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Globalkrieg, 100 Jahre danach

(explizit.net) Am Donnerstag gedachten Europäer im belgischen Ypern der vor einhundert Jahren im Ersten Weltkrieg Gefallenen. Deutlich wurde am 26. Juni, dass viele aus der Geschichte lernten, die nach den Schüssen von Sarajevo am 28. Juni 1914 in die Urkatastrophe des vorigen Jahrhunderts führten. Dies um so mehr, wenn man bedenkt, dass in Ypern an der Westfront im April 1915 deutsches Giftgas eingesetzt wurde. Zunächst war es Chlorgas, ab 1917-18 Senfgas. Insgesamt kamen vor Ypern über eine halbe Million Menschen um, nicht nur aus Europa. Um so besser, dass bekannte chemischen Waffen – 1.300 Tonnen – aus Syrien, auch im Bürgerkrieg angewandt, entfernt wurden. Am 23. Juni ging der letzte Schub über den Hafen al-Ladhaqiyya in ein dänisches Schiff, dann in Entsorgungspunkte Amerikas, ein Hochseeboot, Großbritanniens und Deutschlands. Doch solche Gewebe der Geschichte machen uns im asymmetrischen, scheinbar unendlichen Krieg zu schaffen.

(explizit.net) Am Donnerstag gedachten Europäer im belgischen Ypern der vor einhundert Jahren im Ersten Weltkrieg Gefallenen. Deutlich wurde am 26. Juni, dass viele aus der Geschichte lernten, die nach den Schüssen von Sarajevo am 28. Juni 1914 in die Urkatastrophe des vorigen Jahrhunderts führten. Dies um so mehr, wenn man bedenkt, dass in Ypern an der Westfront im April 1915 deutsches Giftgas eingesetzt wurde. Zunächst war es Chlorgas, ab 1917-18 Senfgas. Insgesamt kamen vor Ypern über eine halbe Million Menschen um, nicht nur aus Europa. Um so besser, dass bekannte chemischen Waffen – 1.300 Tonnen – aus Syrien, auch im Bürgerkrieg angewandt, entfernt wurden. Am 23. Juni ging der letzte Schub über den Hafen al-Ladhaqiyya in ein dänisches Schiff, dann in Entsorgungspunkte Amerikas, ein Hochseeboot, Großbritanniens und Deutschlands. Doch solche Gewebe der Geschichte machen uns im asymmetrischen, scheinbar unendlichen Krieg zu schaffen.

Großsyrien

Ende des Weltkriegs brach das Osmanenreich zusammen, wo massiv genozidale Angriffe auf die staatenlosen Minoritäten wie Armenier, Assyrer und Juden liefen. Drei Dutzend Staaten folgten aus der Erbmasse dieses Verbündeten Berlins und anderer Mittelmächte. Sieger zogen Grenzen am grünen Tisch. Aber die alte Sham-Provinz, Zentrum Damaskus in Großsyrien, lebte in Einwohnern fort: es gab Regeln, keine Grenzen, kaum konträre Islamnationen. Islamisten suchten ihr Glaubensreich „ohne verderbliche Westeinflüsse“.

Im Zweiten Weltkrieg planten der Jerusalemer Großmufti Amin al-Husaini und Adolf Hitler ein "judenfreies Großarabisches Reich". Der Osmanenoffizier in Aleppo sowie der austrodeutsche Gefreite an der Wetfront waren ab 1914 verbündet. Der Araber wechselte 1917 von imperialen türkischen zu revolutionären arabischen Islamisten. Im Folgejahr überlebte Hitler einen Gasangriff bei Ypern. Al-Husaini notierte in seinen Memoiren: Der Chemiker und Zionist Chaim Weizmann empfahl London Senfgas (falsch). Hitler verlor fast sein Augenlicht und litt an Herzschmerzen. Dies vertiefte seinen Haß auf Zionisten und Juden, die Amerika in den Weltkrieg gerissen und Berlin den Sieg gestohlen hätten.

Aber es gab Muslimführer wie Aga Khan III., die gegen den durch Berlin 1914 erbetenen und durch Istanbul gegen die Allierten realisierten Jihad kämpften. Wie die Nationalisten, so bildeten Islamisten Richtungen aus. Antiislamisten wie Kemal Atatürk kamen auf. Noch fehlte eine tiefe Geschichtsarbeit. Selbst in Europa, wo Berlin alle Verantwortung für den Krieg erhielt, ließ das Ergebnis Ideen der „Rache gegen Franzosen und Austilgung von Slawen“ reifen. In Mittelost sah der Völkerbund einen jüdischen und arabischen Staat vor, letzterer wurde Transjordanien. Die neue Identität arabischer Palästinenser kam auf. Hitler und al-Husaini wirkten im Genozid an Juden. Da Islamisten aus osmanischer Sicht in Juden keine Nation sahen, wiesen sie selbst für Araber günstige Landteilungen mit ihnen ab und setzten auf Berlin. Dort bearbeitete man Mahmud Barzanis Stämme für ein Freies Kurdistan. Alle griffenein und suchten Mittelostler je auf ihre Seiten zu ziehen.

Im Kalten Krieg blieb es so. Israel überlebte, gewann jeden Krieg. Heute sind Israelis wie Kurden und Jordanier durch das Kalifat Syroirakistan bedroht, das im vollen Sektenkrieg gegen Schiiten steht, zudem die im Iran. Etwa 2.000 Europäer und 100 Amerikaner sollen dort für die Sunniten kämpfen. Diese sichern ihr Kalifat, allen droht eine Globalkriegsära.

Dominoeffekte

Niemand hat eine Patentidee. Der Abrutsch Iraks war seit 4. November 2013 absehbar: Geht es mit der Abwärtsspirale weiter, so gibt es einen neuen Bürgerkrieg und das Land, bestehend aus vorrangig schiitischen, sunnitischen und kurdischen Regionen, steht vor dem Zerfall. Damals wehrten Amerikaner diesen Untergang ab. Sie rissen das Ruder zur zeitweiligen Befriedung herum. Heute hat der Irak keine solche Rückversicherung mehr.

Als Insel der Stabilität stellt sich das irakische Kurdistan dar, obwohl sein Weg auf der türkischen Seite mit Argusaugen verfolgt wird. Präsident Masud Barzani betonte am 27. Juni, Kirkuk und andere Städte nicht mehr an Baghdad aus der Hand zu geben, sollte sich die Krise legen. Diese halbautonome Region im Nord- und Mittelirak hat sich gut gegen die Sunnimilitanten gewehrt. Hält sie diese Stellung, so könnten lang gehegte kurdische Träume aufEigenstaatlichkeit wahr werden, die, wenn überhaupt, nur eine lose Föderation innerhalb Iraks akzeptieren würde. Da sie Erdöl fördert, hat sie Chancen.

Präsident Obama, der sich vom Sunnitenvormarsch überrascht zeigte, muß viele Plätze in Mittelost überschauen. Von uralten Gegensätzen zwischen Persern und Arabern und vom Iran abgesehen, brodelt es in Golfstaaten mit ihren Mischungen aus regierenden Schiiten und regierten Sunniten oder umgekehrt. Für Syrien beantragte Obama 500 Millionen Dollar zum Training moderater Opponenten. Ein stimmiger Ansatz fehlt noch. Viel hängt davon ab, wer in Baghdad neuer Premier wird und ob ihm die Gegenoffensiven gelingen.

Jordanien ist gefährdet. Der Emir des Islamstaats in Iraq und der Levante, ISIL, Abu Bakr al-Baghdadi, drohte König Abdullah II. in Amman, er würde ihn stürzen, sollte er die Zufuhr von Kämpfern blockieren. Im Raum Maan und im Jordanthal hätte öfter die bekannte schwarze ISIL-Fahne geweht. Da deren Leute von Irak die Grenze zu Jordanien kontrollieren, könnten sie Israel, Ägyptens Sinai und Saudi-Arabien erreichen. In der Tat tauchten sie dort auf. Ähnliches gilt für Libyens Nachbarn wie Tunesien und Algerien (Berlin liefert 1.000 Fuchs-Panzer dahin), die mit Jihadis und Flüchtlingen ringen. Unter zehn Millionen in Tunesien sind fast zwei Millionen Libyer. Vieles gerät ins Rutschen.

Hierbei fällt die Berliner Politik mit Tunis auf, wo das Kabinett des Exindustrieministers und neuen Premiers Mahdi Jumaa am 28. Januar das Vertrauen der Nationalversammlung erhielt. Diese nahm mit Zweidrittelmehrheit die Verfassung für diese parlamentarische Republik an. Religionsfreiheit ist garantiert, die Scharia nicht als ausschließliches Recht etabliert. Die Gleichheit von Männern und Frauen vor dem Gesetz ist garantiert. Wenig spektakulär, aber offenbar wirksam, erscheint Kanzlerin Merkels Kurs der Kooperation, der auch eine deutsch-tunesische Verwaltungsakademie (vielleicht dereinst eine deutsche Universität) vorsieht. Dazu zählt auch die Ausbildungshilfe für Polizisten und Grenzer.

Laut Jumaa Mahdi in Berlin, 18. Juni, schaffte es Deutschland stets in der Geschichte, gestärkt aus den Krisen hervorzugehen. Es sei ein Beispiel für Integration, die seines Ostens. Der Premier verwies auf den Glanz der Demokratie und gemeinsame universelle Werte.

Integration und Binnenkonsens sind überall Kernpunkte, mit denen Ordnungen stehen oder fallen. Die soziale Kohäsion lief im Irak unter Nuri K. al-Maliki sichtlich schief.Am Nil, wo vor einem Jahr dieses Ruder herumgerissen wurde, sieht man wieder Licht.

<emphasize>Wolfgang G. Schwanitz</emphasize>



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