Ich wohne im Raum Bonn. In meinem Ort gab es auch etwas Hochwasser, aber sogar weniger als in den Jahren zuvor. Mit der jungen katholischen Kirche „Campanile Bonn“ will ich nach Ahrweiler fahren, um zu helfen. Ich fühle mich verpflichtet, so zu handeln, wie ich es mir von anderen Menschen gewünscht hätte, wäre ich betroffen gewesen. Am 22. Juli geht es los, acht Tage nach der Katastrophe. Wir treffen uns früh morgens und fahren mit Autos von Freiwilligen nach Euskirchen, nach kurzer Wartezeit werden wir von dort mit Shuttle-Bussen nach Ahrweiler gebracht. Meine Mithelfer: Schüler, Studenten, bis hin zu Rentnern, sogar das Kamera-Team eines Privat-Fernsehsenders. Vor der Abfahrt werden wir eindringlich gebeten, vor Ort keine Fotos zu machen. Wir kommen schließlich als Helfer. Gab es etwa Leute, die als Katastrophentouristen vor Ort einfach drauflos fotografiert haben? Der Gedanke drückt meine Stimmung. Im Bus werde ich etwas lockerer, fühle mich ein bisschen wie auf einer Klassenfahrt, wir unterhalten uns, machen sogar Späße.
Grüne Haken bedeuten: Das Haus wird abgerissen
Während der Fahrt habe ich dann aber wieder gemischte Gefühle. Einerseits wirkt das hier wie Abenteuertrip mit Freunden. Andererseits wissen wir: Wo wir hinfahren, haben Menschen alles verloren, zum Teil sogar Freunde und Familie. Auch Helfende haben sich schon öfter verletzt, sagt man uns. Wir sollten aufpassen. Auch das geht mir durch den Kopf.
Ankunft in Ahrweiler: Ab der Hauptstraße geht es nicht mehr mit dem Fahrzeug weiter. Also gehen wir zu Fuß ins Zentrum. Dort sehe ich zum ersten Mal, was die Fluten mit der Stadt angerichtet haben. Es ist bedrückend. Alles ist zerstört, voller Schlamm und überall sehe ich die Bundeswehr, irgendwie unwirklich, denke ich. Ein kurzer Fußmarsch zu der Adresse, an der wir helfen sollen. Obwohl wir Fremde sind, werden wir auf dem Weg angesprochen, ob wir hier oder da anpacken können. Auf dem Weg sehe ich grüne Haken an den Häusern. Sie sollen abgerissen werden, die anderen müssen wohl saniert und renoviert werden. Die meisten sind grün markiert. Das heißt, die Menschen haben nichts mehr. Auf den Straßen, wo vor zwei Wochen noch das Leben stattgefunden hat, sehen wir nur noch Trümmer und Schlamm. Kinder, die hier vor Kurzem noch gespielt haben, packen jetzt mit an und räumen ihre Stadt auf.
Zusammenhalt – generationenübergreifend
Am Ziel angekommen, keine Spur von der Bewohnerin des Hauses, es wirkt aber auch schon aufgeräumt. Wir drehen um, gehen zurück in die Stadt und helfen, einen Laden für Sportkleidung aufzuräumen: Schlamm schippen, die Waren des Ladens wegschmeißen. Teilweise müssen wir sogar die Wände einreißen. Draußen türmt sich der Müll, der einmal das Leben der Menschen war. Die erste Solidaritätswelle galt den Wohnhäusern, erzählen uns die Eigentümer des Sportladens. Es sei schwieriger gewesen, als Ladenbesitzer Hilfe zu bekommen. Beim Aufräumen finde ich Fußballhandschuhe im Matsch, stelle traurig fest: Genau das Modell benutze ich zuhause selbst zum Spielen.
Über Politik redet hier keiner. Die Menschen wirken wie neben sich. Nicht nur erleben sie gerade ihren Existenzverlust, sondern viele auch den Tod von Freunden. Aber durch die Hilfe von uns Freiwilligen und im Gespräch werden sie zum Teil etwas offener und lockerer, merke ich. Niemand ist hier allein. Für mich ein überwältigendes Gefühl, ein solchen Zusammenhalt zu erleben – auch generationenübergreifend. Am Abend trinken Helfende und Opfer gemeinsam ein Bier.
Freude, Jubel – und Enttäuschung
Am Ende des Tages falle ich völlig erschöpft in den Sitz des Shuttle-Busses. An den Seiten der Straßen, fast wie im Spalier, jubeln und applaudieren die Bewohner uns zu. Ein schönes Gefühl, auch wenn ich nur einer von Tausenden bin, aber heute habe ich eine kleine Veränderung bewirkt. Ich bin voller Freude, weil ich weiß, dass ich helfen konnte. Aber zugleich bin ich auch enttäuscht. Jeder Tote in Ahrweiler ist einer zu viel. Die Katastrophe wurden vorhergesagt, und generell sind die Auswirkungen des Klimawandels kein Geheimnis für die Regierung. Ich wünsche mir mehr Katastrophenschutz in Deutschland, denn die noch schlimmeren Bilder aus anderen Ländern, die ich bisher nur aus Nachrichten kannte, können schneller in Deutschland ankommen als gedacht.
Protokoll: Carolina Graef Alarcón
Redaktion: Matthias Alexander Schmidt
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