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Gegengelesen: Abitur für alle

(explizit.net) Gegengelesen-Kommentar

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Mal wieder wird eine Studie vorgelegt, die die Armut in Deutschland beleuchtet. Festgestellt wurde, dass nicht mehr erst der Hauptschulabschluss der garantierte Schlüssel in die Armut ist, sondern bereits mit einem Realschulabschluss die Chancen auf eine Zukunft in einem prekären Arbeitsverhältnis sicher ist. Daneben sind Rentner und Alleinerziehende ebenso bestens dabei, in die Armutsfalle zu tappen.

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Mal wieder wird eine Studie vorgelegt, die die Armut in Deutschland beleuchtet. Festgestellt wurde, dass nicht mehr erst der Hauptschulabschluss der garantierte Schlüssel in die Armut ist, sondern bereits mit einem Realschulabschluss die Chancen auf eine Zukunft in einem prekären Arbeitsverhältnis sicher ist. Daneben sind Rentner und Alleinerziehende ebenso bestens dabei, in die Armutsfalle zu tappen.

Geändert hat sich in den letzten Jahren kaum etwas. Bestimmte Verhältnisse haben sich sogar verschärft, so schrumpft die Mittelschicht immer mehr, nämlich von 2000 bis 2013 von 56,4 Prozent auf 48 Prozent. Die Mittelschicht aber trägt oder trug die Gesellschaft maßgeblich. Reiche Leute gibt es dagegen mehr, ebenso wie die Zahl der Armen weiter zunimmt. Arm ist man bei einem monatlichen Einkommen unter 917 Euro als Einzelperson. Reich ist, wer es als Single auf mehr als 3.433 Euro schafft. Die Armutsquote lag 2014 bei 15,4 Prozent und wird wohl weiter steigen.

Ohne Mittelschicht kein Abitur

Das Problem deutscher Schulen ist es, dass die Durchlässigkeit des Systems äußerst schlecht ist. Hoffnung auf einen höheren Schulabschluss können sich vor allem die machen, deren Eltern Abitur haben und aufgrund dieser Bildungsvoraussetzung selten in prekären Arbeitsverhältnissen gefangen sind. Wächst die Unterschicht, wird die Zahl der Abiturienten abnehmen und damit die Menge derer, die wiederum ohne diesen Bildungsabschluss in schlecht bezahlte Jobs rutschen. Der Prozentsatz der Unterschicht wird steigen. Ein immer größer werdender Anteil der Bevölkerung, der sich benachteiligt und vergessen fühlen muss, erzeugt bei den Reichen eine steigende Angst davor, dass es zu Übergriffen kommen wird. Da sie das Geld haben, können sie Schutzmaßnahmen ergreifen und sich gegen die da unten abschotten. Arm und Reich begegnen sich dann kaum noch, die Reichen können glauben, da sie keine Armen sehen, gäbe es die auch nicht. Und die Armen stehen vor den gut gesicherten Grundstücken der Reichen und wissen, dass sie ein solches Leben nie erreichen werden. Warum also sollen sie sich überhaupt noch anstrengen?

Vor der Tür und unmotiviert

Inwieweit ein als arm definierter Mensch in der Bundesrepublik tatsächlich arm ist und keine ausreichende Lebensgrundlage hat, ist ein Randproblem. Der entscheidende Punkt ist, dass eine immer größer werdende Gruppe der Bevölkerung ausgeschlossen wird. Den Menschen wird quasi auch vermittelt, dass sie mit einem Hauptschul- oder Realschulabschluss eigentlich gar keine Bildung vermittelt bekommen haben. Lediglich die Krümel der Bildung sind vom Tisch des Wissens und der Kultur für sie herabgefallen. Eine Ambition, an den geistigen Gütern der Gesellschaft partizipieren zu wollen, wird im Keim erstickt. So sind sie nicht nur Ausgeschlossene, sondern auch Unmotivierte. Warum sollten sie auf andere zugehen oder Verantwortung übernehmen, wenn sie glauben müssen, dass sie zu den grundlegenden Kulturtechniken keinen Zugang haben?

Freifahrtschein

Auf der anderen Seite stehen die, die mit dem Abitur einen Zugang zum attraktiven Arbeitsmarkt haben und glauben können, dass diese Tür das Tor zum Himmel ist. Sie halten diesen Teil für das Ganze. Kultur und Bildung sind auch für diese Gruppe der Gesellschaft nicht attraktiv. Sie haben ja einen Freifahrtschein und können ohne Nachteile die Anstrengungen für das Mehr des Lebens vernachlässigen. Das Abitur schlägt quasi um zum Zeugnis der Unreife. Und das Abitur für alle wird zu einer hohlen Phrase, denn es kommt nicht auf den Schein an, sondern auf die Bildung und die wird nicht dadurch garantiert, dass jeder diesen Schein bekommt, sondern dadurch, dass darum gerungen wird, was Bildung ist und die im Alltag erlebbar und spürbar wird.

<emphasize>Thomas Holtbernd</emphasize>



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