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Eine Frau zieht Jesus am Trikot

Doch statt gelber Karte, Verwarnung, gar Strafe durch den Schiedsrichter erhält sie Segen und Heil. Die Meute auf dem Platz meckert. Rudelbildung! Nicht einmal da zeigt Jesus Gelb. Dann kommen Leute und verkünden Abpfiff. Schiri – geh nach Hause. Doch: Jesus ist der Herr des Spielfeldes. Er sagt, wann Schluss ist. Ein Lehrstück über Glaube und über Kameraführung.

Seit einigen Jahren bereitet die Berichterstattung über diesen Spieltag aus dem Leben Jesu einigen frommen Zuschauern  Kopfzerbrechen: Einmal ist da die Erzählung von Jairus und seiner sterbenden Tochter, andermal die Erzählung von der unheilbar kranken Frau. Warum hat der Evangelist Markus die zwei Erzählungen miteinander verwoben? Für die Analysten von der Tribüne geht das gegen das Lehrbuch. Es passt nicht zusammen. Die Berichte müssten getrennt werden.
Bei besonders wichtigen Spieltagen achtet die Turnierleitung darauf, dass die relevanten Mannschaften gleichzeitig spielen. Keine Mannschaft soll von dem Ergebnis der anderen beeinflusst werden. Die Berichterstattung steht vor einem Problem: Welches Spiel zeigen? Der zweite Evangelist, Markus, das ZDF der Antike, hat sich für die Konferenzschaltung entschieden: Wir haben ein Hauptspiel, hier ist es Jairus und seine Tochter, und ein zweites Spiel, prinzipiell nicht weniger wichtig, die unheilbar kranke Frau. Wenn in diesem zweiten Spiel eine interessante Situation passiert, Platzverweis, Elfmeter oder Tor, dann wechselt die Berichterstattung zu diesen Ereignissen. Sobald sie abgeschlossen sind, schwenkt die Regie um auf das Hauptspiel.

Der Unterschied zwischen den Analysten auf der Tribüne und den Berichterstattern liegt in der Perspektive: das heute journal berichtet über jedes Spiel einzeln, während die Live-Berichterstattung simultan, also gleichzeitig, die Spiele in einander verwoben wiedergibt.

Thema der Berichterstattung ist nun nicht Fußball, wenn auch Jesus mit seiner Mannschaft, den zwölf Jüngern, durch die galiläischen Lande tourt. Die Austragungsorte heißen nicht Moskau, Kasan oder Sotchi, sondern Kapharnaum, Bethlehem oder Jerusalem. Und doch geht es um Sieg oder Niederlage: Erreicht die Tochter von Jairus die nächste Runde, bleibt sie am Leben? Geschieht das Wunder in der Nachspielzeit und die kranke Frau wird trotz zwölf Jahren erfolglosem Rumgekicke durch eine Tätlichkeit gesunden?
Zunächst scheint es ja so, als ob Jesus allein, weil er die Pfeife in den Händen hält, über Sieg oder Niederlage entscheiden kann. Doch so ist es nicht. Es ist auch wie im Fußball: Das Tor müssen schon die Spieler schießen, nicht der Schiedsrichter. Schießen heißt hier nur anders: Glauben. Wenn die Frau nicht an Jesus geglaubt hätte, dann wäre sie nicht geheilt worden. Sie wäre torlos ausgeschieden. Wenn Jairus nicht an Jesus geglaubt hätte, dann wäre seine Tochter nicht aufgestanden. Niederlage!

Warum hat Markus die Live-Schaltung dem heute journal vorgezogen? Die Antwort ist einfach: Warum gibt es public viewing von Live-Schaltungen und nicht vom heute journal? Weil in der Live-Schaltung der Zuschauer hineingeholt wird in das Spiel, weil er mitfiebert, weil er anfeuert, weil er mitleidet, weil er lacht und weint, weil er mitfühlt. Mit dem heute journal passiert so etwas nicht. Im public viewing sind wir mittendrin statt nur dabei. Wir nehmen uns extra Zeit dafür, verabreden uns womöglich, schmücken uns für die 90 Minuten und feiern.

Die Christen haben jeden Sonntag ihren Spieltag. Jeder Sonntag ist ein Spieltag Gottes des Herrn. Viele Kirchgänger halten diesen Tag wie das heute journal: Berichterstattung aus der Distanz. Die Sache ist abgeschlossen und es interessiert, wenn überhaupt, nur noch das Ergebnis. Dabei ist jede Messe eine Live-Berichterstattung aus dem Leben Jesu. Jeder Sonntag ist Konferenzschaltung. Jeder Sonntag ist public viewing.

Einen großen Unterschied gibt es noch: Wir sind nicht nur die Zuschauer auf den Rängen oder in den Reihen oder Kirchenbänken. Wir fiebern nicht nur mit Jesus und seiner Mannschaft mit, wenn wir Kyrie, Hosanna oder Halleluja rufen. Uns ist viel mehr zuteil geworden: Durch die Taufe sind wir Spieler Christi. Wir sind auf dem Platz, wir sind in der Mannschaft, wir schießen die Tore. Das Evangelium ist eine einzige große Berichterstattung unseres eigenen Lebens. Es ist nie ein heute journal eines 2000 Jahre alten Spieltages. Es ist Konferenzschaltung unseres Lebens. Was uns dort gezeigt wird, worüber wir mitfiebern, soll sich in unserem Leben ereignen. Wenn wir an jedem Spieltag so tätig teilnehmen, dann gewinnen wir in unserem Leben nicht nur die Vorrunde und die K.O.-Phase, sondern auch das Endspiel: die Meisterschaft. Zwar nicht die der Welt, sondern des Reiches Gottes.



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