Die Logik des Krieges, Kreml, Foto: explizit.net E.B.

Aus Krieg entsteht kein Frieden

Der Krieg dauert zu lange. Wir haben keinen Impfstoff entwickelt, der die Russen gegen die Staatspropaganda der herrschenden Partei immunisiert. Sie wollen immer noch, dass ihre Armee siegreich zurückkehrt. Es ist zynisch von Deutschen, unter diesen Bedingungen von der Ukraine einen sofortigen Waffenstillstand zu verlangen. Ein Kommentar aus christlichem Realismus.

Der Krieg im Osten der Ukraine folgt seiner Logik. Er begann ja schon mit der Besetzung des Donbass durch russische Truppen 2014. Solange keine der beiden Armeen die andere besiegt hat, frisst sich die Zerstörung immer tiefer in das Land. Keine Waffen zu liefern, wie es die Friedensbewegung fordert, hat übrigens den Ukrainekrieg nicht verhindert. Weil die Ukraine ihre Atomwaffen abgegeben und sich faktisch entwaffnet hatte, konnte Russland bereits die Krim und Gebiete im Osten des Landes annektieren. Wenn die Mehrheit der Staaten den Ukrainern das Recht zugesteht, ihr Territorium zu verteidigen, müssen sie auch die Waffen dafür liefern. Sie haben keine andere Wahl, denn selbst China kann Russland nicht zu einem Rückzug aus der Ukraine zwingen. Allerdings beenden die Waffenlieferungen den Krieg nicht, sondern verlängern ihn sogar. Wie kann diese Logik des Krieges durchbrochen werden? Sicher nicht durch Appelle aus Deutschland.

Deutsche schicken die Ukrainer in eine Diktatur

Der Ukraine kann niemand verwehren, nicht nur ihr Land, sondern auch die Demokratie, die Freiheit ihrer Kultur, der Medien und ihrer Sprache zu verteidigen. Würde Russland das Land unter seine Kontrolle bringen, würde das ein Leben in einer Diktatur bedeuten. Dass Deutsche, die Intellektuelle sein wollen, den sofortigen Waffenstillstand von der Ukraine fordern, ist eine Verhöhnung und verlängert nur den Krieg. Die solche Forderungen in die Welt setzen, tun so als wäre Deutschland aus sich selbst heraus zu einer Demokratie geworden. Es war aber ganz anders. Erst als Hitler sich das Leben nahm, wurde eine Kapitulation psychologisch möglich. Trotz Militärregierung, die die Entnazifizierung den Deutschen abgenommen und die die Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt hat, blieben genügend Anhänger des Nationalsozialismus in staatlichen Funktionen sowie als Lehrer und Professoren tätig, auch im sowjetisch kontrollierten Teil des Landes. Zudem war der Nationalsozialismus nur 12 Jahre politisch bestimmend, so dass Politiker aus den Regierungen vor 1933 für den Aufbau einer Demokratie zur Verfügung standen. Erkennt man an, dass Deutschland sehr viel günstigere Bedingungen hatte, sich zur Demokratie als der besseren Staatsform zu „bekehren“, wird man für Russland wohl 30 Jahre rechnen müssen, bis es zu einem friedlichen Nachbarn geworden sein könnte. Dafür muss es sein Politikmodell austauschen. Die Mehrheit der Russen folgt Putin deshalb, weil er verspricht, Russland zu früherer Größe zurückzuführen, indem er die Länder der ehemaligen Sowjetunion annektiert. Das für Moskau bedeutendste ist die Ukraine, aber auch das Baltikum. Diese Zielvorstellung werden etwaige Nachfolger des jetzigen Staatschefs nicht aufgeben. So etwas wie eine EU geht mit Russland so lange nicht, wie das jetzige Modell die Köpfe bestimmt, nämlich dass Moskau direkt die Politik der Staaten bestimmen muss, die mit ihm im Wirtschaftsverbund stehen. Es bleibt beim sowjetischen Modell der Satelliten. Wenn Deutschland für einige EU-Staaten schon zu groß ist, wieviel mehr gilt das für Russland in der Eurasischen Wirtschaftsunion, also für Belarus, Kasachstan, Armenien und Kirgistan.

Frieden muss in den Köpfen der Russen möglich werden

Ein wirklicher Friede hätte erst eine Chance, wenn die Russen die Vorstellung aufgeben, sie würden mehr von einer annektieren als von einer freien Ukraine profitieren. Aber genau diese Ukraine stellt das russische Regierungsmodell infrage. Denn die Russen scheinen mehrheitlich nicht daran zu glauben, ihr Land könne demokratisch regiert werden, ohne nicht im Chaos zu versinken. So waren die Erfahrungen beim Ende der Zarenherrschaft wie in den Jelzin-Jahren. Es ist überhaupt nicht erkennbar, ob es für Russland eine politische Alternative ähnlich wie für Deutschland 1945 gibt. Wenn der Forderung deutscher Intellektueller entsprochen würde, wäre der nächste Krieg bereits programmiert. Der Krieg entspringt nämlich nicht primär wirtschaftlichen Interessen, sondern schädigt diese geradezu. Es geht um Bestimmungsmacht über eine Bevölkerung, die dezidiert nicht unter dem russischen Regime leben will. Es geht nur in zweiter Linie um Waffen. Der Krieg geht um die Vorstellung in den Köpfen der Russen, ob die „Kleinrussland“ genannte Ukraine unter russischer Oberhoheit von Moskau aus regiert wird oder ein Partner Russlands werden soll. Mit der Aufnahme der Ukraine in die EU wird sich die Frage verschärfen. Europa hat das Land aufgenommen und kann es nicht mehr an Russland abgeben, so wie es deutsche Intellektuelle faktisch fordern, wenn sie von der Ukraine, weniger von Russland, einen sofortigen Waffenstillstand fordern. 

Russland zerteilen oder die Russen doch nicht demütigen

Wenn Moskau einen Teil der Ukraine bekommt, warum soll es das nächste Mal nicht doch Kyjiv mit einer von Moskau eingesetzten Regierung sein. Daraus folgen diese Alternativen, die auch einmal für Deutschland erwogen wurden: Zerschlagung der großen Föderation, so wie Deutschland nach den napoleonischen Kriegen in eine Vielzahl souveräner Fürsten-Staaten zerfallen war. Oder Russland bekommt einen respektablen Platz in Europa, der auch von der Ukraine und den anderen ehemaligen Sowjetrepubliken gewollt ist. Dann darf es keine Demütigung Russlands geben, so wie es z.B. die Besetzung des Ruhrgebietes 1923-25 war, als Deutschland die Reparationszahlungen nicht leisten konnte. Einfacher hätte man den Gedanken der Revanche nicht wie einen Luftballon wieder aufblasen können.

Eine Strategie für die nächsten 30 Jahre


Es gibt also vorerst keine Basis für einen dauerhaften Frieden. Die 100 Milliarden für Modernisierung der Bundeswehr bringen nicht die Umstellung im Geist, die erst zu einer Friedensordnung führt. Die hat als Mindestvoraussetzung die Unverletzlichkeit der Grenzen. Russland würde sehr viel mehr profitieren, wenn es den Ausgleich mit der Ukraine suchen würde anstatt das Land zu unterwerfen. Damit würde man, wenn Europa jetzt Russland signalisieren würde, dass eine neue Ordnung entworfen wird und Russland, anders als bei der Erweiterung der Nato, einbezogen würde, zumindest die Kräfte im Land unterstützten, die kriegsmüde sind. Diese brauchen eine Perspektive für die Jahre nach dem Krieg, damit sie überhaupt gehört werden. Schon jetzt sollten Partnerschaften von Kommunen, Orchestern, Vereinen, die schon bestehen, aktiviert werden. Je mehr Kontakte auf der unteren Ebene, desto weniger wirksam ist die Staatspropaganda. Denn nur wenn die Russen sich als Partner auf Augenhöhe behandelt fühlen, werden sie ihre Einstellung gegenüber dem Western ändern.

Der Faktor Kirche

Eigentlich könnte die Orthodoxe Kirche der Einigungsfaktor sein, der die Regierungen an den Verhandlungstisch bringt, denn die orthodoxen Christen von Belarus, Russland und der Ukraine gehörten bis zur Jahrtausendwende zusammen. Als die Pfarrer der Gemeinden in der Ukraine, die zum Moskauer Patriarchat gehören, sich für die Annexion der Krim und des Donbass aussprachen, begann die Einheit zu zerreißen. Die völlige Identifizierung des Moskauer Patriarchen mit den Kriegszielen Russlands hat den Riss wohl auf Jahre zementiert. Im Hintergrund könnte die Angst stehen, dass mit einer Öffnung zu den westeuropäischen Kirchen der Säkularisierung die Tore geöffnet werden. Wie die Kultureinrichtungen und die Kommunen und Vereine zu zögerlich im Aufbau von Partnerschaften waren, haben auch die Kirchen Westeuropas versäumt, Beziehungen zwischen Gemeinden aufzubauen. Diese Beziehungen wären jetzt ein gewichtiger Faktor, um eine Friedensinitiative zu starten. Das gelingt nur, wenn die Initiative vom Westen ausgeht. Mehr Beschäftigung mit der Liturgie, der Spiritualität und der Theologie der Orthodoxie wäre der Beitrag der Kirchen, um einem dauerhaften Frieden den Boden zu bereiten. Und die Christen der orthodoxen Kirchen sollten wissen, dass die Christen hier für den Frieden beten.


Kategorie: Politik

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