La Carrasco, wie sie von Anhängern wie Gegnern genannt wurde, fiel am späten Nachmittag des 12. Mai diesen Jahres einem Attentat zum Opfer. Sie gehörte der regierenden Volkspartei Partido Popular (PP) an und war im Jahr 2007 durch den damaligen Regierungs- und Parteichef Aznar Präsidentin der autonomen Provinz Castilla-Leon eingesetzt worden.
Die Präsidentin - eine konfliktive Persönlichkeit
Während ihrer Regierungszeit war die Präsidentin immer wieder starker Kritik ausgesetzt, die vor allem zwei Punkten galt - ihrer autoritären Amtsführung sowie der Ämterhäufung! Kein Ziegel, so hieß es, wurde in León und Umgebung bewegt, ohne Zustimmung der Carrasco. Außerdem sagte man ihr nach, zeitweise mehr als ein Dutzend Vorstands- und Aufsichtsratsposten innegehabt zu haben.
Ämterhäufung und großzügige Auslegung der Vorschriften, wenn es um Spesen und die Benutzung von Dienstfahrzeugen ging, führten rasch zur Verdoppelung ihrer Bezüge, und das bei einer im Land herrschenden Arbeitslosigkeit von über 25 % - wobei ein Großteil der Betroffenen nicht einmal Unterstützung bezieht.
Aber nicht nur von Seiten der Medien sowie der Opposition hagelte es Kritik an der Präsidentin, auch aus den eigenen Reihen meldeten sich immer wieder kritische Stimmen, was bei ihr jedoch ohne sichtbare Wirkung zu bleiben schien...
Kompensation durch Fleiß und eiserne Disziplin
Isabel Carrasco war an die Sechzig, von untersetzter Statur und von Natur aus nicht gerade begünstigt: Ihr Gesicht, dass wie durch Blattern entstellt wirkte, wurde durch schulterlanges blondes Haar eingerahmt - vielleicht das Schönste an ihr.
Fehlende körperliche Größe und Attraktivität, in Spanien ein Muss, vor allem bei Personen des öffentlichen Lebens, versuchte sie durch Fleiß und eiserne Disziplin wettzumachen - Eigenschaften, die ihr nicht unbedingt Sympathien einbrachten.
Politiker wie die Carrasco werden durch feudale Strukturen gefördert, wie sie auch heute noch oft in der spanischen Provinz anzutreffen sind - Strukturen, die man mit dem Begriff „Kazikismus“ zu charakterisieren pflegt.
Als typisch für diese Strukturen kann man auch die Vorgeschichte der Tragödie bezeichnen, die sich vor wenigen Tagen in León abspielte und die zum gewaltsamen Ende der „Ära Carrasco“ führen sollte...
Die Vorgeschichte des Attentats
Dass in einer Stadt wie León jeder jeden kennt und eine Hand die andere wäscht, vor allem unter Parteigenossen, ist bekannt. Und wenn es sich dann noch um einen verdienten Genossen handelt wie den angesehenen Polizeioffizier Pablo Antonio Martínez (59), dessen einzige Tochter, Montserrat Triana Martínez (28), so eben ihr Studium der Telekommunikation erfolgreich abgeschlossen hat, dann setzt eine Präsidentin, bei der Einstellung der jungen Ingenieurin, schon mal alle Hebel in Bewegung - selbst wenn dafür eine entsprechende Planstelle neu geschaffen werden muss.
Nach zwei Jahren jedoch - wir schreiben das Jahr 2009 - der jähe Bruch: Der Posten, den die Tochter des Polizeichefs besetzt hat, wird erneut ausgeschrieben und, im Zuge des Verfahrens, durch einen männlichen, angeblich fähigeren Kandidaten besetzt.
Die Tochter des Polizeichefs aber ist ihren sicher geglaubten Job in der Verwaltung los und steht, da sie nicht mehr in der Lage ist, die Hypotheken für ihre gekaufte Wohnung abzutragen, im doppelten Sinne auf der Straße - wie derzeit Millionen anderer Spanier.
Und jetzt kommt die Mutter der Ingenieurin ins Spiel,
M
ontserrat González Fernández (55), eine Frau mit einer starken Fixierung auf ihre einzige Tochter, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit nicht müde wird zu erklären, sie würde alles, aber auch wirklich alles für das Glück ihres Kindes tun.
Nach mehreren Arbeitsprozessen, die nicht zur Wiedereinstellung der Ingenieurin führen, schwört die Mutter Rache an der Präsidentin Isabel Carrasco - für sie die einzig Schuldige am Unglück der Tochter.
Ein akribischer Plan und seine Ausführung
Vor circa zwei Jahren - die junge Ingenieurin ist nachwievor arbeitslos - muss es dann gewesen sein, als zwischen Mutter und Tochter der Plan geboren wird, sich blutig an der Präsidentin zu rächen! Wer als erste die Idee zum Attentat hat, sei einmal dahingestellt - die Planung aber ist Sache beider Frauen.
Hier sollte einmal die Frage erlaubt sein: Wäre es wirklich zu dieser Zuspitzung gekommen, hätte die junge Ingenieurin bereits über einen neuen Arbeitsplatz verfügt? Wohl kaum. Denn: Wie bei zahlreichen anderen Familientragödien im heutigen Spanien, spielt auch in diesem Fall die Arbeitslosigkeit eine wesentliche Rolle - was die Tat weder entschuldigen noch rechtfertigen soll.
Der Laptop der jungen Ingenieurin hat der Polizei Material geliefert, mit welcher Akribie Mutter und Tochter bei der Planung der Tat vorgegangen sind und mit welcher Sorgfalt z.B. der geeignete Waffentyp ausgewählt wurde.
Selbstverständlich durfte es keine Dienstwaffe aus dem Waffenschrank des Ehemannes, bzw. Vaters sein, das hätte die Polizei direkt auf die Spur der Täterinnen geführt. So wurde beschlossen, sich eine Waffe auf dem Schwarzen Markt zu besorgen, in diesem Fall einen Taurus-Revolver.
Beim Erwerb der Waffe ist eine junge Polizistin behilflich, enge Freundin der Tochter, die jetzt gleichfalls in Untersuchungshaft sitzt und der Mittäterschaft verdächtigt wird.
In den Monaten vor der Tat wurden die Gewohnheiten des Opfers sorgfältig studiert. Was den Täterinnen in die Hände spielte, war: Die Präsidentin hatte eine Leibwache immer strikt abgelehnt. Außerdem pflegte sie notwendige Wege in ihrer Stadt León zu Fuß und sehr oft ohne jede Begleitung zurückzulegen.
Da sie jedoch auch eine Person spontaner Entschlüsse war, ließ sich kaum je ermitteln, wann sie wo auftauchen würde. Ihre einzige feste Gewohnheit war der Gang am späten Nachmittag über eine Fußgängerbrücke, eine Pasarela, über den Río Bernesga zur Zentrale ihrer Partei am andern Ufer - ein Fußmarsch von ungefähr hundertzwanzig Schritt...
Der ideale Hinterhalt - eine Fußgängerbrücke über den Fluss
Fünfmal nahmen die beiden Frauen Anlauf, um ihr Opfer an der Brücke, die wie für einen Hinterhalt geschaffen schien, aufzulauern. Aber immer wieder kam etwas dazwischen - sei es, dass sich zu viel Personen in der Nähe aufhielten, sei es, dass sich die Präsidentin in Begleitung befand.
Am Nachmittag des 12. Mai warten Mutter und Tochter erneut auf ihr Opfer, und diesmal scheint die Gelegenheit günstig: die Präsidentin kommt allein, und die buschbestandene Uferaue am Río Bernesga wirkt menschenleer.
Gegen 17 Uhr betritt die Carrasco die Pasarela. Kurz zuvor noch hatte sie das Angebot eines Bekannten, sie auf seinem Motorroller mit zur Parteizentrale zu nehmen, abgelehnt: Komme gar nicht in Frage, soll sie gesagt habe, der Helm zerstöre nur ihre Frisur…
Die Präsidentin betritt die Brücke. In gehörigem Abstand folgen ihr Mutter und Tochter. Zur Mitte hin holen die beiden Frauen auf, die Mutter zieht den Revolver und schießt der Frau aus kurzer Distanz in den Rücken. Dann gibt sie auf die bereits am Boden liegende noch zwei Fangschüsse ab.
Fest davon überzeugt, ihr Opfer tödlich getroffen zu haben, wenden sich die beiden Attentäterinnen zur Flucht; am Ende der Pasarela beschließen sie, sich zu trennen, um Innenstadt und parkendes Fahrzeug auf getrennten Wegen zu erreichen.
Was sie nicht ahnen: Von einem pensionierten Polizisten über das Handy alarmiert, erwartet sie dort bereits die Polizei - der Mann hat den Vorfall aus der Ferne beobachtet und war der flüchtenden Mutter bis zum Wagen gefolgt...
Erinnerungen an ein anderes Attentat werden wach
Wie es zu einer ersten Spekulation hat kommen können, die beiden Täterinnen hätten sich in das Büro der linksgerichteten Zeitung „Mundo Obreo“ geflüchtet, kann heute nicht mehr geklärt werden - sie entsprang wohl der, nicht nur in Spanien, üblichen Vorstellung, Attentäter gäbe es allein auf Seiten der Linken.
Da auch Spanien sich mitten im Wahlkampf zum europäischen Parlament befindet, werden Erinnerungen wach an das Attentat auf den Atocha-Bahnhof in Madrid, als die Regierungspartei PP unter ihrem Chef Aznar aus wahltaktischen Gründen so lange, wider besseres Wissen, die Version favorisiert hatte, die ETA sei schuld, bis die Parlamentswahlen an die Sozialisten verloren gingen.
Die Mutter nimmt die alleinige Schuld auf sich
In den sofort stattfinden Verhören schweigen die beiden Frauen zuerst, dann aber nimmt die Mutter die alleinige Schuld auf sich - denn, wie hatte sie doch immer verkündet: „Ich würde alles, aber auch alles, für meine Tochter tun!“
Die Nachrufe auf das Opfer fallen verhalten aus, betont werden dabei vor allem Eigenschaften wie Disziplin, Fleiß und Loyalität - Eigenschaften, die in Spanien nicht gerade zu den Primärtugenden zählen.
In „sozialen Medien“ aber wie Facebook und Twitter explodiert geradezu ein „Shitstorm“ - nicht etwa über den Häuptern der Täterinnen, sondern über dem der Toten! In hasserfüllten Tiraden werden weitere Attentate gefordert, vor allem auf Frauen in der Politik, so dass die Polizei schließlich einschreiten und mehrere Festnahmen vornehmen muss.
Welches Bild aber hat sich uns eingebrannt? … Es ist der Anblick eines kleinen leblosen Körpers in einem blauen Plastiksack, der von Sanitätern auf eine Bahre gehoben und von der Pasarela abtransportiert wird - während im Rinnsal des Río Bernesga ratlose Polizisten vergeblich nach der Tatwaffe suchen.
León, die Hauptstadt der Provinz Castilla-Leon:
Die stadt liegt am „Camino de la Plata“, der alten Silberstraße zwischen Benavente und Oviedo, im Nordwesten der iberischen Halbinsel. Die Stadt ist eingebettet zwischen zwei Flüssen - dem Río Torio und dem Bernesga und wird im Norden durch die Bergkette der „Picos de Europa“ geschützt, während sie im Süden auf die weite kastilische Hochebene hinausblick, die Kornkammer Spaniens...
León wurde 68 n. Chr. von den Römern gegründet und in einer wechselvollen Geschichte von Westgoten und Arabern beherrscht, bis sie im 9. Jahrhundert von den Christen zurückerobert wurde. Die Stadt ist wichtige Station auf dem „Camino de Santiago“ und besitzt eine der größten gotischen Kathedralen Nordspaniens. Sie hat hundertdreißigtausend Einwohner, verfügt über eine Universität und ist Regierungssitz der autonomen Provinz Castilla-León.
Luis Miehe
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