Seit Wochen und Monaten sind die Arbeitsbedingungen und das tägliche Sterben von ausländischen Arbeitern im Hinblick auf die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar zu Recht von den Medien kritisch thematisiert worden. Aus diesem Grunde haben mehrere internationale Gewerkschaftsverbände, Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und das Europäische Parlament in Straßburg sowie auch der Deutsche Fußball Bund (DFB) in Nürnberg jüngst ihre Forderung für bessere Arbeitsrechte im WM-Gastgeberland Katar gegenüber dem Ausrichter, die FIFA mit Sitz in Zürich, klar und deutlich zum Ausdruck gebracht. Was geschieht wirklich an den Großbaustellen in Doha, Dubai und an vielen anderen Orten auf der Arabischen Halbinsel?
Der Bauboom in der Golfregion
Viele Touristen aus Europa, die die Vereinigten Arabischen Emirate (= VAE) oder Doha besuchen und dabei die größten Bauplätze der Welt sehen, kommen oft aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Petrodollars scheinen einfach alles zu ermöglichen – so entstanden schon das höchste Gebäude der Welt, der Burj Khalifa mit 828 Metern in Dubai, der künstliche „The Palm“ am Strand von Dubai, die automatisch gesteuerte Hoch-Metro-Bahn in Dubai oder die großen klimatisierten Moscheen in Abu Dhabi respektive Einkaufszentren/Shoppings-Malls mit allem erdenklichen Schnickschnack wie beispielsweise ein riesiges Aquarium in der „Dubai Mall“ oder im „Atlantis Hotel“ u.v.a.m. Demnach dürfen sich die Architekten regelrecht austoben und alles nur Erdenkliche in die Tat umsetzen, um sich so durch ihre Monumente zu „verewigen“. Eine schöne, heile Glitzerwelt auf den ersten Blick wie aus den Märchen von „1001 Nacht“. Es fragt sich jedoch, wie all dies finanziert wird und wer es errichtet?
Der Ist-Zustand der Gastarbeiter in der Golfregion
Diese riesigen Bauprojekte verschlingen Unsummen an Geld und binden im hohen Maße „man power“, die aufgrund der klimatischen Verhältnisse in den Sommermonaten – es ist dann nicht ungewöhnlich, über 40 Grad Celsius im Schatten zu messen – überwiegend nach dem Untergang der Sonne zum Einsatz kommt. Die Hitze ist daher der Grund, dass die Fußball-Weltmeisterschaft statt in den Sommermonaten voraussichtlich in den Zeitraum November–Dezember 2022 verlegt werden soll. Um die Bauten hochziehen zu können, arbeiten derzeit Muslime, Hinduisten, Buddhisten und schätzungsweise mehr als eine Million Katholiken überwiegend aus den Philippinen, Indien, Sri Lanka neben den aus den afrikanischen, amerikanischen und europäischen Ländern für Bauunternehmen und Sozialdienstleistungsunternehmen (z. B. Medizin, Schulwesen, Bankwesen etc.) in den Vereinigen Arabischen Emiraten. In Saudi-Arabien sollen es demnach um die 1,5 Millionen Katholiken sein. Hierfür stehen den meist aus Europa, Amerika oder Australien stammenden Ingenieuren „einfache“ Bauarbeiter aus Indien, Pakistan, Sri Lanka, Bangladesch zur Verfügung, die ihren geringen Lohn mit „Western Union“ an ihre Lieben in der Heimat zu deren Unterstützung schicken. Diese einfachen und fleißigen Menschen, die häufig Analphabeten sind, verbringen ihre meiste Zeit während der Bauphase in riesigen „Labour-Camps“. Dies sind Wohnsiedlungen von Abertausenden von Arbeitern. Die größten Labour-Camps zählen bis zu 40 000 Personen. Manche dieser Siedlungen bieten den Arbeitern Freizeitangebote wie Kino, Theater oder Sportanlagen an, andere hingegen erinnern an die „Batterie-Haltung von Tieren und spotten jeder Menschenwürde“, so Bischof Paul Hinder OFM Cap. „In Arabien müssten wir Christen die Weihnachtsgeschichte anstatt in den Stall wohl am ehesten in eines dieser ‚Labour-Camps‘ verlegen“. Diese Zustände berühren den aus der Schweiz stammenden Bischof des Apostolischen Vikariats Süd-Arabien sehr, so dass er diese sehr ernste Frage der Christgläubigen in den Arbeitersiedlungen in seinen Pastoralbriefen zur Fastenzeit bereits in den Jahren 2008 und 2009 und bei Möglichkeit auch in der Begegnung mit den Regierenden persönlich angesprochen hat . „Außenstehende können sich kaum eine Vorstellung davon machen, mit welchen menschlichen und spirituellen Problemen die Arbeiter zu kämpfen haben, die fern von ihren Familien leben müssen“, sagt er. Die Folgen für alle Beteiligten bedenkt er eigens und sehr sensibel im Pastoralbrief von 2008 (Nr. 15). Er gibt auch zu bedenken, dass „es obligatorisch in allen Lagern wenigstens eine Moschee geben muss, indes niemand an die Angehörigen anderer Religionen (Christen, Hindus, Buddhisten usw.) denkt, obwohl sie an einzelnen Orten zusammengenommen sogar die Mehrheit der Bewohner bilden.“ Ähnlich verhält es sich auch mit den sog. „housemaids“ aus Äthiopien, Indonesien, von den Philippinen usw., die in Privathaushalten der sog. „locals“ (Einheimische) für einen Hungerlohn Tag und Nacht den Hausherren respektive Hausherrinnen zur Verfügung stehen müssen. Dass diese von jenen geschlagen oder gar vergewaltigt werden, erzählen Ärzte. Ferner ist es nicht selten, dass ihnen der Lohn entweder verspätet oder gar nicht ausgezahlt wird. Die Frage ist berechtigt, ob all dies im Geiste des Korans und im Sinne unseres gemeinsamen Schöpfergottes vereinbar ist.
Die Rolle der FIFA
Nach Auskunft der FIFA werden bereits seit November 2011 Gespräche mit den verschiedenen Gewerkschaften sowie Human Rights Watch geführt, und es sei jede Initiative zu begrüßen, die zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Gastarbeitern beitrüge. So berichtet dpa am 10. November, dass der 77-jährige Schweizer FIFA-Präsident Joseph Blatter bei seiner Dienstreise dem Emir Hamad Al Thani zusicherte, dass es trotz der weltweit heftig kritisierten und inzwischen angeblich verbesserten Arbeitsbedingungen auf den WM-Baustellen nicht an eine Verlegung in andere Länder der Region gedacht werde: „Es gibt keinen Zweifel, dass Katar die WM organisieren wird und auch alle Spiele in Katar ausgetragen werden.“ Ist diese Garantiezusage gleichsam ein Persilschein für die Verantwortlichen in Katar am Persischen Golf im Sinne von „weiter so“?
Fazit – Die Grundregel der wechselseitigen Achtung des anderen gilt genauso im Islam
Ich frage mich schon, sind die Araber in der Golfregion durch die einstigen europäischen Besatzer, die Christen waren, bzw. durch ihre Zusammenarbeit mit chinesischen, amerikanischen oder europäischen Firmen, die schamlos die „Gastarbeiter auf Zeit“ im Rahmen der sog. Sponsorengesetze anstellen und ausnutzen („hire and fire“), durch deren schlechtes Vorbild im Umgang mit den Untergebenen ethisch abgestumpft? Darüber hinaus frage ich mich auch: Ist es mit dem Islam überhaupt vereinbar, Menschen wie Sklaven in missachtender Art und Weise zu behandeln? Im Rahmen der berechtigten Diskussion um die Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter in der Golfregion ist grundsätzlich zu sagen, dass für jedes Handeln respektive Unterlassen jeder Mensch Verantwortung trägt, sei es im Sinne des ethischen Ansatzes von Immanuel Kants Kategorischem Imperativ: „Handle nur nach der Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“ oder aus dem moraltheologischen Geist der Goldenen Regel heraus: „Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch für sie“ (Matthäus 7,12/Lukas 6,31). Denselben Gedanken hat auch der Prophet Mohammed (570 – 632 n. Chr.) vertreten: „Keiner von euch ist ein Gläubiger, solange er nicht seinem Bruder wünscht, was er sich selber wünscht“. So bleibt nur zu hoffen, dass sich die Arbeitsbedingungen für die „housemaids“ und die Arbeiter in den „Labour-Camps“ prinzipiell zum Positiven verbessern, damit die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 ein gelungener Anlass wird, dass sich Menschen aus der ganzen Welt einmütig begegnen und so mentale Barrieren wegen unterschiedlicher Rasse, Religion, Kultur etc. abgebaut werden können. Denn der Gott Allah, den die Juden Jahwe und die Christen „Gott Vater“ nennen, ist stets ein und derselbe Schöpfergott für die ganze Menschheit.
Dr. Manfred Diefenbach
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