Der Besuch der Bundeskanzlerin in Indien erfordert auch einen Blick auf die Christen in diesem Land. Michaela Koller ist von einer Reis ein das Land zurück. Ihre Beobachtungen: Der Einfluss ultranationalistischer paramilitärischer Kräfte auf die indische Regierung zeigt sich immer deutlicher. Gleichzeitig gerät eine schrumpfende christliche Minderheit zunehmend in Bedrängnis. Seit vorigen Mai regiert wieder die Bharatiya Janata Partei, die Indische Volkspartei, mit dem asketischen Narendra Modi als Premierminister. Bereits zwischen 1998 und 2004 bildeten die Hindunationalisten die Regierung in Indien.
Verbindung von Nationalismus und Hindureligion
Die Gruppe, die großen Einfluss auf die Hindupartei hat, verbindet den Hinduismus mit der indischen Identität. In ihren Augen kann nur der Inder sein, der Hindu ist. Von der Verbindung der Regierung zu den Ultras wurde bislang ausgegangen. Jetzt berichtet die Agentur AsiaNews sogar von einem Treffen Anfang September zwischen Mitgliedern der Regierungspartei, darunter früheren und amtierenden Regierungsvertretern, und Repräsentanten aus dem Umfeld der Gruppe Rashtriya Swyamsevak (RSS), eigene Mitglieder sowie Delegaten mit ihr verbundener Organisationen. Premierminister Modi wurde selbst zu einem Auftritt erwartet.
Für Lenin Raghuvanshi, Direktor des Volksüberwachungskomitees für Menschenrechte, sieht es nach dem Versuch aus, die extreme Ideologie, die RSS vertritt, in der Regierungsagenda umzusetzen. Tagungsordnungspunkte waren unter anderem Fragen der inneren und äußeren Sicherheit, Wirtschaftswachstum sowie die demographische Entwicklung. Raghuvanshi setzt sich speziell für die Rechte der Dalits ein, die im faktisch noch existierenden Kastensystem als „Unberührbare“ gelten. Um dem Schichtenzwang auszuweichen, neigen viele zur Konversion zum Christentum. Das soziale Engagement von Christen, die obendrein für die Gleichwertigkeit aller Menschen eintreten, läuft den wirtschaftlichen Interessen derer entgegen, die vom alten Kastenwesen profitieren und ohne dieses Privilegien einbüßen würden. Angriffe auf Christen sind als Reaktion zu sehen, der der Vorwurf des Proselytismus vorausgeht.
Das Kastensystem soll gegen die Christen verteidigt werden
Radikale Hindunationalisten verbreiteten durch eigene Medien Gerüchte um die Christen und heizten vor einigen Jahren bereits die Stimmung so auf, dass es, zum Beispiel im ostindischen Bundesstaat Orissa im Jahr 2008 zu flächendeckenden Ausschreitungen kam: Zeitweise waren mehrere Zehntausend Menschen auf der Flucht vor dem aufgeheiztem Mob. Ein weiteres Problem sind die Anti-Konversionsgesetze, die in mehreren Bundesstaaten schon geltendes Recht sind – ein klarer Verstoß gegen Artikel 18 des Paktes über bürgerliche und politische Rechte sowie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, Dokumente, die auch von Indien ratifiziert wurden – sowie gegen die säkulare Verfassung.
Konversionen zum Hinduismus, Rückgang der Christen
Kurz nach der Vereidigung Premierministers Modis im vorigen Jahr haben Hindugruppen wie RSS und die Vishwa Hindu Parishad (VHP) begonnen, Ghar Wapsi Zeremonien zu organisieren. Das sind Massenkonversionen, die Aussagen von Konvertiten zufolge aus ärmeren Schichten kommen und wirtschaftliche Anreize für den Übertritt zum Hinduismus erhalten. Hindunationalisten schüren die Angst vor christlicher oder muslimischer Majorisierung unter den weniger Gebildeten. Tatsächlich sinkt jedenfalls der Anteil der Christen im Land, leicht, aber stetig: Von 2,6 Prozent im Jahr 1971, über 2,44 Prozent 1981 und 2,34 Prozent zehn Jahre später auf 2,3 Prozent im Jahr 2001.
Die Autorin arbeitet als Referentin für Religionsfreiheit für die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in Frankfurt/Main.
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