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Gegengelesen-Kommentar: Mal wieder ein Selbstmord

(explizit.net) Gegengelesen-Kommentar

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Die Zahl der Selbstmorde in Deutschland übertrifft bei weitem die Zahl der Verkehrstoten. Es wäre zynisch, die Qualität des Sterbens vergleichen zu wollen. Die meisten Toten sind eine anonyme Zahl. Das Leid, was sich dahinter verbirgt, kann man nur erahnen. Nun hat jedoch ein in der Öffentlichkeit Bekannter Suizid begangen. Der Ex-Siemens-Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger beendete in München sein Leben. Die Gründe für diesen Schritt kann man nur erahnen, doch der Zusammenhang wirft auch ein dunkles Licht auf Siemens und die Abgründe der deutschen als auch internationalen Wirtschaft.

(explizit.net) Gegengelesen-Kommentar

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Die Zahl der Selbstmorde in Deutschland übertrifft bei weitem die Zahl der Verkehrstoten. Es wäre zynisch, die Qualität des Sterbens vergleichen zu wollen. Die meisten Toten sind eine anonyme Zahl. Das Leid, was sich dahinter verbirgt, kann man nur erahnen. Nun hat jedoch ein in der Öffentlichkeit Bekannter Suizid begangen. Der Ex-Siemens-Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger beendete in München sein Leben. Die Gründe für diesen Schritt kann man nur erahnen, doch der Zusammenhang wirft auch ein dunkles Licht auf Siemens und die Abgründe der deutschen als auch internationalen Wirtschaft.

Heinz-Joachim Neubürger kam in die Schlagzeilen, weil er angeblich in die Schmiergeldzahlungen des Konzerns verwickelt war. Er beteuerte seine Unschuld, ließ sich jedoch auf einen Vergleich ein und sollte 2,5 Millionen Schadensersatz an Siemens zahlen. Die Aktionäre der Hauptversammlung waren zufrieden, denn dieses dunkle Kapitel konnte damit geschlossen werden. Siemens kann sich nun den wichtigen Aufgaben widmen, es müssen in Deutschland 3.300 Mitarbeiter entlassen werden.

Und wieder bleibt alles beim Alten

Ein solcher Selbstmord könnte auch als Symptom für eine kranke Gesellschaft definiert werden. Zorn müsste die Menschen ergreifen, weil der Gott Mammon Opfer für Opfer fordert. Neubürger hat einen Namen, viele sind namenlos. Menschen zerbrechen, weil sie den Druck nicht aushalten, werden krank und fallen in ein Loch. Manager machen Karriere, steigen auf nach ganz oben, erhalten Gehälter, die jenseits des guten Geschmacks sind, sind erfolgsverwöhnt und verlieren den Blick für die Wirklichkeit. Die Wirtschaft dient nicht dem Menschen und wer an diesem Slogan ohne Gewissensbisse festhält, der ist wahrscheinlich schon genauso korrumpiert wie die Siemensmanager, die die Kunden mit Bestechungen gefügig machen wollten. Ein Aufschrei geht durch das Land, wenn ein Journalist bei lebendigem Leib verbrannt wird. Das ist grausam und dafür gibt es keine Rechtfertigung. Doch darf man sich von solchen Gräueltaten den Blick auf die Wirklichkeit nicht verblenden lassen. Im Krieg gilt keine Moral, da werden aus braven Bürgern Kampfmaschinen. Und jeder, der sich darüber erhebt, überprüfe mal seine Fantasien, die ihm so kommen, wenn er an IS, die Attentäter von Paris und ähnliche Vorfälle denkt. Sich über menschliches Verhalten in Ausnahmesituationen aufzuregen, das ist leicht. Genau hinzugucken, was im normalen Alltag passiert, das ist eine andere Sache.

Alle sind beschäftigt

Wir amüsieren uns, wenn wir so manche Geschichten aus der ehemaligen DDR und den übrigen Ländern des real existierenden Sozialismus hören. Die Menschen gingen zur Arbeit, es war aber gar keine Arbeit da. Man war irgendwie beschäftigt, Hauptsache, man hatte das Gefühl, dass alles seinen sozialistischen Gang geht. Im Westen hatte man richtige Arbeit. Geht man heute in ein Altenheim, ein Krankenhaus, eine Schule oder Universität, dann sieht man dort auch arbeitende Menschen. Die tun aber nur so, denn vor allem sind sie mit der Dokumentation ihrer Arbeit beschäftigt. Es wäre Arbeit da, doch dazu kommt man nicht. Wo ist da der Unterschied zur ehemaligen DDR? Dort war es ehrlicher, alle wussten, dass man nur so tat. Die Menschen heute leiden darunter, dass sie von der Arbeit abgehalten werden. Und die Manager beschäftigen sich mit Dingen, die so unnötig wie ein Kropf sind. Alles wirkt wichtig, doch kaum jemand stellt einmal die Frage: Wozu machen wir das eigentlich? Alle sind beschäftigt und werden beschäftigt, damit niemand aus seinem Schlaf aufwacht.

Deutliche Töne

In dem großen Stimmengewirr selbsternannter Fachleute, die sich in den Talkshows präsentieren, verhallt der Ruf nach Ernsthaftigkeit. Eine klare Meinung wird extremisiert, gilt als rechts oder links, in jedem Fall als Einzelmeinung und ist damit schon aus dem Rennen. Eine Einzelmeinung kann nicht richtig sein. Und wenn jemand sich umbringt, weil er die Verlogenheit nicht mehr aushält, dann kommen die Fachleute, faseln etwas von Depression, Burnout, Mobbing, Stress und die Welt ist wieder in Ordnung. Der Ruf „Nichts ist in Ordnung!“ geht ins Leere. Wer ernsthaft über die Zusammenhänge diskutieren möchte, kann nur ein Radikaler sein. Es wäre schön, wenn durchs ganze Land das Lied ging: Neue Radikale braucht das Land!

<emphasize>Kommentar von Thomas Holtbernd</emphasize>



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