Wahlplakat zum 26.6.16

Bürgermeisterin in Rom: frisch und unverbraucht

Katholische Kirche in Italien begrüßt Wahl von Virginia Raggi zur Bürgermeisterin von Rom trotz Vorbehalte gegen ihre Partei: Der Sieg von Virginia Raggi in der Stichwahl war so durchschlagend wie voraussehbar. Der Gegenkandidat Roberto Giachetti vom linksliberalen Partito democratico (Pd) unterlag mit weniger als die Hälfte ihrer Stimmen. Rom hat erstmals in der Geschichte einen weiblichen Bürgermeister. Man überlegt, ob es nicht Zeit sei, den Patriarchismus der italienischen Sprache zu überwinden und die neue Stadtregentin mit „sindaca“ anstatt mit „sindaco“ anzureden.

Katholische Kirche in Italien begrüßt Wahl von Virginia Raggi zur Bürgermeisterin von Rom trotz Vorbehalte gegen ihre Partei: Der Sieg von Virginia Raggi in der Stichwahl war so durchschlagend wie voraussehbar. Der Gegenkandidat Roberto Giachetti vom linksliberalen Partito democratico (Pd) unterlag mit weniger als die Hälfte ihrer Stimmen. Rom hat erstmals in der Geschichte einen weiblichen Bürgermeister. Man überlegt, ob es nicht Zeit sei, den Patriarchismus der italienischen Sprache zu überwinden und die neue Stadtregentin mit „sindaca“ anstatt mit „sindaco“ anzureden.

Im Rathaus der Hauptstadt wird nicht nur der Sieg einer Frau gefeiert, es ist vor allem der Sieg einer Partei, die keine sein will und die sich bislang gescheut hat, mit einem klaren Profil aufzutreten: die Fünf-Sterne-Bewegung, Movimento Cinque Stelle (M5S). Die von dem Kabarettisten Beppe Grillo gegründete Protestbewegung verabscheut sowohl die etablierten linken wie rechten Parteien, denen sie ausnahmslos die Schuld an den Problemen des Landes gibt. Zu den anfangs proklamierten links-ökologischen Slogans wie „kostenloses Wasser, Internet, Gesundheitsversorgung und Fahrradwege“ gesellten sich schnell ausländerfeindliche und antieuropäische Bekundungen, die die Bewegung in die Sparte eines nicht ungefährlichen postideologischen Populismus rücken. Tatsächlich ist sie Sammelbecken von unterschiedlichsten Ideologien, die von links bis rechtsaußen reichen. Die Wut gegen die „Kaste“ zieht eben auch Extreme an, die nicht mehr verbindet, als die Abscheu gegen das elitäre Establishment.

Frage der Abhängigkeit von Marionettenspieler Beppe Grillo

Die „grillini“ selbst bezeichnen sich als demokratische Bürgerbewegung, die sich nur dem Internet und dem „ungefilterten“ Blog Grillos anvertraut, nicht aber den traditionellen Medien. Dabei ist die Partei geradezu sektenartig auf den Gründer ausgerichtet, der über „Leben und Tod“ seiner Mitglieder entscheidet. Auch Raggi wird wie ihre Amtskollegen wichtige politische und administrative Entscheidungen Grillo und seiner Staff unterbreiten müssen. Ein Vertrag sieht vor, dass bei Verstößen gegen die „Ideale des M5S“ eine Buße von 150.000 Euro oder ein Ausschlussverfahren fällig werden, so wie jüngst bei dem geschassten Bürgermeister von Parma, Federico Pizzarotti.

Rom und Turin, wo eine weitere Kandidatin des M5S die Kommunalwahlen gewann, werden unweigerlich zu Testlabors, wo sich die Bewegung der Realpolitik mit konstruktiven Vorschlägen stellen muss und nicht mehr einfach nur „dagegen sein“ kann. Der überwältigende Sieg von Virginia Raggi, sie vereinigte Zweidrittel der Stimmen, darf trotz ihrer Unerfahrenheit und Jugend nicht verwundern. Keine Stadt ist so heruntergewirtschaftet, verschuldet, schmutzig und chaotisch wie Rom, wo die Straßen seit Jahren nicht mehr gewartet werden, die Mülltonnen überquellen und die Verkehrsmittel veraltet und unzuverlässig sind.

Raggi, zwar erst seit 2013 im Stadtparlament, verkörpert genau das Gegenteil des etablierten Berufspolitikers, denen die Römer offenbar überdrüssig sind. Die erfolgreiche Anwältin für Patent- und Markenrecht und Mutter eines fünfjährigen Sohnes, eine zierliche, aparte Frau ohne Schminke, verkörpert die nötige Frische und Unverbrauchtheit, die man mit einem Neuanfang Roms in Verbindung bringt. Nicht unwesentlich ist sicherlich die rhetorische Begabung der tele- und photogenen Frau. Sie schlug sich mit großer Sicherheit in den wenigen Debatten und Interviews, ohne je ausfällig oder laut zu werden, auch dann nicht, wenn sie heftig die Missstände benannte oder vom Gegenkandidaten Giachetti persönlich angegriffen wurde. Zweifellos handelt es sich um ein Jungtalent auf der politischen Bühne. Ob jedoch Raggi Rom wirklich erneuern, die verkrusteten Verwaltungsstrukturen aufbrechen und der Geschaftlhuber-Mentalität das Handwerk legen kann, – an dem Versuch ist schon ihr Vorgänger Ignazio Marino kläglich gescheitert – wird sich zeigen. Der enorme Schuldenberg von 13 Milliarden Euro begünstigt nicht den Handlungsspielraum und die Umsetzung von Wahlprogrammen. Als erstes wolle Raggi das Verkehrs- und Transportproblem in den Griff kriegen. Das fordert Investitionen.

Auch die katholischen Kirche hofft auf Neuanfang

Aufschlussreich ist die durchweg positive Reaktion der katholischen Kirche auf den Urnensieg der Grillo-Kandidatin. Dabei hat die katholische Landespresse die Fünfsternebewegung stets kritisch bis ablehnend betrachtet.

L’Avvenire hat die Wahlkampagne aufmerksam verfolgt. In mehreren Artikeln offenbart die von der italienischen Bischofsversammlung getragene Tageszeitung Interesse und Wohlgefallen an der jungen Hoffnungsträgerin. In einem ausführlichen Interview wurde zu Beginn der Kampagne ihre Meinung zu Themen, die der Kirche besonders am Herz liegen, ausgelotet: Familien- und Sozialpolitik, eingetragenen Partnerschaften, Stepchild-Adoption und Integrationspolitik. Dabei verübte Raggi, die sich als gläubige Katholikin bezeichnet, einen geschickten Seiltanz ohne das Gleichgewicht zu verlieren, sich weder zu sehr zur einen oder anderen Seite zu verbiegen. Es ist offensichtlich, dass sie es sich nicht mit dem Vatikan verderben will. Rom ist die Stadt des Papstes und Weltkatholizismus. Das Verhältnis des Bürgermeisters zu der Kirchenhierarchie ist nicht unerheblich für das Gelingen seiner Arbeit.

Raggi jongliert zwischen zwei Stühlen

Nur in einem Punkt ist Raggis Antwort deutlich und konkret. Sie sei strikt gegen die Leihmütterschaft. In allen anderen Themen bleibt sie vage. Die Adoptionsfrage müsste einer „tieferen Debatte in Präsenz von Fachleuten unterzogen werden, ebenso die Frage der Sterbehilfe“; wer in einer stabilen Partnerschaft lebt, hätte das Anrecht auf „bestimmte, Eheleuten bisher vorbehaltenen juristischen Vorteilen“. Die Familie benötige keine Wahlspots, sondern ein „tägliches Umsorgen vonseiten des Staates“. Als Mutter sähe sie, dass Kinderkrippen und Spielplätze in der Stadt fehlen. In der Flüchtlings- und Integrationspolitik würde sie EU-Richtlinien folgen und Ghettoisierung überwinden. Kostenloser Sprachunterricht solle obligatorisch für Migranten werden. Der Movimento hat sich allerdings vor kurzem noch einmal gegen das ius soli ausgesprochen, die Verleihung der Staatsbürgerschaft an in Italien geborene Kinder von Ausländern. Und Grillo will Ausländer von dem geforderten Mindesteinkommen ausschließen, obwohl die Migranten mit knapp 9 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beitragen. Für die Wochenzeitschrift Famiglia Cristiana ist daher entscheidend, wie sich die vertragliche Bindung der charismatischen Politikerin gegenüber der Führungszentrale des Movimento entwickeln und auf ihre Entscheidungen auswirken wird. Der Politikalltag wird Raggi zu klarerer Stellungnahme zwingen. Eventuell auch zur Loslösung von ihrer Partei.

Obwohl Raggi also keine Bannträgerin christlich-katholischer Werte ist, scheint ihr unprätentiöses, ernstes Auftreten selbst den vatikanischen Staatssekretär Pietro Parolin einzunehmen. Auf die Frage eines Journalisten, was er von der Grillo-Kandidatin halte, antwortete er zu Beginn des Wahlkampfes: „Ich wünsche Virginia Raggi jeglichen Erfolg und dass sie das wird, was sie werden will." Die Glückwünsche wurden allgemein als endorsement des Vatikans aufgefasst.

Klare Absage an Renzis Partei

Der L’ Osservatore Romano, als offizielles Sprachrohr des Apostolischen Stuhls von Natur aus zurückhaltend in politischen Kommentaren, deutet das Wahlergebnis vor allem als eine Schlappe für Matteo Renzi, dessen Partito Democratico aus zwei wichtigen Hochburgen verjagt wurde. Sein doppeltes Amt als Premierminister und Parteivorsitzender und vor allem sein autoritärer, arroganter Führungsstil hat zu einer Spaltung in der Partei geführt. Laut der Vatikanzeitung müsste sich Renzi nun endlich seinen Kritikern in einem offenen Dialog stellen. Renzi möchte im Oktober seine umstrittene Verfassungsreform per Referendum durchboxen. Die droht nun zu scheitern.

Der feine Stich gegen den Premier mag tiefere Gründe haben. Nicht verziehen hat ihm die katholische Kirche die kürzlich gesetzlich eingeführte Gleichstellung der Homo-Ehen. Als Kardinal Angelo Bagnasco eine geheime und nicht offene Abstimmung über das neue Gesetz im Parlament verlangte, verwies ihn Renzi harsch in seine Schranken: „Ich bin Katholik, habe aber auf die Verfassung geschworen und nicht auf das Evangelium“. Hier sei darauf hingewiesen, dass eine strikte Trennung von Staat und Kirche in Italien nie streng eingehalten wurde. Neuerdings belieben einige Politiker, Renzi eingeschlossen, ihre Nähe zum Papst und der Kirche in bestimmten Situationen zu demonstrieren, wenn sie wissen, dass sie damit den Konsens der Wähler finden. Die Kirche wehrt sich gegen diese einseitige Instrumentalisierung.

Darüber hinaus ist es kein Geheimnis, dass der Vatikan über die mangelnde Kooperation und miesen Dienstleistungen der kommissarisch verwalteten Stadt während des Heiligen Jahres verärgert ist. Möglicherweise steckt in Wirklichkeit hinter der Begrüßung eines Tapetenwechsels in der Machtzentrale Rom der Unmut gegenüber der Politik der Renzi-Partei, die die Hauptverantwortung für die Zustände in der Hauptstadt trägt. Ein Austausch der alteingesessenen, selbstgefälligen Belegschaft scheint unter allen Bedingungen recht, selbst wenn die Zukunft Roms mit einer Politikanfängerin aus einer Protestbewegung mehr als in den Sternen steht.



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