(explizit.net) Gegengelesen-Kolumne von Thomas Holtbernd
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Die Lagunenstadt geht schon seit vielen Jahren unter und die Untergangsbeschwörungen sind sicherlich auch ein guter Marketinggag: Noch schnell einmal in die Stadt der Dogen mit Rialtobrücke und Markusplatz, bevor sie für immer im Meer versinkt. Jetzt haben die Stadtväter Alarm geschlagen, weil zu viele und zu große Wellen an die Altstadt schlagen, die die gigantischen Kreuzfahrtschiffe verursachen. Die Touristen bringen das Geld, also durften sie bislang auch Venedig kaputt machen.
Wahrscheinlich trifft es nicht nur Städte wie Venedig. Wenn die Touristenzüge einmal ins Rollen gekommen sind, dann hält sie nichts mehr auf, denn sie machen nicht nur viel kaputt, sie bringen auch Geld. Und zu viele Leute verdienen gut daran, wenn Touristen durch die Gegend stapfen. Tourismus muss sein um des Tourismus willen, auch wenn nichts zu sehen ist oder kaum jemand richtig hinguckt. Warum sollte man nach Venedig fahren? Außer Venedig ist da nicht viel. Warum sollte man nach Rothenburg ob der Tauber fahren? Da gibt es auch nur Rothenburg und Käthe Wohlfahrt, den immerwährenden Weihnachtsladen. Allerdings fahren bislang an Rothenburg ob der Tauber noch keine Kreuzfahrtschiffe vorbei. Solche Touristenattraktionen sind mehr Schein als Sein. Die Touristenprofis gestalten einen Ort genauso wie es Touristen erwarten. Und wehe die Mona Lisa im Louvre lächelt nicht so, wie es im Reiseführer steht.
Das Alte im Alten
Städte, Plätze, die von Touristen angesteuert werden, sind für manche Gegenden die einzigen Möglichkeiten der Geldeinnahme. Welchen kulturellen oder künstlerischen Wert diese Höhepunkte wirklich haben, entzieht sich oft dem Betrachter. Schaut man sich die Prozessionen von knipsenden und dem Fremdenführer nur halb zuhörenden Gestalten genauer an, dann drängt sich der Eindruck auf, die wollen es auch nicht wirklich wissen. Man muss einfach da gewesen sein. Man war nicht in Dresden, wenn man die Frauenkirche ausgelassen hat. Man kann nicht mitreden, sollte man als eigenwilliger Tourist in Paris den Eiffelturm nicht im Programm gehabt haben. Und dass die, die es richtig machen, etwas auch nicht gefunden haben, was wichtig ist, was das Alte darstellt, das merkt man spätestens, wenn diese Leute ihre Bilder auf dem Smartphone zeigen: Ein Selfie mit dem Eiffelturm. Ich war da: Hurra!
Etikettentouristen
Menschen, die verreisen, um anschließend erzählen zu können, dass sie da waren und vor allem Ablenkung suchen, nach dem kurzen Gang durch Venedig sich umso länger im neuen Freizeitpark aufhalten, würden auch zum großen Hinkelstein fahren, wenn die Masse sagt, das sei die Attraktion überhaupt. Hängen bleibt sowieso nichts, denn es geht um Unterhaltung und die Bilder auf dem Smartphone. Erschöpft kommen solche Leute aus dem Urlaub und stöhnen, dass sie jetzt Erholung bräuchten. Ja, was haben die denn die zwei oder drei Wochen gemacht? Und vor allem, wenn Urlaub schon so anstrengend ist, wie muss man sich deren Arbeiten vorstellen?
Genormt und verpackt
Hotels, Ferienanlagen haben heute Standard, was anders ausgedrückt bedeutet, es ist alles gleich und der Tumpheit der reisenden Masse geschuldet. Ein bisschen Kultur, all you can eat and all inclusiv und alles fast umsonst. So hat es der Touri gern. Manchmal wohnen in solchen Städten einfach nur Menschen, die in Ruhe leben und arbeiten wollen. Kommen die Touristen in Scharen, dann spielen die Einwohner nur noch Leben und Arbeiten, verkaufen irgendeinen Billigkram aus China als Andenken und wissen selber nicht mehr, was diesen Ort einmal ausgemacht hat. Und genauso fade und austauschbar wie die Importe aus China werden dann auch die touristischen Höhepunkte. Keiner merkt es und es werden erst dann wieder einige wach, wenn die Touristenströme ausbleiben, weil die Stadt untergegangen ist. Und die Karawane zieht weiter…
<emphasize>Thomas Holtbernd</emphasize>
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