(explizit.net)Die Kritik des türkischen Staatspräsidenten in die türkische Erfahrungen eingeordnet - Gastkommentar von Johannes Auer (Wien) plädiert für eine differenziertere Betrachtung
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Die Debatte rund um das geplante Islamgesetz in Österreich nimmt wieder einmal eine falsche Richtung. Die Aussagen des türkischen Präsidenten rufen die gewohnten Anti-Erdogan Stimmen hervor und bringen damit die Debatte in eine Schieflage. Zunächst und zuallererst: Erdogans Aussagen in den richtigen politischen Kontext einordnen zu können, hat nichts damit zu tun seine Aussagen gut zu heißen, seine Agitation zu unterstützen oder gar Zuneigung zu ihm zu hegen. Es sollte an sich verständlich sein, dass eine neutrale und somit nüchterne Lageanalyse nur dann wirklich möglich ist, wenn das Gegenüber wahrgenommen wird und zwar gerade in seinem Selbstverständnis. Ein solches Unterfangen ist freilich nie leicht, denn es verlangt zugleich enorme Selbstreflexion. Einer solchen Auseinandersetzung bedarf es im Konkreten auch was das aktuell anstehende Islamgesetz in Österreich betrifft.
Religion können nicht einfach einer politischen Philosophie unterworfen werden
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Dabei ist das geplante „Islamgesetz“ aus mehrerlei Gründen problematisch: Zunächst einmal gilt es festzuhalten, dass von keiner Religionsvereinigung pauschal verlangt werden kann, sich dem westlich-liberalen „System“ anzuschließen oder gar zu unterwerfen. Weder von der katholischen Kirche, noch der Orthodoxie oder eben auch des Islam. Man muss und kann hier aber noch einen Schritt weitergehen: Auch der Kommunismus verweigert sich grundsätzlich der Unterwerfung unter dieses herrschende System, sollte man ihn also folgerichtig mittels eines „Kommunismusgesetzes“ einhegen? Dabei spielt es keine Rolle, ob der Kommunismus eine politische Bedeutung einnimmt oder nicht, das tut der politische Katholizismus ebenso wenig, sondern lediglich um das Faktum welche Bandbreite an Meinungen vom Gesetz (!) toleriert werden und welche nicht. Im Klartext also, wie weit Meinungsfreiheit gehen soll und darf und wie weit eben nicht. Diese Debatte wird in ihrer Konsequenz zu wenig geführt.
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Erdogan argumentiert aus den Erfahrungen der Türkei mit dem Laizismus
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Was nun die Positionen des türkischen Staatsoberhauptes betrifft, so wird offenbar gerne verdrängt, dass die Türkei, die dort lebenden Muslime und vor allem die politisch engagierten Gläubigen Jahrzehnte unter einem offensiven Laizismus agieren mussten, der erst mit dem Durchmarsch der AKP durch die Institutionen merklich abgemildert wurde. Ob dieser "offensive Laizismus" eine richtige Strategie war, um der Türkei eine "besser Gesellschaft" zu "geben", muss an anderer Stelle beantwortet werden. Militärische Putsche, Strafen für das „Barttragen“, politische und gesellschaftliche Isolation, Gefängnisstrafen für das Äußern von Meinungen, Verbot von religiösen Orden usw.: All das machte den Laizismus der Türkei aus – und zwar explizit gegen den Willen des im Westen viel gerühmten „Volkes“. Diese Politik betraf in gleicher Weise die christlichen Kirchen und hat diesen kaum Spielraum gegeben. Erst die islamische Partei öffnete den christlichen Gemeinden mehr Spielraum, indem sie die restriktiven Besitzregeln lockerte.
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Aus den Erfahrungen mit dem Laizismus in der Türkei sieht Erdogan möglicherweise in diesem geplanten Islamgesetz die Gefahr der Etablierung („in Gesetz gegossen“) eines ebenso einseitig aggressiven Laizismus in Europa, der die Muslime als fremd brandmarkt und sie unter politischen Generalverdacht stellt und damit – folgerichtig – gläubigen Muslimen auf lange Sicht eine volle Teilhabe am gesellschaftlichen und gerade auch politischen Leben der Gesellschaften in den betreffenden Länder verwehren soll. Nun könnte man mit Recht die Problematik von Erdogans Politik beschreiben, in diesem Fall aber dürften seine Motive anderer Natur sein, als rein nationalistisch-islamische-hegemoniale Ansprüche populistisch ausschlachten zu wollen.
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Religion gegen Laizismus
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Man muss sich in diesem Zusammenhang das ganz einfache Faktum vor Augen führen, dass der Islam die vielleicht letzte Religion in Europa ist, die tatsächlich (zumindest potentiell) eine Herausforderung an den Laizismus stellt, das Christentum ist dazu schon lange nicht mehr in der Lage, dieses nüchterne Faktum kann man gut heißen, oder für schlecht befinden, zu leugnen ist es jedenfalls nicht. Die geplante Vorschreibung einer in Österreich befindlichen verpflichtenden theologischen Ausbildung ist jedenfalls für viele Muslime schon insofern eine Drohung, da hier wohl die staatliche Kontrolle auf die theologische Lehre zementiert werden soll. So soll offenbar der Staat im Endeffekt bestimmen, so manch eine Befürchtung, was rechtgläubig ist und was nicht. Diese theologische Ebene würde aber direkt auch in die konkrete praktische Arbeit der „Geistlichen“ einfließen, was wiederum Folgen für die Muslime in ihrem Alltag haben dürfte.
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Wenn es eine islamische Partei gibt
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Weiter gilt es gerade in diesem Zusammenhang die Frage zu stellen, ob unsere Gesellschaften bereit wären islamische Parteien nach dem Muster der AKP zu tolerieren, also die Integration auch auf der politischen Wettbewerbsebene zuzulassen? Bedeutet letztlich Integration nicht die volle Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Leben? Oder bedeutet sie die Unterwerfung und Auflösung von Identitäten in einem „großen Ganzen“? Man sollte bedenken, dass der „osmanisch“ (und hier muss man diesen geschichtlichen Rückgriff wagen) geprägte politische Islam eine gänzlich andere Stoßrichtung verfolgt, als die hanbalitisch-wahabitschen Staatsysteme der arabischen Halbinseln, geschweige denn der Schiiten. Den Islam der Rechtsschule der Hanafiten mit den Salafisten neuester Prägung potentiell gleichzusetzen, strotzt nur so von Unkenntnis und ideeller Grobschlächtigkeit. Man kann hier auch die Frage stellen, ob nicht eine Sicherheitsdoktrin gegen Gewaltbereitschaft von sogenannten "Salafisten" sinnvoller wäre, als ein Gesetz "den" Islam betreffend. Das allerdings würde eine offene Motivklärung seitens der Initiatoren des Gesetzes bedingen. So komplex diese Frage also ist, so wenig kann man sie mithilfe der derzeitigen schrillen Töne aus allen Richtungen beantworten.
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Unabhängig davon, ob man die Positionen des Recep Tayyip Erdogan nun gutheißt oder nicht, machen es sich die mittlerweile institutionalisierten Erdogan-Gegner zu einfach, wenn sie alles, was dieser Mann äußert als „politische Instrumentalisierung der Auslandstürken“ abtun. Erdogan mag eine für sich stehende stark egozentrische Persönlichkeit sein. Seine Ideen, Ideale und aber auch politischen Überzeugungen werden von vielen Menschen geteilt. Es wäre heute mehr denn je angebracht, die Debatte in redlicher Form zu führen, alles andere führt zu Halbwissen, falschen Konsequenzen und zu fortdauerndem Unfrieden. Wenn also der österreichische Gesetzgeber dem Islam eine "Europäisierung" im Sinne der "Aufklärung" gesetzlich aufzwingen will, so soll er dies offen aussprechen. Ob dieses Vorgehen dann aber mit der Religionsfreiheit und der Meinungsfreiheit, sowie dem Recht auf politische Teilhabe zu vereinbaren und in letzter Konsequenz zu den gewünschten Zielen eines friedlichen und gerechten Gemeinwesens führen kann, sei dahingestellt. Zu denken sollte einem geben, dass gerade dieser offensiv-aggressive Laizismus in der Türkei selbst den Islam keineswegs "aufklären", geschweige denn den Aufstieg des politisch-konservativen Islam in institutionalisierter Form der AKP verhindern konnte."
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<emphasize>Gastkommentar von Johannes Auer</emphasize>
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