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Advent heißt Vorausschau auf die Katastrophe

Die Erwartung im Advent ist nach vorwärts gewandt, nämlich auf das Kommen Jesu am Ende der Zeiten. Dieses Ende wird als chaotisch beschrieben. Johannes Wahl zeigt, wie die Bilder, die Jesus verwendet, in der christlichen Tradition verstanden wurden.

Jesus spricht von der Stadt Jerusalem. Sie Jerusalem kann man als Bild für unsere Seele ausdeuten: Sie wird so zerrüttet werden, dass sie Ruinen gleicht. Und wenn Jesus in seiner Herrlichkeit kommt, wird sie mit Herrlichkeit und Schönheit wieder aufgebaut werden. Die Katastrophenbilder können werden von Jesus auf das Schicksal Jerusalems hin gebraucht. In ähnlicher Weise lassen sich die Bilder auf die Seele anwenden.

Eine Katastrophe wird beschrieben

Vier wichtige Bezugspunkte verlieren ihren Halt: Sonne, Mond, Sterne, Kräfte am Himmel.
Die Sonne steht für das Licht, das unser Leben erhellt und wodurch wir erkennen. Es steht auch für die Wärme und die Geborgenheit, die wir erfahren können. Diese Sonne verfinstert sich und leuchtet uns nicht mehr. Wir können das, was uns umgibt, nicht mehr unterscheiden: Freund oder Feind, gut oder schlecht, wichtig oder unwichtig, nah oder fern, harmlos oder gefährlich. So ergeht es uns: Wir verstehen die Welt nicht mehr! Ein zuverlässiger Freund richtet sich plötzlich gegen uns. Eine sichere Arbeitsstelle wird gestrichen. Versprechen werden gebrochen, Pläne werden unscharf. Dinge, die eigentlich weit entfernt sind, scheinen dringend und nahe. Was groß ist, erscheint uns klein, und was klein ist, erscheint uns groß. Die Ordnung geht durcheinander. Das Licht der Sonne fehlt uns. Es wird Nacht. Die Folge: Es wird kalt um uns. Freundschaften zerbrechen, Liebe wird lau. Wir finden keinen Trost für unsere Not. Niemand ist da, der uns wärmt.
Der Mond steht für die alten Hilfen. Wir haben den Zeitpunkt der Sonnenfinsternis schon öfters erlebt. Es gab immer wieder Momente, wo es um uns kalt und dunkel wurde. Da waren Absagen, Enttäuschungen und Niederlagen. Damals gab es Hilfen, die uns durch diese Nächte geführt haben oder uns durch sie hindurch geholfen haben. Zwar war es auch kalt und dunkel, aber es gab noch den Mond, der in die Nacht hinein leuchtete. Doch diese Not ist anders. Diesmal gibt es niemanden, der uns hilft.
Die Sterne bezeichnen die Fixpunkte, an denen wir uns orientieren konnten. Die Vorbilder unseres Lebens verblassen. Es gab immer wieder Menschen, die uns Halt und Richtung gaben: Eltern, Großeltern, Freunde, Persönlichkeiten, historische Figuren; Menschen, die uns auf dem Weg begleitet haben. Aber es ist mehr als diese Vorbilder. Auch die Werte, die wir für groß und wichtig gehalten haben, sind nun nicht mehr da. Freiheit, Lebensträume, starke Erinnerungen können nicht mehr prägen und fielen wie Sternschnuppen vom Himmel.

Haltepunkte für unsere Existenz

Die Kräfte des Himmels bedeuten die Dinge, denen wir ausgeliefert sind und unserer Macht entzogen sind, aber uns dennoch Halt geben: angefangen von Fahrplänen im Personenverkehr bis zu dem sozialen Sicherungsnetz des Staates. Alles, was uns vorgegeben ist und uns dienen sollte, wendet sich gegen uns. Wir verpassen den Bus, wir fallen durch das Netz. Und wir haben keine Antwort: Wieso?
Die Bilder beziehen sich auf Gestirne, die wir nicht handhaben können. Sonne, Mond, Sterne und Kräfte des Himmels sind keine Dinge, die uns nahe und verfügbar sind. Worüber wir verfügen, bleibt in dieser Katastrophe unangetastet. Daher können wir auch keine Mittel aus unserer Nähe aufbringen, um uns dagegen zu wehren, um uns dagegen abzusichern.

Das erneute Erscheinen Jesu

Dann wird etwas passieren, was wir nicht richtig zu deuten wissen: Jesus kommt zu uns in Wolken. Er ist undurchsichtig, nicht verstehbar. Aber er kommt in diese Katastrophe, in diese kalte Nacht. Und er sendet seine Boten aus, uns zu sammeln. Gleich an welchem Ort wir uns befinden, wie auch immer unsere eigene Not aussehen mag: wir werden gefunden.

Der Feigenbaum

Das zweite Bild spricht von einem Feigenbaum. Drei Kennzeichen werden uns gegeben: zarte Zweige, junge Triebe und der Sommer.
Von außen können die Zweige nur schlecht unterschieden werden. Sie könnten vertrocknet, dorrig und leicht zu brechen sein oder sie könnten voll Saft und Kraft sein und weit dehnbar. Von der Berührung mit den Zweigen können wir auf ihren Zustand schließen. So wird es auch mit uns sein. Äußerlich verändern wir uns kaum. Man kann uns nicht ansehen, ob wir in der Katastrophe oder im Wohlstand sind. Wir lassen es uns auch nicht leicht ansehen.
Ein weiteres Zeichen sind die Triebe, die die kommenden Blätter andeuten. Die Zweige öffnen sich und Neues bricht langsam hervor. Das Neue ist bereits angelegt, aber noch nicht da. Bei dem Feigenbaum wissen wir, dass er Blätter hervorbringen wird. Welche Wirklichkeit uns blühen wird, wissen wir dagegen noch nicht.
Der Feigenbaum markiert daher den Wendepunkt: Die Katastrophe ist noch nicht ausgestanden. Aber der Übergang ist bereits geschehen. Er ist für das Auge unsichtbar. Aber die innere Wirklichkeit ist schon da. Sie wird noch mehr gewinnen. Der Sommer ist der kommende Zeitabschnitt. Die Zeit der Reife, die Zeit der Blüte. Die Zeit langer Tage und kurzer Nächte. Die neue Sonne nimmt auf den Sommer hin zu. Das Licht wird neu, wächst und spendet neue Wärme.
Dann ermahnt uns Jesus zum ersten Mal: Glaubt ja nicht, die Katastrophe trifft euch nicht. Ihr werdet es erleben. Ihr seid Teil der Betroffenen. Macht euch keine Illusion. Jeder Mensch verliert seine Gestirne. Das alles wird vergehen. Jesus wird recht behalten. Daher ruft er uns zur Wachsamkeit. Wir sollen uns auf diese Katastrophe vorbereiten. Nur eins ist sicher: Sie ist da, wenn wir sie nicht erwarten. Sie ist nicht planbar, nicht vorhersehbar. Sie kommt aus dem Nichts. Genauso verhält es sich mit dem Wendepunkt in der Not. Wie lange wir also in der Dunkelheit ausharren, wissen wir nicht.

Der Hausherr, die Diener und der Türhüter

Das dritte Bild spricht von einem Haus und seinen Bewohnern. Uns werden vier Elemente gegeben: der Hausherr, der Haushalt, die Diener allgemein und speziell der Türhüter.
Der Hausherr, das ist unser Herr Jesus, kommt unerwartet und plötzlich wie bereits mehrfach beschrieben wurde. Für die Zeit seiner Abwesenheit, d.h. vor der Katastrophe und während der Katastrophe, hat er seinen Dienern den Haushalt überlassen. Der Haushalt steht für uns selbst. Die Diener stehen für unsere verschiedenen Seelenregungen.
In unserem Haushalt fallen viele Tätigkeiten an. Unsere Diener müssen diese Tätigkeiten ausführen. Das sind ganz verschiedene Dienste: Einmal sind es die alltäglichen Notwendigkeiten wie Essen und Trinken, Schlafen, Hygiene. Dann sind es unsere Verpflichtungen, die wir übernommen haben. Wir sollen unsere Pflichten gut wahrnehmen, ob Frau, Kinder, Betrieb, Verein. Weiter sind es unsere Charaktereigenschaften, unsere Wünsche und Neigungen, unsere Talente und Fähigkeiten. Eigenschaften müssen geprüft und gereinigt werden. Wünsche müssen an der Wirklichkeit gemessen werden. Neigungen müssen gebändigt oder ausgerissen werden. Talente müssen entfaltet werden. Fähigkeiten müssen geübt und angewandt werden. Schließlich geht es um unsere Tugenden. Wir müssen fortschreiten in Tapferkeit, Gerechtigkeit, Besonnenheit und Weisheit, in Glaube, Hoffnung und Liebe. Die Diener entscheiden, ob sie das Haus prächtig halten und verschönern oder ob es verlottert und vermodert.
Der Türhüter steht für einen besonderen Diener. Er hat die Aufgabe, fremde Diener fernzuhalten. Es schleichen sich verschiedene Gewohnheiten und Fremdheiten in unseren Haushalt ein und bringen statt Schönheit Unordnung und Unruhe. Sie halten die anderen Diener von ihren Diensten ab. Daher ist dieser Diener besonders wichtig.
Wir könnten meinen, dass der Türhüter auch noch eine Art Frühwarnsystem bedeutet. Er meldet den anderen Dienern die Ankunft des Herrn, damit sie noch schnell ihre Dienste ausführen können. Das ist nicht möglich. Der Haushalt ist ein langsames Haus. Zu viele Diener auf einmal bringen nur Unordnung und Unruhe. Es gibt einen Rhythmus, nach dem die einzelnen tätig werden. Sind alle auf einmal an der Arbeit, behindern sie sich gegenseitig.
Es genügt uns daher nicht, auf einzelne Elemente zu vertrauen. Es reicht nicht, nur einen kleinen Teil unseres Hauses auf Vordermann zu bringen. Wenn der Herr kommt, will er das ganze Haus besichtigen. Überall will er Ordnung haben. Daher dürfen wir unsere Seele, d.h. unser Leben, nicht in einzelne Teile oder Abschnitte teilen. Viele sagen, Gott sei Privatsache, und nehmen daher verschiedene Bereiche ihres Lebens heraus, die nichts mit Gott zu tun hätten. Der Herr aber fordert alles ein. Jeder Diener ist wichtig. Denn der Herr hat jeden einzelnen Diener für seine Tätigkeit beauftragt. Alles hat seinen Sinn und sein Ziel.
Dieses letzte Bild gilt durchgehend. Die Katastrophe ändert daran nichts. Viele meinen, sie müssten ihre äußere Not auf ihre innere Dienerschaft zurückführen und daher ihren Haushalt verändern. Sie brechen mit dem äußeren und meinen, ein neues Leben anfangen zu können. Das ist ein Irrglaube. Seine Knechte und Mägde nimmt man überall mit hin. Sie sind nicht die Ursache der Unordnung, sondern deren Abhilfe. Daher sollen sie immer wachen und immer ihren Dienst tun.


Kategorie: Religion

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