(explizit.net) Der Film läuft jetzt an. „Feuchtgebiete“ hatte am Mittwoch Premiere in der Lichtburg Essen, Charlotte Roche beantwortete Fragen der Kinobesucher und meinte mit ihrer feuchten Aussprache: „Mir ist unfassbar vieles peinlich.“ Peinlich ist, dass das Buch 2008 das meist verkaufte Buch in Deutschland war und peinlich ist, dass das Buch jetzt auch noch verfilmt wurde. Wer erotische Literatur lesen möchte, der kann doch auch Michel Houellebecq lesen. Oder die alten Meister Henry Miller, Anais Nin, Charles Bukowski, Emanuelle Arsan, Gustave Flaubert und wer richtig Hardcore wünscht, der wage die Lektüre alter Schriften wie das Hohelied der Liebe, Texte der Mechthild von Magdeburg und wer es nicht weiß, dem sei es gesagt, es war Hildegard von Bingen, die als erste den weiblichen Orgasmus beschrieben hat.
Es ist unfassbar peinlich, was Politiker als Erfolg verkaufen. In NRW teilt die Bildungsministerin Sylvia Löhrmann mit, der doppelte Abiturjahrgang sei doch gut verlaufen und die Schüler, die ein Jahr weniger gelernt hätten, wären im Durchschnitt sogar besser als die gewesen, die noch das volle Programm von 13 Jahren hatten. Merke: Wer ein Jahr länger lernt, bekommt schlechtere Noten. Fazit: Wer länger lernt, hat nichts davon. Und dann wird noch herumgeprahlt mit der Zahl 1695; so viele Schüler haben nämlich in NRW eine 1,0. Das ist unfassbar peinlich, denn diese Zahl ist der Selbstverliebtheit der Schulleiter geschuldet. Die prahlen mit ihren tollen Schülern, die natürlich nur an ihrer Schule so gut sein konnten. In München, Coburg und anderswo werden bereits die ersten Rektoren vor den Kadi gezogen, weil sie Noten geschönt haben. Gute Schüler haben keinen Durchschnitt von 1,0, weil sie kritisch sind und den Lehrern mit ihren Fragen auf den Wecker fallen, dafür – und das ist menschlich – gibt es keine 1,0.
Und NSU
Es ist unfassbar peinlich, was der Untersuchungsausschuss zur NSU-Affäre festgestellt hat. „Ein historisch bespielloses Desaster“. Über Jahre wurde geschlampt, das Bundeskriminalamt sieht indes keinen Grund zur Selbstkritik. Es gab 10 Morde, die möglicherweise hätten verhindert werden können. Und es ist unfassbar peinlich, wenn Norbert Lammert den Untersuchungsausschuss für „stilbildend“ hält und von einem „vitalen Parlamentarismus“ redet. Behörden haben schwere Fehler gemacht. Und das ist es peinlich, wenn gleich darauf verwiesen wird, wie toll doch alles aufgeklärt wurde, denn in den Köpfen hat sich nicht viel verändert. Und ob die 47 Empfehlungen da helfen?
Und Berlin-Hellersdorf
Es ist unsagbar peinlich, dass sich rechtsgerichtete Demonstranten erdreistet haben, gegen die Sammelunterkunft für Bürgerkriegsopfer aus Syrien und Afghanistan im Berliner Stadtteil Hellersdorf aufzulaufen. Und nicht nur in Berlin, auch in Soest gibt es solche Proteste. Da leiden Menschen Not und die „deutsche Gastfreundschaft“ schlägt zu. Oder in Duisburg hat die rechte Organisation „Pro Deutschland“ eine Demonstration gegen ein Roma-Haus angekündigt. Das ist nicht nur peinlich, das ist unwürdig. Und der Innenminister Hans-Peter Friedrich sorgt sich um den guten Ruf Deutschlands im Ausland.
Und Gehirndoping
Es ist unsagbar peinlich, dass nicht nur im Sport gedopt wurde und wird. Wir hielten für Leistung, was den Medikamenten geschuldet war. Jetzt dopen auch die Arbeitnehmer, wie der „Fehlzeiten-Report“ der AOK ergab. Um Leistung zu bringen, werden Psychopharmaka und Amphetamine geschluckt. Weil man dem Druck nicht mehr standhält, greifen immer mehr Menschen zum Alkohol. Seit 2002 haben sich die Fehltage, die durch den Missbrauch entstanden sind, vervierfacht. Aber die deutsche Wirtschaft boomt ja wieder.
Und dann noch die Wahl
Es ist unsagbar peinlich, wie wenig Interesse die Wähler an der nächsten Bundestagswahl haben. Und auch die Politiker haben sich abgefunden mit dem Unpolitischen. Es wird nicht gestritten, kein Politiker wagt mal steile Thesen, irgendwie geht ja alles weiter. Die Ungerechtigkeiten, die Not vieler Menschen und die Ursachen hierfür, die wollen wir gar nicht sehen. Es ist alles schön bunt. Wir kennen keine Stoßgebete mehr, nur noch „Schoßgebete“. Doch das scheint niemandem mehr unsagbar peinlich zu sein, denn auch das zweite Buch von Charlotte Roche kommt 2014 ins Kino.
<emphasize>Thomas Holtbernd</emphasize>
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