(explizit.net) Nicht nur das Internet wird mobil, auch unsere Fortbewegungsformen bekommen eine neue Dynamik. Begriffe wie Smart Mobility und CarSharing verändern den Alltag vieler urbaner Bewohner. Anfangs zum Ärger der Fahrzeughersteller, denn diese sahen unruhig einer Entwicklung entgegen: Für viele Haushalte war der Erwerb eines Fahrzeugs nicht mehr die treibende Kraft und führte dazu, dass sie gänzlich auf eine Neuanschaffung verzichten konnten oder wollten. Vor allem bei einkommensstärkeren jungen Menschen unter 30 ist das Auto nicht mehr das dominierende Statussymbol. Wer im Jahr weniger als 6000 Kilometer fährt, kommt beim Carsharing definitiv günstiger weg als mit einem eigenen PKW. Und diese Kilometerzahl unterschreiten immer mehr Fahrer. Der Grund liegt in der zunehmenden Urbanisierung und der damit einhergehenden Verkleinerung und Verdichtung der Räume. Die Stadt bietet Beruf, Freizeit und Kultur auf kleinstem Raum, daher war es abzusehen, dass sich Ökologie und Wirtschaftlichkeit in einem neuen Trend vereinen.
Die Orden als Trendsetter
Was in Berlin mit „StattAuto“ begann, griff schnell auf andere große deutsche Städte über. Das stationsbezogene Carsharing, bei dem die Kunden ein Auto buchen, an einem Standort abholen und dieses dort wieder abgeben müssen, hatte nun einen Gegenentwurf mit dem One-Way-Carsharing oder FreeFloating, also Mieten und am Zielort einfach stehen lassen. Die markant gefärbten weiß-blauen SMART s von Car2Go tauchten im Verkehrsfluss immer häufiger auf. Andere Hersteller wie VW, Citroën und BMW zogen mit ähnlichen Konzepten nach.
Neu ist die Idee dahinter nicht, denn viele Orden, u.a. die Jesuiten, nutzen das stationsbezogene Carsharing seit Jahrzehnten. Generell waren die Ordensgemeinschaften Vorreiter in dem, was sich heute unter dem „Trend des Teilens“ oder „share-economy“ verbirgt. Der Gedanke, der hier im Bereich der Fortbewegung dahintersteckt, ist einfach: Die meisten Personenwagen stehen mehr herum als sie fahren, während Amortisationskosten permanent laufen. Daraus resultierend kauft man keinen Wagen mehr für sich, sondern nutzt Dienste bestehender CarSharing Anbieter wie DriveNow , Car2go oder e-Flinkster. Hinzugekommen ist eine positiv zu wertende ökologische Sensibilität bei den urbanen Milieus. Sie gehören nicht mehr der Sorte „öko und pleite“ an, sondern zählen zu einer bewusst ökologisch-pragmatisch handelnden Zielgruppe. Sie besitzt außerdem eine überdurchschnittliche Bildung und ein hohes Haushaltseinkommen und betreibt Carsharing weil es hipp ist, Zeit und Kosten spart und sie vor allem das „urbane Establishment“ definiert. Nur noch bei den Einkommensschwächeren ist das Auto als Statussymbol wichtig: Es drückt aus, dass man noch "dazugehört‘“. Doch auch dort folgt ein Trendwechsel, andere Statussymbole, wie Handy oder Tablet rücken in den Vordergrund.
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Vorteile für den Kunden
Das One-Way-Carsharing hat weitere gute Gründe, z.B. freies Parken. Sollte die Parkplatzsuche länger als 10 min dauern, zahlt der Kunde nichts. Er sucht sich ein Fahrzeug in seiner Nähe per App oder am PC, mietet sich dieses für eine bestimmte Zeit und stellt es dann am Zielort ab. Berechnet wird bei den meisten Anbietern nur die Zeit der Nutzung. Die Fahrzeuge stehen verstreut im Stadtgebiet und können, wie bei den Fahrraddiensten, überall abgestellt werden, außerdem sind Benzin und Parkgebühren inklusive. Viele der Anbieter haben Verträge mit den Städten ausgehandelt, die eine flächendeckend kostenlose Parkmöglichkeit zusichern. Wer einen Ballungsraum als Wohngebiet kennt, weiß um den nicht zu unterschätzenden Faktor „Parkplatz“. Selbst Pendler aus den urbanen Vororten waren froh, als die Möglichkeit geschaffen worden ist, nicht mehr mit dem PKW in die Stadt hinein zu müssen, da Park+Ride Stationen an wichtigen Bahnhaltestelleneingerichtet wurden. Ein weiterer Vorteil für das Carsharing: Jedes neue Carsharing-Auto ersetzt zehn private. Netto wird die Fläche also um neun Stellplätze entlastet.
Die Bahn springt auf den Zug
Auch die deutsche Bahn, die mit Straßenmobilität für gewöhnlich wenige Berührungspunkte hatte, erkannte frühzeitig das große Potential und den daraus resultierenden Markt. Experten für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel errechneten die größte Nutzungsdichte im Carsharing an Knotenpunkten des öffentlichen Nahverkehrs. Ihr Fazit: Je besser das ÖPNV-Netz, desto mehr Menschen sind geneigt, sich mit dieser alternativen Art der Mobilität anzufreunden, denn günstiger als das Taxi ist sie alle Mal. Die Bahn hat mit ihrem Dienst e-Flickster die Lücke in der „Letzen Meile“ geschlossen, die den Bahnkunden vom Bahnhof bis in seine Wohnung oder den Arbeitsplatz mit ihren Angebot nicht erreicht. Kunden der Bahncard profitieren hier in doppelter Weise. Sie zahlen keine Anmeldegebühr und genießen einen Preisvorteil beim Jahres-Pauschal-Tarif.
Mc. Donalds und die Autohersteller
Zwar ist das CarSharing aus der Initiative großer Autohersteller entstanden, diese haben aber nicht mit den daraus resultieren Effekten gerechnet: Der Autoerwerb in den Städten sank signifikant nach unten, die normalen Zulassungszahlen stagnieren. Die moderne Gesellschaft nutzt das Auto zunehmend pragmatisch nach Bedarf, so wächst die Zahl der Carsharing-Nutzer um 15 bis 20 Prozent jährlich. Damit geraten die Autohersteller in eine schwierige Situation, denn einerseits sind ihre Wagen zu teuer, andererseits bietet sich CarSharing als Markenbindungskonzept an. Natürlich haben die Marketingabteilungen das erkannt: Wer in der Jugend mit Mini oder BWM im Carsharing Modell fährt, wird sich später eher für eine dieser Marken entscheiden. Diese „Taktik“ ist allen wohlbekannt, denn früh hat Mc. Donalds diese Kundenbindungsmaßname verstanden und setzt schon bei den Jüngsten mit der Markensozialisation an: Ronald Mc Donalds kennen inzwischen über 91% der Kinder und verbinden somit ein positives Image mit der amerikanischen Fastfood Kette. Jugend-Studien konnten zeigen, dass die Basis für die Markenbeziehungen junger Erwachsener bereits in der Phase der Kindheit und Jugend gelegt wird, je früher desto besser. Somit ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Rechnung der am Carsharing teilnehmenden Autohersteller noch aufgeht. Auch wenn das bisherige Model, gerade bei BMW und Mini, noch keine großen Gewinne abwirft, es scheint eine Investition in die Zukunft zu sein, denn die Autoindustrie sieht vermehrt Potential im Flottenwachstum der CarSharing -Anbieter.
Unterschiede zwischen den Generationen
Interessant ist der Blick auf die Kunden: Abgestellte Autos vermitteln ihren Eigentümern das Gefühl des Besitzes und der Freiheit jederzeit losfahren zu können, gleich wann und wohin. Diese egozentrierte Sichtweise war lange vorherrschend und lukrativ für die Autoindustrie, doch nun ändern sich die Kunden und Carsharing differenziert die Generationen: Während die Facebook-Generation das Teilen verinnerlicht hat, assoziieren Ältere das Teilen lediglich mit Begriffen wie Wohltätigkeit und Bedürftigkeit. Sie kennen es nicht anders: Die Baby-Boomer-Generation war erheblich von der Individualisierung geprägt, aufgewachsen mit Zielen wie Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung. "Mein Haus, mein Zweitwagen, mein Boot" waren Statussymbole, die Freiheit und Erfolg verkörperten. Die Sichtweise war klar: Wer teilt, so schien es, hat nicht das Geld, sich Besseres zu leisten. Doch die Gesellschaft ist heute differenzierter. Den postmateriellen Werten hängen heute ca. 25% der jungen Generation an, deren Lebensmittelpunkt nicht mehr im Besitz und Konsum sind, sondern Ökologie und soziale Beziehungen. So die Statistik. Doch hier ist Vorsicht in der Beurteilung geboten: Was sich hinter wohlklingenden Woodstock Prinzipien der Share Economy verbirgt, ist natürlich in erster Linie reiner Pragmatismus: CarSharing spart einfach Geld. Und es wird zunehmend vom Trend zum Geschäftsmodell der Zukunft.
Perspektive für Großstadtregionen
In der Schweiz ist die Zahl der Carsharing-Nutzer je 1.000 Einwohner sieben Mal so hoch wie in Deutschland. Aber auch hier in Deutschland wächst die Zahl der Anbieter und Konsumenten, die CarSharing in den letzten Jahren einen großen Boom beschert haben. Große Luxusmarken werden sicherlich nachziehen und sich ebenfalls auf dem Markt positionieren. Doch CarSharing ist mehr: Es ist eine ecological solution für die völlig überlasteten Zentren asiatischer Großstädte, deren Stadtplaner hier einen Ausweg sehen, die expandierende Mobilität der Bürger in den Griff zu bekommen. Dort müssten die Stadtkonzepte nachhaltiger geplant werden und CarSharing in die Verkehrsplanung gemeinsam mit dem Klimaschutz einbezogen werden. Wenn sich in Deutschland die Rahmenbedingungen verbessern, kann CarSharing sich sowohl für den Kunden, die Autoindustrie wie auch für die Umwelt auszahlen.
Thomas Porwol
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