Eine komplexer gewordene Welt mit differenzierten Unternehmensstrukturen, die dazu noch einem dauernden Wandel unterworfen sind, gibt mehr Menschen Führungsverantwortung. Wie diese Aufgabe zu bewältigen ist, dekliniert Chris Lowney in 9 Kapiteln durch. Es geht ihm nicht nur um Verfahren für die Leitung. Zentral ist für ihn das menschliche Dilemma, in das jeder mit der Übernahme einer Leitungsaufgabe gerät. Denn eine Leitungsaufgabe vergrößert das Risiko von Fehlentscheidungen deutlich. Damit sind mehr Menschen mit ihren Charakterschwächen konfrontiert. Eigene Fehler können entmutigen oder dazu verführen, sie zu leugnen und die Kritiker zu mobben. Hier setzt der Autor mit dem Instrumentarium an, das die Basis der Führungsphilosophie und der Entscheidungspraxis des Papstes darstellt, die Exerzitien des Ignatius von Loyola.
Chris Lowney hat die Ausbildungsphasen des Jesuitenordens durchlaufen, um dann doch nicht Priester zu werden. Inzwischen arbeitet er im Vorstand einer katholischen Krankenhausgesellschaft, nachdem er 10 Jahre bei einer Investmentbank tätig war. Das Buch ist nicht so eng an die Person des Papstes gebunden wie es der Titel nahelegt, zeigt aber an Entscheidungen und Vorgehensweisen dieser kirchlichen Führungspersönlichkeit, wie eine von den Exerzitien inspirierte Führungspraxis aussieht. Gerade an Jorge Bergoglio lässt sich zeigen, wie diese Leitungsphilosophie zu kreativen Lösungen führt. Dafür hat der Autor mit Jesuiten gesprochen, die die Leitungspraxis des heutigen Papstes während ihrer Ausbildung und in den Führungsrollen, die dem Papst vom Orden übertragen wurden erlebt haben. Damit ist das Buch nicht bloß eine Zusammenstellung von Beobachtungen, sondern Ergebnis origineller Recherche, die der Autor mit eigenen Erfahrungen aus seiner Ausbildung wie auch seiner Erziehertätigkeit an Ordensschulen unterlegt.
Am meisten dürfte sich das Buch von vergleichbaren Titel darin unterscheiden, dass es da ansetzt, wo Führung das Leben und Arbeiten der ihr anvertrauten Mitarbeiter am meisten beeinträchtigt. Es ist die Spannung zwischen den eigenen Schwächen und dem aus diesen resultierenden Versagen. Wie man den Mut findet, Entscheidungen zu treffen, einer Organisation oder Firma die Veränderungen abzuverlangen, die der schnelle Wandel der Gesellschaft wie des Marktes erfordern, das kann man täglich an Franziskus beobachten. Es sind die Exerzitien des Ignatius, die es dem Übenden ermöglichen, sich mit diesen Herausforderungen auseinanderzusetzen. Sich zur Anerkennung der eigenen Schwächen und der Erbärmlichlichkeit, in die sie führen, zu stellen, führt in den Exerzitien gerade nicht in die Resignation, sondern bereitet vor, die Lebensaufgabe zu schultern, die gerade in einer Leitungsaufgabe die größten Herausforderungen bereit hält. Diese können nur gemeistert werden, wenn man seine Schwächen akzeptiert hat. Die Exerzitien bleiben nämlich nicht bei der Erbärmlichkeit stehen, sondern führen in der Meditation zur Erkenntnis des eigenen Lebensauftrages. Neben diesem zentralen Spannungsverhältnis "Lerne dich selbst kennen und lebe, um anderen zu dienen" sieht der Autor Leitung von weiteren polaren Gegensätzen bestimmt:
„Lasse dich ganz auf die Welt ein, aber ziehe dich täglich aus ihr zurück!“
„Ehre die Tradition, indem du an den zentralen Werten festhältst, aber gestalte die Zukunft“
Auf einen weiteren Vorzug des Buches ist hinzuweisen. Der Autor versteht die Aufgabe von Eltern auch als Führungsaufgabe und zeigt, dass die gleichen Prinzipien helfen, Kindern ebenso gerecht zu werden wie Mitarbeitern, für die man Verantwortung übernommen hat.
Das Buch hat das Potential für einen Longseller. In der Einleitung und auch am Schluss könnte es gestrafft werden. Breiteren Raum könnte die Entscheidungsfindung einnehmen. Zwar hat der Autor über die Prinzipien und ethischen Maßstäbe, die bei Entscheidungen ins Spiel gebracht werden sollen, das Wichtige gesagt, jedoch zu wenig, wie der Prozess der Entscheidungsfindung angelegt werden kann. Hier ist sowohl in den Exerzitien wie den Briefen des Ignatius wie auch beim Papst aus dem Jesuitenorden noch Hilfreiches zu finden. Zudem formuliert der Originaltitel treffender, was im Buch zu lesen ist: „Pope Francis: Why He Leads the Way He Leads"
Für die Lektüre einige Hinweise: die leicht gängig geschriebene Einleitung verführt zu der Einschätzung, das man das Buch wie einen der vielen Ratgeber zügig durchlesen kann. Steckt man dann in einem der Kapitel, legt man das Buch zur Seite, um sich das eigenen Verhalten und die Vorgaben, die man seinem Handeln unterlegt, zu reflektieren. Worum es in dem Buch geht, findet sich prägnant formuliert auf S. 21f
Ein Nachdenkbuch für Führungskräfte, Eltern wie Studierende
Eckhard Bieger S.J.
Chris Lowney, Franziskus - Führen und Entscheiden, was wir vom Papst lernen können, Herder, Freiburg, 2015, Loyola Press, Chicago 2013
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