Egon Bahr oder das Ende der großen Männer

Die Trauer um Egon Bahr, das wehmütige Erinnern an solche Gestalten, die als Politmarken gelten können, ebenso wie Helmuth Schmidt oder Hans-Dietrich Genscher, der noch jedes Datum kennt, lässt vergessen, dass Typen wie diese Politiker heute nicht mehr eine solch große Bedeutung hätten. Gefragt sind im 21. Jahrhundert nicht belesene, gut informierte und gescheite Männer und Frauen, es zählt der pfiffige Manager und seit Helmut Kohl der Aussitzer.

Die Trauer um Egon Bahr, das wehmütige Erinnern an solche Gestalten, die als Politmarken gelten können, ebenso wie Helmuth Schmidt oder Hans-Dietrich Genscher, der noch jedes Datum kennt, lässt vergessen, dass Typen wie diese Politiker heute nicht mehr eine solch große Bedeutung hätten. Gefragt sind im 21. Jahrhundert nicht belesene, gut informierte und gescheite Männer und Frauen, es zählt der pfiffige Manager und seit Helmut Kohl der Aussitzer.

Die Person oder die Persönlichkeit eines öffentlich wirkenden Menschen trägt kaum etwas zur Popularität bei. Selbst bei Papst Franziskus tritt die Aura hinter das zurück, was kompatibel mit der öffentlichen Meinung ist. Das liegt nicht an der jeweiligen Person, wahrscheinlich gibt es viele charismatische Persönlichkeiten, die der Öffentlichkeit nicht bekannt sind. Wer in der Welt der Medien und social networking Wirkung erzielen will, der muss andere Aufmerksamkeitsressourcen bedienen. Franz-Josef Strauß, der kaum noch als integrer Politiker gelten kann und der gerade eben wieder ein wenig demontiert wurde, hatte seine Wirkung, weil er wortgewaltig und mit einer ungeheuren Kraft und Präsenz seine Gegner überrollte. Das geht allerdings nur offline.

Rückständig oder mehr am Menschen

 

Egal in welchem Milieu sich jemand bewegt, der etwas bewegen will, ihm wird eingeredet, er müsse die modernen Medien bedienen. Wer gegen die Mühlen von Facebook, Twitter usw. ankämpft, wird belächelt und als rückständig bezeichnet. Sicherlich kann ein Politiker diese Möglichkeiten nicht völlig missachten, allerdings muss er sich fragen, wie er sein Image aufbaut. Lässt er sich dabei von den systemischen Bedingungen der Medien leiten oder entwickelt er sich an Personen, reibt sich mit Größen wie Bahr, Schmidt, Genscher, Strauß, Wehner oder anderen. Um ein Profil aufzubauen, das erstens lange trägt und zweitens auch zur Lebenszufriedenheit beiträgt, eignen sich die neuen Medien nicht. Auch zur Informationsbeschaffung taugen spiegel-online u. a. nicht. Der Irrtum besteht darin, dass das Wissen um einzelne Details noch nicht bedeutet, informiert zu sein. Die großen Männer und Frauen können noch zeigen, dass Informiertsein zunächst eine intensive Beschäftigung mit einem Thema voraussetzt. Ein Grundwissen, eine Grundbildung prägen dann den Umgang mit Informationen und lassen gelassen sein. Vielleicht ist es die größte Herausforderung, von anderen als rückständig bezeichnet zu werden und sich doch die Kraft zu nehmen, die Begegnung mit konkreten Menschen einzugehen.

Es ist nicht die Ideologie

 

Bedeutende Persönlichkeiten vertreten eine bestimmte Ideologie oder Weltauffassung oder taten es einmal. Man konnte diese Meinung ablehnen oder ihr zustimmen, man konnte auch an der Ehrlichkeit dieser Menschen zweifeln, man konnte ihnen sogar unterstellen, korrupt und nur an den eigenen Interessen orientiert zu sein. Sie blieben Autoritäten. Heute regiert die Kanzlerin, keiner weiß wirklich, was sie denkt und macht. Die anderen um sie herum sind nichtssagende Protagonisten eines Polittheaters. Es geht dabei gar nicht mehr um Strategien und Taktiken, sondern nur noch um das politische Geschäft als inhaltlich entleertes Agieren.

Neue Männer und Frauen braucht das Land

 

Wenn so jemand wie Egon Bahr stirbt und lediglich die Wehmut darüber bleibt, dass wieder einmal so eine Persönlichkeit von der Bühne verschwunden ist, dann ist der Vorwurf der Rückständigkeit berechtigt. Der Tod muss Anlass sein, Überlegungen darüber anzustellen, wie heute die Personen sein sollten, die Macht in dieser Gesellschaft haben. Möglicherweise weist gerade die Trauer über den Verlust solcher Größen wie Egon Bahr darauf hin, dass heute diejenigen, die still und unauffällig sind, die sich der Politik entziehen, die keine Karriere im klassischen Sinne anstreben, viel wirkvoller sind. Nicht die konkrete Beteiligung und die politischen Aktivitäten machen Größe heute aus, sondern das bewusste, langsame und ehrliche Ringen um die richtigen Lösungen auf der Basis eines grundlegenden Informiertseins. Vielleicht müssen Politiker heute lernen, weniger in der Öffentlichkeit präsent zu sein, einen nur geringen Bekanntheitsgrad zu haben, dafür aber mit anderen zu reden, zu wachsen und zu akzeptieren, dass ihre Fernsehpräsenz oder die Twitter-Aktivitäten nicht wirklich die lenkende Politik ausmachen.



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