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El Rey Juan Carlos I

(explizit.net) “Der Mann ist eine Marionette”, hörte ich meinen Vater vom Fenster her sagen. Mit einem Auge kontrollierte er die „Calle Mayor“, die Hauptstraße, wo in wenigen Minuten das abendliche Stiertreiben stattfinden sollte, und mit dem andern verfolgte er im Schwarz-Weiß-Fernseher meiner Tante die Nachrichten, die soeben mit einer Kurzübertragung aus der Zarzuela, dem königlichen Wohnsitz in den Bergen Madrids, abschlossen.

(explizit.net) “Der Mann ist eine Marionette”, hörte ich meinen Vater vom Fenster her sagen. Mit einem Auge kontrollierte er die „Calle Mayor“, die Hauptstraße, wo in wenigen Minuten das abendliche Stiertreiben stattfinden sollte, und mit dem andern verfolgte er im Schwarz-Weiß-Fernseher meiner Tante die Nachrichten, die soeben mit einer Kurzübertragung aus der Zarzuela, dem königlichen Wohnsitz in den Bergen Madrids, abschlossen.

„Luis, por favor, apaga la tele … mach den Fernseher bitte aus!“, sagte meine spanische Tante zu mir. Sie saß am Tisch und polierte Gläser für das Abendessen, während sich von der Küche nebenan ein verlockender Duft nach gebratenen Lammrippchen ausbreitete. Dort waltete meine Mutter ihres Amtes. „Estáis equivocados“, rief meine Mutter jetzt herüber, „ihr werdet sehen - der Mann wird uns noch alle überraschen!“

„Kein Tag vergeht“, fuhr meine Tante kopfschüttelnd fort, „ohne dass sie jetzt den König zeigen.“

Der Mann, über den meine Tante und mein Vater herzogen, war der junge, vor kurzem gekrönte König von Spanien. Ich beobachtete, wie er, umringt von einer Schar Reportern und diese um Haupteslänge überragend, auf der Terrasse seines Schlosses stand und voller Stolz die uralten Bäume des Parks zeigte: „Und diese Eiche dort“, sagte er, in seinem gemächlichen Spanisch, „hat noch mein Großvater Alfonso XIII gepflanzt, bevor er Anfang der Dreißiger ins Exil ging, nach Italien.“

„Wo auch du hingehörst!“, zischte meine Tante, eine eingefleischte Republikanerin. „Luis, mach den Fernseher aus, bitte! ich kann dies Theater nicht mehr sehen und hören - jeden Abend nichts als der König, der König und nochmal der König!“ Trotzig rührte ich mich nicht vom Sofa - sollte sie doch ihren Fernseher selbst ausschalten! Schließlich: war nicht SIE es gewesen, die alle überzeugt hatte, mich nicht auf die Straße zu lassen, da das Stiertreiben für einen Zwölfjährigen wie mich angeblich viel zu gefährlich sei?!

„In den Ferien bei meinem Onkel auf dem Dorf in Alemania habe ich jeden Tag die Kühe auf die Wiese gebracht“, murmelte ich, an die Stiere draußen denkend und den Spaß, den meine Freunde mit ihnen haben würden. „Du willst doch deine Kühe in Alemania nicht mit unsern Stieren vergleichen, oder?“, spottete meine Tante. Und mein Vater, auf die Mattscheibe deutend, sagte wieder: „Ihr werdet sehen: Eine Marionette Francos, mehr ist der Mann nicht!“

„Was ist eine Marionette Francos, Papa?“, fragte ich, für kurze Zeit Kummer und Zorn vergessend „Nun, was soll ich dir sagen?“, sagte mein Vater, jetzt angespannt auf die Straße hinunter sah. „Ach, da kommen schon die ersten Stiere…“

Das also war meine erste Erinnerung an Juan Carlos I, wie er als junger Mann, soeben zum König von Spanien gekürt, in den Fernsehnachrichten voller Stolz die Eichen seines Schlossparks zeigte. Dabei war er mir, trotz meiner damals schon ausgeprägten republikanischen Überzeugungen, sofort sympathisch gewesen, erinnerte er mich doch an meine älteren Cousins auf dem Land in Norddeutschland - die gleichen baumlangen Kerle, blond, kumpelhaft, mit einem breiten Lachen im Gesicht und dem Herz auf der Zunge.

(Einige Zeit sollte noch vergehen, bis ich über ihn las, dass er von seiner Großmutter her, die von den nordhessischen Battenbergs abstammte, auch deutsches Blut in den Adern hatte…)

Der Tod des Bruders Alfonso - ein Unfall

„Weißt du, warum deine Mutter Monarchistin ist?“, erzählte mein Vater einmal, um meine Mutter zu necken. „Beim Spaziergang mit ihren Freundinnen auf dem Paseo de la Independencia im Zaragoza hat sie des Öfteren den schmucksten aller Kadetten gesehen, von der Militärakademie, und einmal haben sie sogar mit ihm gesprochen, sie und ihre Freundinnen - kannst du dir denken, wer das war?“ Ich schüttelte den Kopf. „Niemand anderes als der damalige Prinz von Asturien, für den Franco eine Ausbildung als Offizier vorgesehen hatte, um ihn auf seinen späteren Beruf als König von Spanien vorzubereiten. Und wenigstens in diesem Punkt“, fuhr mein Vater fort, „sollte Franco Recht behalten: Eine bessere Vorbereitung auf sein späteres Amt hätte es gar nicht geben können, denn auf die Art kannte Juan Carlos die meisten jungen Armeeoffiziere persönlich und konnte sie auf sich einschwören, beim Putsch später… Ob der alte Franco das allerdings gewollt hatte, lassen wir mal dahingestellt.

„Deine Mutter“, erzählte mein Vater weiter, „aber hat diese Begegnung auf dem Paseo de la Independencia nie vergessen, und als später die bösen Gerüchte über den Tod seines Bruders Alfonso von Gegnern des Königs wieder aufgewärmt wurden - die beiden Brüder hatten Waffen gereinigt, als sich ein Schuss löste, der Alfonso sofort getötet hatte -, da hat deine Mutter keinerlei Zweifel aufkommen lassen: dem liebenswürdigen jungen Mann mit dem offenen Gesicht damals auf dem Paseo konnte und durfte keine Absicht unterstellt werden, niemals! Es musste sich um einen Unfall gehandelt haben...

„Außerdem“, erklärte mein Vater, „gab´s für Juan Carlos überhaupt kein Motiv - schließlich war er bereits Ende der Vierziger in einem Vertrag zwischen seinem Vater und Franco zum Nachfolger bestimmt worden - allerdings zu einem faschistischen...“

Der König - wirklich eine Marionette?

Mittlerweile, ich war sechzehn, hatte sich die anfänglich Skepsis meines Vaters in uneingeschränkte Hochachtung für den König verwandelt - der Grund: Die Schlüsselrolle des jungen Königs während der Periode des Übergangs nach Francos Tod und sein Einsatz bei der Niederschlagung des Putsches von 1982, bei dem sich der Monarch demonstrativ, in einer mittlerweile berühmten Fernsehrede, gegen das aufständische Militär gewandt und ihnen öffentlich den Boden für ihr Handeln entzogen hatte. Außerdem rief er noch in derselben Nacht sämtlich Befehlshaber in den Provinzstädten an - alles Duzfreunde von ihm aus alten Akademietagen - und schwor sie erneut auf sich ein.

„Alle Achtung“, hörte ich meinen Vater sagen. „Da hat er doch nochmal die Kurve gekriegt, der König! Und dabei hab ich immer geglaubt, wir hätten´s mit `ner Marionette zu tun - alle Achtung, muss ich sagen!“ Und meine Mutter sagte dazu: „Hab ich´s euch nicht schon vor Jahren gesagt?!“

Nach Rückkehr der Putschisten-Panzer in ihre Kasernen zog sich der König immer mehr aus dem politischen Tagesgeschäft zurück und beschränkte sich auf seine repräsentativen Aufgaben, was vor allem bei Auslandsbesuchen hieß: der beste Handelsvertreter seines Landes zu sein.

In den letzten Jahren jedoch häuften sich die beunruhigenden Nachrichten: Die Königsfamilie - oder zumindest einzelne Vertreter von ihr - schienen keine Gelegenheit auszulassen, um Teil jener „Internationale der Gierigen“ zu werden, Teil jenes „Monopoly-Kartells“, das nichts unversucht lässt, um des eigenen Vorteils willen, die Ressourcen unseres Raumschiffs Erde zu plündern...

Ein Schwiegersohn des Königs - der berühmte baskische nsH Handballer Iñaki Urdungarin - geriet, zusammen mit seiner Frau, der Infantin Cristina de Borbón, in die Schlagzeilen, als sich herausstellte, dass beide den spanischen Fiskus um Millionen betrogen hatten. Und der König selbst machte als Elefantenjäger in Botswana von sich reden, obwohl er als Ehrenvorsitzender des „WWF“ vom Aussterben bedrohte Arten schützen sollte!

Dem Sturm der Entrüstung, der sich erhob, begegnete Juan Carlos mit einer einmaligen menschlichen Geste für einen Monarchen: Er trat vor die Kameras und bat sein Volk um Verzeihung - etwas Ähnliches würde nie wieder vorkommen! Nun ist er, von Krankheit gezeichnet, zurückgetreten und hat den Platz für einen Nachfolger freigemacht, seinen erstgeborenen Sohn Felipe...

Und wenn mein Vater, angesichts der Verfehlungen, wieder einmal in seine antimonarchistischen Ressentiments verfallen will, halte ich ihm das Wort Isaac B. Singers aus dessen großartiger Novelle „Der Kabbalist vom Broadway“ entgegen: „Der Mensch“, schreibt Singer dort, „lebt nicht nach den Regeln der Vernunft!“

<emphasize>Luis Miehe </emphasize>



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