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Gegengelesen: Wilde Erdbeeren

(explizit.net)Gegengelesen-Kolumne

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Gerade ist die „kalte Sophie“ vorbei, die letzte unter den Eisheiligen, da soll die Sonne jetzt kräftig scheinen und die Erdbeeren tonnenweise auf den Feldern reif und daher gepflückt werden. Auch wenn kaum noch jemand weiß, was es mit den Eisheiligen auf sich hat und vor allem, welche Heiligen damit gemeint sind - es sind Mamertus, Pankratius, Servatius, Bonifatius und Sophie-, die Freude auf die Erdbeeren ist groß.

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Gerade ist die „kalte Sophie“ vorbei, die letzte unter den Eisheiligen, da soll die Sonne jetzt kräftig scheinen und die Erdbeeren tonnenweise auf den Feldern reif und daher gepflückt werden. Auch wenn kaum noch jemand weiß, was es mit den Eisheiligen auf sich hat und vor allem, welche Heiligen damit gemeint sind - es sind Mamertus, Pankratius, Servatius, Bonifatius und Sophie-, die Freude auf die Erdbeeren ist groß.

Es gibt noch einige Lebensmittel, die zumindest als Massenware, nicht das ganze Jahr hindurch käuflich sind. Dazu gehört vor den Erdbeeren der Spargel. Nach Ostern kommt der Spargel auf die Märkte und ist der Geschmack eher zurückhaltend, so riecht er doch verarbeitet als Urin sehr markant. Kaum ein Lebensmittel hinterlässt einen solch nachhaltigen Eindruck beim Abgang. Ist der Spargel von seiner äußeren Erscheinung her männlich sexuell, so spricht die Erdbeere erotisch keck oder wie Klaus Kinski Paul Zech zitierend sprach: Ich bin so wild nach deinen Erdbeermund. So viel Erotik und sexuelle Anspielungen verträgt der Mensch nur im Frühling, das geht nicht das ganze Jahr.

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Voller Aroma

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Eine richtige Erdbeere, die Sonne sehen durfte und nicht in irgendwelchen Gewächshäusern aus Wasser und Farbstoff zur Erdbeere gemacht wurde, schmeckt auch nach Erdbeere. Ein Gemüse- und Obsthändler warb gar mit dem Spruch. Erdbeeren: schmecken nach Erdbeeren. Das Aroma, die Farbe der richtigen Erdbeere lassen die Sinne springen und regen die Lust an. Die vertilgte Menge rührt nicht ans schlechte Gewissen, allenfalls die Sahne, die als weißes Pendant die rote Lust noch verstärkt.

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Eine harte Nuss

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Noch niemand hat sich beim Beißen in die Erdbeere einen Zahn abgebrochen. Wie gut, dass niemand weiß, dass die Erdbeere zu der Familie der Rosengewächse und die Gartenerdbeere zu den Sammelnussfrüchten gehört. Die Familie der Menschen begleitet die Erdbeere schon seit Anbeginn der Zeiten.

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Erdbeerzeit

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Spargel und Erdbeeren lehren uns neben der ihnen gegebenen Lust das Gefühl für Zeit. Es gibt eine Zeit für Erdbeeren und es gibt eine Zeit für Spargel, wie Kohelet sagen würde. Es mag zwar sein, dass Erdbeeren auch im Winter genießbar sind, doch nur im Frühjahr schmecken sie. Wie die ersten warmen Sonnenstrahlen nach einem langen Winter lassen die Erdbeeren voll Wonne das Wasser im Mund zusammenlaufen. Die Erdbeere wird zur Erdbeere, weil der Mensch auf diese Lust gewartet hat. Das erotische Rot wird zum Verlangen, weil es im Winter grau gewesen war.

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Legalize Erdbeertime

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Eine Gesellschaft, die zufriedene und glückliche Menschen will, die sollte von solch wagemutigen Ideen wie Rente mit 63, Steuersenkung und anderem Schabernack absehen und lieber eine klar beschränkte Zeit im Jahr für den Erdbeerverkauf legalisieren. Die Bürger würden erst noch murren, weil sie ja alles zu jeder Zeit haben möchten, doch nach einigen Jahren würde der Ruf laut, die Legalisierung der Erdbeertime auf andere Gemüse- und Obstsorten auszuweiten. Alles zu seiner Zeit und nichts immer.

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Bewusstseinserweiternde Erdbeeren

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Es ist an der Zeit, dass sich Philosophen und Theologen daran machen, über die transzendente Wirkung der Erdbeere nachzudenken. Aus einer in Demut am Boden liegenden Beere wird in der Immanenz des lustvollen Verspeisens transparent, was im Jahr an wunderbaren Früchten noch kommen mag. Und die reale Präsenz des guten Geschmacks lässt erahnen, was über die Substanz der Erdbeere hinaus an Genüssen noch möglich ist. Diese rote Beere versetzt den nach Leben Süchtigen in himmlische Sphären. Das Bewusstsein ist geöffnet, die Sinne erweitert. Und die Gefahr einer Sucht ist nicht gegeben, denn bald ist die Erdbeerzeit schon wieder vorbei.

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<emphasize>Kommentar von Thomas Holtbernd</emphasize>


Schlagworte: #Gegengelesen #Kolumne

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