(explizit.net) Ein Interview mit drei jungen, in Deutschland lebenden Spaniern.
Mein Name ist
Ana García Sánchez.
Ich bin 1990 in Frankfurt am Main als Tochter spanischer Eltern geboren. In Frankfurt bin ich auch zur Schule gegangen und habe das Abitur gemacht. Nach der Pensionierung meines Vaters bin ich mit meinen Eltern nach Madrid gezogen. In Madrid habe ich Informatik studiert und das Studium mit einem Diplom abgeschlossen. Da es nach dem Studium so gut wie aussichtslos war, in Spanien eine Stelle zu finden, habe ich mich sofort nach meinem Abschluss in den Zug gesetzt und bin nach Frankfurt gefahren. Nach kurzer Zeit erhielt ich dort einen Platz an einem namhaften deutschen Softwarehaus, mit der Aussicht auf Festanstellung.
Meine Eltern hatten zur zweiten Welle spanischer Emigranten Ende der Achtziger Jahre gehört, die, auf der Suche nach Arbeit, die Pyrenäen überquerten. Ihre erste Station war Metz in Frankreich, wo mein Vater als Taxifahrer Arbeit fand. Nach wenigen Jahren aber brachen sie dort ihre Zelte wieder ab und zogen weiter nach Frankfurt am Main. Auch dort arbeitete mein Vater als Taxifahrer, während meine Mutter nach meiner Geburt, zu Hause blieb und nur noch Aushilfsjobs annahm.
Meine Eltern, das muss ich betonen, gehören zu den wenigen Spaniern, die sich in Alemania nicht in ihr Schneckenhaus zurückzogen und stolz darauf waren, kein einziges Wort Deutsch zu sprechen; im Gegenteil: Vor allem meine Mutter spricht und schreibt sehr gut Deutsch. Ihre Deutschkenntnisse hat sie sich bei Sprachkursen auf der Abendschule erworben. Für diese positive Einstellung bin ich meinen Eltern sehr dankbar, denn das hat meiner Ansicht nach wesentlich dazu beigetragen, dass ich, als eines der wenigen spanischen Kinder meines Jahrgangs, das Abitur schaffte.
Außerdem hat es mir die Rückkehr nach Deutschland erleichtert - ein Land, sehr verschieden von dem Zerrbild, das, wie ich finde, oft in den spanischen Medien gezeichnet wird! Wie oft heißt es dort auch heute noch: Wer hat Guernika bombardiert (angeblich ohne Francos Wissen)? ... Wer war schuld am Zweiten Weltkrieg? ... Wer hat die Konzentrationslager errichtet? ... Höre ich solche Dinge zum x-ten Male in den spanischen Medien, dann sage ich mir: Fasst euch erstmal an die eigene Nase, mit eurer Vergangenheit - schließlich: Starb nicht auch mein Großvater in einem Arbeitslager, Jahre nach dem Bürgerkrieg? Und was war seine Schuld gewesen, außer dass er die Republik verteidigt hatte ...
Für mich jedenfalls ist Deutschland das Land, das meine Eltern aufgenommen und ihnen Arbeit gegeben hat - das Land, in dem ich als Kind ausländischer Arbeiter das Abitur machen konnte - das Land, in dem ich beruflich eine Chance bekomme ...
Ich jedenfalls - und da kann man mich in Spanien so oft „Nazi“ nennen, wie man will! - fühle mich in beiden Ländern zu Hause; aus dem Grund setze ich auch meine Hoffnung in die jetzige Regierung und ihre Pläne, die doppelte Staatsbürgerschaft zu erlauben, für Personen wie mich nämlich, die mit einem Bein in Alemania stehen und mit dem andern im Heimatland ihrer Eltern ...
Mach´s gut - und vielleicht sieht man sich ja mal im Café Hauptwache!
Mein Name ist
Juan López Aguirre.
Ich bin vor dreißig Jahren in Burgos geboren und entstamme einer alten spanischen Politiker-Familie - ein Uronkel von mir war Minister in der letzten Regierung des im „Valle de los Caidos“ ruhenden Diktators. Aber, du kannst mir glauben: mir liegt Nostalgie fern! Für mich war Franco eine Person, der die Entwicklung seines Landes um Jahrzehnte zurückgeworfen hat. Und weil das vor allem für die Infrastruktur galt, bin ich Ingenieur für Straßenbau geworden - auf Spanisch: „Ingeniero de Carreteras, Autopistas y Puentes“.
Mittlerweile jedoch hat mein Land nicht nur aufgeholt, sondern sich sogar an die Spitze in Europa gesetzt, was den Autobahn- und Brückenbau angeht. Na, und da in Alemania, im Gegensatz zu Spanien, in den letzten Jahrzehnten wenig investiert wurde und es einen Riesennachholbedarf gibt, habe ich mich bei der Strabag beworben, der namhaftesten deutschen Straßenbaufirma. Zusammen mit meinem italienischen Kollegen, Mario Feltrinelli, tue ich dort alles, was in meinen Kräften steht, damit dieses Land wieder den Anschluss findet in Europa. Vor allem der Standardisierung im Brückenbau gilt dabei unser Augenmerk, werden doch bei uns zu Hause Brücken nur noch aus vorgefertigten Elementen errichtet, was weit ökonomischer ist, während in Alemania jede Brücke noch als Unikat gegossen wird ... ein völliger Anachronismus!
Ja, wirst du einwenden, an solchen Details merkt man halt, dass spanische Autobahnen sich in Privatbesitz befinden und mit Mautgebühren finanziert werden - „Autopistas de Peaje“ eben! - während sie sich in Alemania ausschließlich in staatlicher Hand befinden. Und staatliche Mühlen mahlen nun mal langsam. Dazu kann ich nur sagen: Wenn der Preis für die Modernisierung deutscher Autobahnen ihre Überführung in Privatbesitz ist, dann nur zu! Dann wird´s höchste Zeit, dass die Große Koalition in Berlin ein Gesetz in diesem Sinne beschließt! Auf jeden Fall geht´s so nicht weiter, wenn Deutschland nicht völlig den Anschluss in Europa verlieren will - das sage ich, Juan López Aguirre, Fachmann auf diesem Gebiet!
Wenn ich beispielsweise erlebe, dass solch eine wichtige Strecke wie die A8, die Autobahn München-Stuttgart also, nicht zuletzt wegen ungeklärter Besitzfragen, immer noch zweibahnig ist und die durchschnittliche Geschwindigkeit deshalb das Kriechtempo, würde ich am liebsten meinen BMW-X1 abmelden und einmotten. Einmal bei Ulm im Stau gestanden, sehnt man sich nach der „Autopista de Peaje“ Madrid-Sevilla zurück, wo einem nicht jeder lahme Seat in die Quere kommen kann, sondern wo Premium-Marken wie Mercedes und BMW zu Recht das Tempo bestimmen.
Ich heiße
Carmen Gutiérrez Baite
und bin Studentin an der Hochschule für bildende Kunst in Berlin. Wem ich das zu verdanken habe? Nun, erlaub mir, dass ich dazu etwas aushole ...
Als mein Vater, der einen gutbezahlten Job in der Madrider Bauwirtschaft gehabt hatte, von heute auf morgen arbeitslos wurde, sah meine Zukunft, nach dem „bachillerato“, dem spanischen Abitur, schwarz aus. Mit andern Worten: Mit der Bankenkrise begann für mich, wie für viele andere Jugendliche in Spanien auch, die Katastrophe. Denn: berufliche Ausbildung ist in Spanien ja nicht kostenlos, wie in Alemania, sondern muss auf Heller und Pfennig bezahlt werden. Ganz anders hier, wo die Betriebe Auflagen von der Politik bekommen, junge Leute auszubilden und so für die Zukunft vorsorgen müssen.
Wie gesagt: Nach dem Abi und ohne jede Aussicht auf eine Ausbildung in Spanien begann ich, mit Freunden herumzuhängen. Und irgendwann landeten wir dann auf der Plaza Santa Ana im Madrid, beim so genannten „botellón“, dem Komasaufen ... Beim Botellón finden sich Tausende Jugendlicher auf den Plätzen der großen Städte ein, um billigsten Fusel in großen Mengen zu konsumieren - Fusel, der meist in kleinen chinesischen Läden in der Nähe gekauft wird, und den man in sich hinein schüttet bis zum Umfallen ...
Eines Tages - meine Tante aus Alemania war zu Besuch - trugen mich meine Freunde frühmorgens nach Hause, stockbetrunken und völlig bewusstlos. Glaub mir, meine Tante war so entsetzt, dass sie keine Ruhe gegeben hat, bis sie mich mit nach Berlin nehmen konnte. Und hier studiere ich jetzt an der Hochschule für bildende Kunst. Seitdem, das kannst du mir glauben, habe ich keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt! Im Gegenteil: Mein Studium hat mich dazu gebracht, die krassen Erfahrungen, die ich beim Komasaufen unter Jugendlichen gemacht habe, künstlerisch zu verarbeiten.
Einen kleinen Wermutstropfen gibt´s allerdings - meine Kasse ist immer noch gähnend leer! Als ich aber meiner Tante mit der Idee kam, unsere Situation mit Modellstehen aufzubessern, da ist sie beinahe ausgeflippt: eher ginge sie auf ihre alten Tage putzen, hat sie mich angefaucht, und: sollte ich so etwas auch nur erwägen, schickte sie mich sofort nach Spanien zurück! Was die Moralvorstellungen angeht, kann ich dir versichern, sind die alten Exil-Spanier noch stockkonservativer als die im Mutterland! Ich jedenfalls musste erstmal zurückstecken: aufgeschoben, hab ich mir gedacht, ist nicht aufgehoben.
Aber da ist noch etwas, das mich irritiert - die Vorurteile von euch Alemanes, was Kunst und Kultur betrifft! Künste wie die Malerei „brotlos“ zu nennen, also hör mal! Könnten die Menschen in diesem Land sich nicht endlich einmal zurücklehnen und den schönen Dingen des Lebens widmen?!
In Spanien, das erzähle ich oft, mögen wir momentan in einer Krise stecken, einer wirtschaftlichen, aber kein Ort, so klein er auch sein mag, ohne Kunstausstellung, ohne Wettbewerbe für Poesie und Prosa! Hier aber, im steinreichen Deutschland, werden die Künste vernachlässigt, ja, geradezu missachtet. Darum: bei allen materiellen Gütern müsst ihr, wie ich finde, auf der Hut sein, dass Berlin nicht eines Tages von einem strahlenden „SPREE-ATHEN“ zu einem grauen, nüchternen SPARTA verkommt.
<emphasize>Aus mehreren Gesprächen zusammengestellt von Luis Miehe</emphasize>
Die Namen der interviewten Personen wurden geändert.
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