Reinhard Kardinal Marx</emphasize>

, seit 2013 Mitglied der Kommission zur Reform der römischen Kurie und seit 2014 Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz nimmt den Faden auf, wenn er sagt, strukturelle und praktische Fragen zu einer heilsamen Dezentralisierung seien auf dem Weg. Was das rechte Verhältnis der Evangelisierung durch Ortskirche und Bischof angehe, gäbe es mehrere Wirklichkeiten in der Kirche, bedingt durch kontinentale Differenzen und ihren kulturellen sowie wirtschaftlich-sozialen Selbstverständnissen. Das Bild der Kirchen ist sehr verschieden, wie auch die jeweiligen Gesellschaftsbilder im gegenseitigen Vergleich. Die Synode ist deswegen sehr kontrovers; existenzielle Verhältnisse sind in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Die globale Welt ist vielfältig und widersprüchlich, was in der einen Diözese bereits Usus ist, kann in der anderen schon einen Skandal heraufbeschwören.

Lehre ist Begegnung mit Christus

Auch deshalb sieht Papst Franziskus bei Ehe und Familie Dezentralisierung als Weg, denn Änderungen in diesem Bereich sind ein existenzieller Eingriff in das Leben der Menschen und damit hochgradig emotional konnotiert. Bei der Synode in Rom war ein längerer Prozess der Entscheidungsfindung von Anfang an geplant. Die konkrete Gestalt der Reformbewegung wird deutlich: Erstmals kommt es zur Aussprache schwieriger Themen, zum Beispiel wird die Frage gestellt, woran man den Erfolg der Evangelisierung festmachen soll: An der Zahl der Kircheneintritte? Kardinal Marx verweist auf das Markusevangelium wo in 1,15 zu lesen ist: „Verkündet das Evangelium allen Geschöpfen.“ Es, geht nicht um Lehre, sondern um die Begegnung mit einer Person, nämlich der Person Christi. So etwas geht nicht getrennt von Kultur, wie ein Blick in die Missionsgeschichte der Kirche unmittelbar zeigt. Die reine Implementation einer Lehre ist eine Verkürzung des Verkündigungsauftrags. Sie führe zu einer „Häuserkampfmentalität“ der Vermeidung kulturellem Verfalls und Stärkung der eigenen Position zur Evangelisierung, wie sie zur Zeit

<emphasize>Karls V.</emphasize>

für politisch angemessen gehalten wurde, so Kardinal Marx. Mit Verweis auf das Konzilsdokument

<emphasize>Dei Verbum</emphasize>

sagt Kardinal Marx: Subjekt der Evangelisierung ist nicht Kirche, sondern Kirche und Volk Gottes.

<emphasize>Joseph</emphasize>

 

<emphasize>Ratzinger</emphasize>

spricht von einer Einladung an Personen, Gemeinschaften und Lebensweisen für immer größere Integration aller.

Die aktuelle Gestalt der Kirche

Die Kirche nimmt immer wieder eine neue Sozialgestalt an, die menschlicher sein muss (

<emphasize>Lumen gentium 8</emphasize>

). Der Logos besteht ungetrennt und unvermischt in Christus und benutzt die menschliche Organisation „Kirche“ um den Leib Christi zu formen.

<emphasize>Walter Kasper</emphasize>

sagte einmal. “Der Geheimnischarakter der Kirche hebt den Sozialcharakter nicht auf“. Die Kirche lebt aus Geschichte und Gesellschaft. Der Begriff „Synodale Kirche“ lässt sich aus

<emphasize>LG23</emphasize>

herleiten. Aber meist wird die Kirche wie eine Pyramide gesehen, nach der die kirchliche Organisation aufgebaut ist, deren hierarchische Spitze der Papst bildet. Dies ist aber schon seit sehr langer Zeit nicht mehr real, die Römische Kirche ist eher eine ein Verbund von Ortskirchen, deren institutionelle Gestaltung in Arbeit ist. Der synodale Prozess ist ein diachronisches Anliegen und die Organisation über Netzwerke sehr aufwändig. Papst Franziskus spricht deshalb eher von einem Polyeder als von einer Pyramide

<emphasize>(EG)</emphasize>

.

Netzwerk statt Hierarchie

Der Bischof ist die zentrale Gestalt, es geht um seine Ausbildung und Kontrolle sowie um die der Qualität seiner Mitarbeiter. Verwaltung und Administration sind transparent zu gestalten. Die universale Kirche ist die einer Einheit in Vielfalt. Zentrale Organisation ist ineffizient und eine Dezentralisierung bedeutet nicht notwendigerweise Schwächung der Zentrale. Die Bischofskonferenzen können nicht nur an die Nationalstaaten angebunden werden. Der Begriff der Menschheitsfamilie ist nicht nur eine Idee, es gibt sie wirklich. Die Begriffe „Würde“ und „Geschwisterlichkeit“ werden im Zuge der zunehmenden Urbanisierung weltweit überlebenswichtig werden. Eine solche Religion ist zukunftsweisend und Kardinal Marx schließt mit der Bemerkung, die Zukunft habe ein Recht darauf.

Offene Fragen

Die Inhalte von Kardinal Marx’s Vortrag offenbaren noch wenig Konkretes, es sei denn die Bereitschaft zu konstruktiver Kritik. Folgende Fragen stellen sich: Wie kann diese Zukunft der Kirche aussehen, wenn weder Bischofskonferenzen noch Reformkommission zu einheitlichen Positionen kommen? Wie kann es zu einem einheitlichen Bild kommen zwischen dem, was Kirche sagt und dem, was sie zeigt, wenn es kulturell bedingt keine gemeinsame Sprache mehr gibt, mit der sich notwendige Mindeststandards vereinbaren lassen? Eine dezentralisierte Kirche müsste den Bischofskonferenzen ebenso weitgehendere Freiräume bei der Liturgie zugestehen, wenn ihr Ansinnen nicht nur auf dem Papier von Verlautbarungen Bestand haben soll. Das, was sich ändern soll, muss auch für andere sichtbar werden können.

Gemäßigter Institutionalismus?

Es bleibt zu befürchten, dass die Kirche nicht über die ausreichenden Erfahrungen verfügt, welche Kompetenzen sie vermitteln muss, um sowohl die Last der Verantwortung als auch die Freude an der Gestaltung der Kirche auf bisher untergeordnete Strukturen zu verteilen. Das wird ein sehr langes und zunehmend komplizierteres Unternehmen und darf nicht übereilt beschlossen werden, denn eine solche Dezentralisierung wäre keineswegs heilsam. Hier zeigt sich, dass die Absicht der Dezentralisierung einen Mangel hat: Sie gibt kein Ziel an! Eine „Synodale Kirche im Dialog mit der Welt“ hat solange keine handlungsfähige Kommunikationsstruktur, bis man sich auf eine ebensolche einigt. Und eben diese Einigung verlangt nach einem modus operandi derWillensbildung, der sich an Prinzipien orientiert, die in einigen modernen Gesellschaften schon seit Jahrhunderten gelebt werden.

Schritte in die richtige Richtung

Wenn der Papst nun in jesuitischer Methodik Angelegenheiten nicht nur im Plenum, sondern auch in Kleingruppen diskutieren lässt, so ist das sicherlich ein notwendiger Anfang, birgt aber auch die Gefahr einer Verkomplizierung von Entscheidungskompetenzen. Bis die Organisationsstruktur der Kirche durch die Mitglieder der Organisationstruktur verändert werden kann, müssen kommunikative Kompetenzen entstehen, die dieser neuen Struktur angemessen sind, sonst kann der Papst nicht beanspruchen, den Diözesen Entscheidungskompetenzen zugestehen zu können, mit denen diese in ähnlicher Weise verfahren sollen. Ein Bekenntnis zu einem säkularen Leitbild ist schwierig bis unmöglich und die Entwicklung zu einer eigenen, deliberativen Organisationsform langwierig. Man kann Franziskus zu Gute halten, dass er jetzt schon zeigt, wie man Kirche einfach anders denken kann, damit sich etwas verändert. Es wird bald kaum mehr möglich sein, die Angelegenheit bis zum nächsten Pontifikat aufzuschieben, wenn die Vorteile einer Dezentralisierung irgendwann einmal für Kirche und Öffentlichkeit transparent herausgearbeitet sind.

Michael Sinn

Die oben beschriebenen Perspektiven trug Kardinal Marx am 5. November 2015 in der Phil.-Theo. Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt vor.



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