Foto: dpa/ picture-alliance

Edward Snowden: Staatsfeind oder Held?

(explizit.net/ kath.de) Was vor 15 Jahren im Kino vielleicht noch für reine Fiktion gehalten wurde, scheint heute hochaktuelle Realität zu werden: Der Leiter der US-amerikanischen Nationalen Sicherheitsbehörde, NSA, lässt einen Kongressabgeordneten töten, weil dieser sich aus moralischen Gründen weigert, einem verschärften Überwachungsgesetz zuzustimmen. Ein Anwalt kommt zufällig in den Besitz eines Videos, das diesen Mord dokumentiert. Daraufhin sorgt die NSA dafür, dass der Anwalt seinen Job verliert wird und seine Ehe zerstört wird. Die NSA ruiniert systematisch seinen Ruf und seine Glaubwürdigkeit. Er muss fliehen und ist dabei völlig auf sich gestellt. Mithilfe eines ehemaligen NSA-Agenten findet er heraus, dass die NSA ihn komplett verwanzt und überwacht. Es gelingt den beiden schließlich, die NSA mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, indem sie den NSA-Chef verwanzen und heimlich ein Geständnis des Mordes aufzeichnen. Das neue Überwachungsgesetz wird erst einmal nicht verabschiedet.

„Staatsfeind Nr. 1“ heißt dieser Actionthriller von 1998, in dem Will Smith die Hauptrolle des verfolgten und bespitzelten Anwalts spielt.

 

„Unabhängigkeitstag“

Im Science-Fiction-Film „Independence Day“ von 1996 greifen Außerirdische die Erde an, um die Menschheit auszurotten und die Rohstoffe der Erde auszubeuten. Will Smith tritt diesmal US-Marine-Corps-Pilot auf, durch dessen heldenhaften Einsatz es den Vereinigten Staaten von Amerika gelingt, am Nationalfeiertag, dem Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung, dem „Independence Day“ am 4. Juli, die gesamte Menschheit vor der Vernichtung zu bewahren.

Der 4. Juli, der Tag der Unabhängigkeitserklärung, ist von stolzen Reden, großen Familienfeiern, Feuerwerken und bei vielen Amerikanern von Tränen der Rührung erfüllt. Der Tag ist an Patriotismus kaum zu überbieten. Am diesjährigen Feiertag werden die USA aber nicht von übermächtigen Raumschiffen Außerirdischer bedroht. Es ist vielmehr ein einzelner junger US-Bürger, der aus moralischen Gründen die Überwachungsmethoden der „National Security Agency“ (NSA) öffentlich gemacht hat. Deswegen wird er nun als Staatsfeind von der der Weltmacht USA systematisch gesucht und verfolgt – gar soweit, dass sein Reisepass für ungültig erklärt und das Flugzeug des bolivianischen Staatspräsidenten auf dem Rückweg von Russland aufgehalten und durchsucht wurde, weil man meinte, der Staatsfeind könnte an Bord der Maschine sein.

Unveräußerliche Rechte

Die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten zählt zu den staatsphilosophisch wichtigsten Texten der Demokratiegeschichte. Am 4. Juli 1776 erklärten die britischen Kolonien in Nordamerika ihre Unabhängigkeit von der britischen Krone sowie die Bildung eines eigenen Staatenbundes. In der Unabhängigkeitserklärung, die von einem Komitee unter wesentlicher Mitwirkung von Präsident Thomas Jefferson und US-Gründervater Benjamin Franklin verfasst wurde, heißt es zu Beginn:

„Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen worden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freiheit und das Bestreben nach Glückseligkeit“. Es wird weiterhin erklärt, dass vom Volk gewählte Regierungen zur Sicherung dieser Rechte dienen müssten und „dass sobald einige Regierungsform diesen Endzwecken verderblich wird, es das Recht des Volks ist, sie zu verändern oder abzuschaffen.”

Freiheit versus Sicherheit

Wie weit dürfen Regierungen gehen, um diese Rechte der Bürger zu sichern? Die überwachten und bespitzelten Bürger fühlen sich in ihren Freiheitsrechten eingeschränkt, während die Regierungen – allen voran die US-Regierung, aber, wie nun offensichtlich wird, auch Großbritannien, Frankreich und andere – mit Verweis auf die Sicherheit der Bürger argumentieren, um die Überwachungsmaßnahmen zu rechtfertigen. Besonders die angebliche Gefahr terroristischer Anschläge wird im Zuge der Rechtfertigungen immer wieder angeführt. Um Terroranschläge zu verhindern, sei es notwendig, E-Mails, Telefonate usw. zu überwachen, um potenzielle Täter rechtzeitig auszuschalten.

Wenn der Staat den Terror verbreitet

Ist es tatsächlich besser, in ständiger Angst vor der intransparenten, womöglich allumfassenden Überwachung durch den Staat zu leben, dafür aber vermeintlich keine Angst mehr vor Terroranschlägen haben zu müssen? Terror bedeutet übersetzt „Angst und Schrecken“. Terroranschläge mit Bomben und Flugzeugen sind schrecklich und verunsichern die Menschen. Was diese Terroristen tun, ist Unrecht und soll Angst machen. Was geschieht aber, wenn der Staat gerade unter dem Vorwand des Rechts und der Sicherheit zum systematischen Verbreiter von Angst und Schrecken wird, indem er die Menschen heimlich bespitzelt? Die psychische Belastung, der die Menschen durch die Angst vor Bespitzelung ausgesetzt sind, ist eine andere als die Angst vor der angeblich ständig lauernden Gefahr islamistischer Terroranschläge. Doch welche Angst ist besser?

Illusion der Angstfreiheit

Edward Snowden, der Geheimnisverräter der NSA, wird deshalb von den USA als Verräter und Staatsfeind gesucht und verfolgt, weil er die vom Staat vorgespielte Illusion der Angstfreiheit aufgedeckt hat. Es sind nicht die übermächtigen Außerirdischen, die bösen Unbekannten von außen, es ist nicht „der islamistische Terror“ und auch nicht der kapitalistische Klassenfeind, vor denen man die größte Angst haben muss. Vielmehr verstärkt sich der Eindruck, dass es der übermächtige Staat ist, der zugunsten einer scheinbaren Sicherheit der Bürger mehr und mehr deren Freiheitsrechte einschränkt. Diese Angriffe auf die Freiheit sind letztlich nicht minder gravierend als die Terroranschläge, denen die Geheimdienste mithilfe ihrer dubiosen Methoden vermeintlich zuvorkommen.

Ein Zitat, das oft fälschlicherweise Präsident Thomas Jefferson zugeschrieben wird, stammt von einem der Gründungsväter der Vereinigte Staaten und Mitautoren der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, Benjamin Franklin: „Diejenigen, die bereit sind, grundlegende Freiheiten aufzugeben, um ein wenig kurzfristige Sicherheit zu erlangen, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit.“

Lesen Sie den ganzen kath.de-Wochenkommentar hier



Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Zum Seitenanfang