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Christliche Nachfolge zwischen Lebensbejahung und Todesbereitschaft

Wie ist Demut mit der Freiheit kompatibel?

(explizit.net) Jesus wusste, dass ihm der Tod bevorsteht. Er konnte in die Wüste ausweichen oder mit seinen Jüngern nach Jerusalem zum Paschafest gehen. Er hat sich für Jerusalem entschieden. Dort ist er öffentlich aufgetreten. Hat er bewusst den Tod gesucht? Welche Haltung folgt für aus der Weise, wie Jesus sein Lebensschicksal angenommen hat?

Wie ist Demut mit der Freiheit kompatibel?

(explizit.net) Jesus wusste, dass ihm der Tod bevorsteht. Er konnte in die Wüste ausweichen oder mit seinen Jüngern nach Jerusalem zum Paschafest gehen. Er hat sich für Jerusalem entschieden. Dort ist er öffentlich aufgetreten. Hat er bewusst den Tod gesucht? Welche Haltung folgt für aus der Weise, wie Jesus sein Lebensschicksal angenommen hat?

Als Jakobus und Johannes sich streiten, wer im kommenden Reich Jesu die besten Ministerposten bekommen soll, reagiert Jesus so: „Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein“ (Mk 10,43). Auch die Seligpreisungen in der Bergpredigt scheinen eine solche Sichtweise nahezulegen. Diejenigen, die beschimpft, verleugnet und verfolgt werden, sollen sich freuen und jubeln, denn: „Euer Lohn im Himmel wird groß sein” (Mt 5,11f.).

Ist hier gemeint, dass ich mich wissentlich, willentlich und absichtsvoll der Verfolgung aussetzen, mich klein und arm machen soll, um dann bei und durch Jesus groß gemacht zu werden und einen Lohn im Himmel zu erhalten? Das würde bedeuten, absichtlich ein Negativum zu wählen, mit der Absicht, ein Gut zu erhalten. Eine solche Wahl ist aber unter moralischer Rücksicht unzulässig, denn eine Wahl ist nur zwischen Gütern, nicht zwischen Gut und Schlecht moralisch möglich. Das Kreuz ist aber nicht gut, sondern es ist schlecht. Der brutale Tod eines Menschen am Kreuz ist und bleibt nichts Gutes. Erst in der Rückschau wird der Kreuzestod Jesu als erlösendes Heilswerk erkannt. Jesus wählt nicht den Tod,

<emphasize>um</emphasize>

das Leben zu erhalten. Eine solche Funktionalisierung ist nicht zulässig.

Die Freiheit bestimmt das christliche Menschenbild

Das Verständnis christlicher Demut, wie man es in den Texten der Bibel und

<p>, ist letztlich weder mit philosophischen noch psychologischen Kategorien erklärbar. Vielmehr braucht es zum Verständnis christlicher Demut die Erfahrung biblischer Offenbarung. Aus ihr speist sich die jüdisch-christliche Erkenntnis, dass der Mensch ein freies Geschöpf ist, das in seiner Existenz von Gott abhängig ist. Dieser Gott lädt die Menschen ein, zwingt sie jedoch nicht, ihre Abhängigkeit in Dankbarkeit zu akzeptieren und sich Gott in Liebe zurückzugeben, „denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt das ewige Leben hat“ (Joh 3,16f.; vgl. 1 Joh 4,7-12).</p> <p>In diesem Sinne ist Demut identisch mit Liebe und wird, mit der Brille der reinen Vernunft oder des säkularen Denkens, als solche immer paradox, gefährlich und unsinnig erscheinen. In dieser Radikalität der Liebe Gottes, die letztlich den Tod seines Sohnes fordert, den der Jünger Jesu bereit ist mit zu sterben, scheint christliche Demut als Kategorie – auch und gerade im Sinne der Exerzitien – einen Unterschied zu markieren, nämlich zwischen christlicher Liebe und Güte und einer Liebe und Güte, die nicht vom Glauben durchdrungen und erleuchtet ist. Letztlich stammt jede Liebe und Güte von Gott und verweist auf ihn. So schreibt Karl Rahner:</p> <p>„Wenn wir daher in unserer Umgebung Menschen begegnen, vor deren sittlicher Haltung wir die größte Achtung haben können, dann stehen wir </p> <p><emphasize>vielleicht</emphasize>

<p> vor Menschen, die nur nicht wissen, welche Macht die Gnade Christi und die heilige Kraft Gottes in ihrem Wesen schon ausgeübt hat. Vielleicht! Das aber genügt, um vertrauensvoll zu hoffen. Denn wirklich entscheidend mehr wissen wir ja auch von uns selbst nicht und hoffen dennoch zuversichtlich.“</p> <p>Gleichzeitig scheint es im Sinne der christlichen Offenbarung und der ignatianischen Exerzitien, mit Ignatius gesprochen, ein „magis“ (mehr) zu geben, nämlich in der radikalen Liebe, die Gott im Leben und Sterben seines Sohnes offenbart hat.</p> <h2>Demut, durch die Liebe inspiriert</h2> <p>Es geht dabei keineswegs um eine Abwertung von Liebe, die nicht ausdrücklich mit Christus zu tun hat. Aber die im engen Sinne, auch im Sinne der Exerzitien gemeinte Liebe ist gerade auf eine solche Art demütig, dass sie auch vor dem eigenen Tod nicht zurückschreckt, und zwar als ausdrückliches Zeugnis dafür, dass Gott das Leben will – und nicht den Tod. Demut, die Ignatius in den Exerzitien beschreibt, ist viel weniger eine Frage von gewohnheitsmäßigem, konkretem Tun; vielmehr geht es um Sehnsüchte und Vorlieben. Diese Demut ist ein Ideal für die endgültige liebevolle Einheit mit der realen Person Jesus Christus, die unser Leben ganz konkret formt. Es ist die Sehnsucht nach dieser Einheit mit Christus, so wie er konkret gelebt hat. Sie ist Gnade, um die man beten kann – und zwar stets im Kontext freier Entscheidungen; sie ist eine Sehnsucht, von der Ignatius hoffte, dass seine Gefährten zumindest den Wunsch hegten, sie zu erfahren, wenn sie ihre Christusnachfolge angehen.</p> <p>Mit Blick auf den Hintergrund der christlichen Tradition hat Demut stets einen stark gemeinschaftlichen und apostolischen Geschmack, in dem Sinne, „dass ihr nichts aus Ehrgeiz und nichts aus Prahlerei tut. Sondern in Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst“ (Phil 2,3f.). Es geht dabei auch um den radikalen Dienst an den anderen, denn „wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein“ (Mk 10,44). Entscheidend sind die Mitwirkung an der konkreten Welt mit ihren begrenzten und sündigen Menschen, der willentliche Gehorsam gegenüber Lehrern und religiösen Oberen und Führern sowie Mitgefühl und Nächstenliebe für die Mitgeschöpfe. Demut sollte zum praktischen Versuch herausfordern, Klassenschranken, Reichtum und Status zu überwinden. So wird Ignatius‘ tiefe Sorge darum verständlich, dass diejenigen, die ihr Leben als Christen zu formen suchen – besonders junge Männer, die der Gesellschaft Jesu beitreten wollten –, die Gnade kreatürlicher und christusgleicher Demut erfahren sollten. Demut befreit den Menschen vom lähmenden Stolz, der ihn gefangen hält in seiner eigenen Weltsicht, in Trieben, Emotionen und Plänen. Dadurch erlaubt sie dem Menschen, mit Christus zu gehen und zu handeln, und sich – gemeinsam mit anderen – nach ihm und nach Gott auszustrecken.</p> <h2>Demütig aus Freiheit</h2> <p>Die christliche Tradition sieht die Wurzeln von Demut in einer realistischen Selbsteinschätzung. Eine ehrliche Wertschätzung der eigenen Fähigkeiten, ein ausgewogener Sinn des eigenen Wertes vor Gott und in der menschlichen Gemeinschaft sind weder das Gegenteil eines gesunden Selbstbewusstseins. Selbst mit der Brille der klassischen Philosophie besteht wahre menschliche Größe überhaupt nicht in Selbstverliebtheit oder Prahlerei, sondern in der instinktiven und unbefangenen Fähigkeit, auf schlichte, öffentliche und ungekünstelte Weise so zu sein, wie man sich selbst als am besten weiß. Christliche Demut hat daher nichts zu tun mit einem negativen Selbstbild oder der Überzeugung, dass man wertlos sei. Sie besteht vielmehr in der Erkenntnis, Sünder zu sein, sowohl der Möglichkeit als auch der Wirklichkeit nach. Angesichts dieser Realität drückt sich der überlegte Wunsch aus, Gott auf die Weise näher zu kommen, durch die er sich dem Menschen genähert hat: auf dem Weg der selbstentleerenden Liebe.</p> <p>Aus christlicher Sicht ist Demut daher paradoxerweise der Höhepunkt menschlicher Freiheit. Das Verlangen danach ist göttliche Gnade, es kann demnach letztlich nicht mehr vernünftig gerechtfertigt werden, gleichsam ein mystischer Segen, eine persönliche Teilhabe an der „Liebe Christi […], die alle Erkenntnis übersteigt“ (Eph 3,19), und die am Kreuz offenbar wurde. Sie ist wie die Vorbereitung des Verlangens für eine konkrete Lebensentscheidung, die den Jünger Jesu selbst zum Ostergeheimnis führen soll; die Verwirklichung des Reiches Gottes im gekreuzigten und auferstandenen Christus. Sie führt schlussendlich zur Erlangung der gegenseitigen Gaben der Liebe, die der Exerzitant während des ganzen Prozesses der Übungen auf seinem Weg erspürt und ersehnt hat: „Nehmt, Herr und empfangt meine </p> <p><emphasize>ganze</emphasize>

<p> Freiheit, mein Gedächtnis, meinen Verstand und meinen </p> <p><emphasize>ganzen</emphasize>

<p> Willen, </p> <p><emphasize>all</emphasize>

<p> mein Haben und mein Besitzen. Ihr habt es mir gegeben; euch, Herr, gebe ich es zurück. </p> <p><emphasize>Alles</emphasize>

<p> ist euer, verfügt nach eurem ganzen Willen. Gebt mir eure Liebe und Gnade, denn diese genügt mir“ (Exerzitienbuch 234).</p> <p><emphasize>Matthias Alexander Schmidt</emphasize>



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