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Ägyptens Islamisten im Visier

(explizit.net) Die uralte Ortschaft Kirdasa am Pyramidenplateau Giza gilt als Hochburg von Islamisten. Bekannt durch Textilbetriebe, sollte dort einer der letzten Armee- und Polizeieinsätze gegen Militante ablaufen; abgesehen von der Halbinsel Sinai, die mit Bergen und Ebenen als schwer beherrschbar gilt. Gesucht wurden Führer der Gruppe al-Jamaa al-Islamiyya, die Gebrüder Abud und Tariq az-Zumur sowie Azim Abd al-Majid. Angeblich hätten diese samt 140 Helfern im August eine Polizeistation überfallen und elf Polizisten ermordet. Donnerstagfrüh verhaftete nun die Polizei im Gegenschlag 51 Männer. Dabei fiel General Nabil Faraj, zehn Polizisten wurden verwundet.

Zwei Seiten bekämpfen sich in Ägypten.

(explizit.net) Die uralte Ortschaft Kirdasa am Pyramidenplateau Giza gilt als Hochburg von Islamisten. Bekannt durch Textilbetriebe, sollte dort einer der letzten Armee- und Polizeieinsätze gegen Militante ablaufen; abgesehen von der Halbinsel Sinai, die mit Bergen und Ebenen als schwer beherrschbar gilt. Gesucht wurden Führer der Gruppe al-Jamaa al-Islamiyya, die Gebrüder Abud und Tariq az-Zumur sowie Azim Abd al-Majid. Angeblich hätten diese samt 140 Helfern im August eine Polizeistation überfallen und elf Polizisten ermordet. Donnerstagfrüh verhaftete nun die Polizei im Gegenschlag 51 Männer. Dabei fiel General Nabil Faraj, zehn Polizisten wurden verwundet.

Zwei Seiten bekämpfen sich in Ägypten.

Seit der Coupvolte, nach massiven Protesten am 30. Juni, da dann die Zivilkoalition des Militärs um Verteidigungsminister Abd al-Fattah as-Sisi den Muslimbruder Muhammad Mursi als Präsident am 3. Juli absetzte, verfällt die Macht der Islamisten. Durch ihre

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blockierten sie die Verkehrsadern Kairos. Das führte zum Blutsamstag Ende Juli im dortigen Viertel

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mit über 100 Toten. Um neue

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auf den Plätzen Rabaa al-Adawiyya und an-Nahda aufzulösen, suchte das Militär vorab den Zuspruch der Straße. Als es die

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stürmte, währte die Blutwoche mit 1.000 Toten vom 14. bis 18. August.

Zwiespalt

Aktionen und Gegenaktionen waren tödlich. Beide Seiten erwarteten dies. Vizepräsident Muhammad al-Baradai trat also vorab zurück. Einen Monat später brach dieser Vater der Ägyptischen Verfassungspartei sein Schweigen und twitterte: er hoffe, dass die Jugend (der im April gebildeten Partei) im Sinn der Revolte helfe, die Nation wieder zu vereinen.

Die Nation birgt drei Gruppen: Islamisten, Nicht- und Antiislamisten. Erstere werden des Terrors gegen Andersdenkende beschuldigt. Ein Teil der Gruppe zwei, wie al-Baradai, ruft auf, sich mit Muslimbrüdern zu versöhnen, diese einzubeziehen. Der „Inklusionist“ mag nicht warten, obwohl die Genesungszeit andauert. Zum Beispiel strebt der Juraprofessor Ahmad al-Atiq ein Verfahren gegen al-Baradai an, da er laut dem Juristen der Kairiner Hulwan-Universität als Vizepräsident das „nationale Vertrauen brach“. All dies bedeutet eine tiefere Polarisierung selbst unter Liberalen, zumal Expräsident Mursi weiter einsitzt.

Analysezeit

Umgekehrt gaben Islamisten neue Töne ab. Aus dieser Gruppe eins entschuldigte sich der Muslimbruder Salah Sultan bei Ägyptern für die Fehler, die seine Gruppe im Jahr an der Macht beging. Man soll Verantwortung übernehmen und Kritik akzeptieren. Dafür, nicht auf junge Leute und Frauen gehört zu haben. Sein Artikel blieb kurz auf der Webseite der Freiheits- und Rechtspartei. Generalsekretär Mahmud Husain al-Amin dazu: das sei nicht die Ansicht seiner Gruppe. Alle machen Fehler. Das wäre nicht die Zeit für Bewertungen.

Überdies laufen neue Schritte gegen 25 führende Muslimbrüder, deren Vermögen bereits eingefroren wurden. Ein Gericht bestätigte dies gegen ihren Obersten Führer Muhammad Badia, seinen Vize Khairat ash-Shatir und den ehemaligen Obersten Führer Mahdi Akif sowie weitere leitende Mitarbeiter wie Mahmud Izzat, Saad al-Katatni, Isam al-Ariyan und Muhammad Biltaji. Sie hielten zum Protest gegen den „illegitimen Militärputsch“ an.

Kompass

Medien zufolge wurde am Dienstag Jihad al-Haddad ergriffen. Sohn eines der Führer von Muslimbrüdern, Isam al-Haddad, der seit dem 3. Juli einsitzt, beriet er die Freiheits- und Rechtspartei, die Muslimbrüder am 30. April 2011 bildeten, und hegte Sonderkontakte nach Amerika. Er, der nun ins Tura-Gefängnis kam, habe pro Mursi-

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gefordert. Am Potomac wird Kairo jetzt Islamfeindschaft nachgesagt. Es wendet sich aber kaum gegen normale Muslime, sondern gegen Islamisten: aggressive Ideologen und Militante, die gar auch als Rache Kirchen der Kopten angriffen. Wer einen Kompass sucht, trenne Muslime von Islamisten. Letztere bestehen voll auf Religion in der Politik. Sie setzten ihr Dogma der Einheit von Macht und Moschee samt Sharia durch, letztlich gegen das gesamte Volk.

Haikal

Wenige Führer der Muslimbrüder sind auf freiem Fuß. Zu ihnen zählt einer ihrer früheren Sprecher, Muhammad Ali Bishr. Er sorgte für Schlagzeilen, als er sich am Dienstag mit dem Grandseigneur Muhammad Hasanain Haikal traf, der alle Präsidenten von Abd an-Nasir über Anwar as-Sadat und Husni Mubarak journalistisch begleitet hat. Haikal, der heute 90 wird, verfasste darüber viele Bücher. Man kann ihn mit seinem 20 Jahre jüngeren US-Gegenüber Bob Woodward vergleichen. Dann folgte im Juli ein Brandanschlag auf Haikals Landsitz in Birqash, wobei wichtige historische Dokumente gefährdet wurden. Ali Bishr versicherte jüngst Haikal, dass die Muslimbrüder nicht dahinter stecken würden.

Im Mai, als die Tamarrudrevolte durch massenhafte Petitionen gegen Mursis Totalmacht aufkam, fiel Haikal durch seine Vision im kanadischen TV auf: der Countdown für den Rückzug der Muslimbrüder aus der Politik, die ihren schwindenden Einfluss durch Gewalt ersetzten, habe begonnen. Die Coupvolte schien voll nur das Weiße Haus zu überraschen.

Haikal, durch die Militärs bewundert, forderte die Muslimbrüder auf, die Revolte vom 30. Juni anzuerkennen und sich dem politischen Prozess mit künftigen Präsidialwahlen zu stellen. Laut „al-Ahram“ bat er Bishr und den ihn begleitenden Amr Darraj – Exminister Mursis – darum, nicht mehr den Begriff „Coup“ zu verwenden, um Zwiste zu vermeiden. Haikal sei bereit, seine Rolle im gesellschaftlichen Dialog mit Muslimbrüdern zu spielen. Diese erwachten eben aus ihrem Schock und versuchten jetzt, ihre Verluste zu bewerten.

Menschlichkeit

Wir sehen eine dreigespaltene Nation, die sich gegen 80 Jahre Terror und Erpressung durch Muslimbrüder zu behaupten sucht. Diese, wie andere Islamisten, müssen erkennen, dass sie mit ihrem Islamismus, was der Islam sein soll und wie er zu leben ist, nicht eine gesamte Gesellschaft mit den unpolitischen Muslimen und Andersenkenden unterwerfen können. Wenn Interimspremier Hazim al-Bablawi erklärte, der Arrest von Islamisten sei legitim, entspreche dem Gesetz und Ausnahmezustand, um deren Terror zu bekämpfen, sollte er wissen, dass alle Regierenden individuell für ihre Taten haftbar gehalten werden.

Es gibt keine Rechtfertigung, über die Stränge zu schlagen, wie die es taten, die er zu bekämpfen sucht. Für alle gilt ein unteilbares humanistisches Maß, das der Prüfstand im Alltag früher als später aufdeckt. Hoffentlich wendet sich al-Bablawi der Kernaufgabe zu: in der Krise das tägliche Brot zu sichern.

<emphasize>Wolfgang G. Schwanitz</emphasize>



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