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Adieu Muhammad Mursi

(explizit.net) In Ägypten wächst die Unzufriedenheit mit den Muslimbrüdern. Gegen den Präsidenten aus ihren Reihen wird demonstriert. Die Probleme sind nicht erst in letzter Zeit entstanden. “Unser Präsident Mursi” lauteten Plakate der einen, “Verdufte Versager” die der anderen Seite. So viele Menschen trieb es Sonntag in Kairo und im Nilstaat um, dass man es wohl mit den fünf Millionen vergleichen mag, die sich in den Trauerzug für Präsident Abd an-Nasir am 1. Oktober 1970 eingereiht hatten. Er wollte das Pyramidenland modernisieren und säkular den Islam aus der Politik halten. Eine gewisse Illusion. Schon der Nachfolger Anwar as-Sadat holte Muslimbrüder aus den Gefängnissen. Er bedurfte ihrer, um das Sowjetmodell abzustreifen. Er öffnete Ägypten 1974 dem Weltmarkt, was die Kluft zwischen Arm und Reich vertiefte. 1979 schloss er Frieden mit Israel. Islamisten ermordeten ihn.

(explizit.net) In Ägypten wächst die Unzufriedenheit mit den Muslimbrüdern. Gegen den Präsidenten aus ihren Reihen wird demonstriert. Die Probleme sind nicht erst in letzter Zeit entstanden. “Unser Präsident Mursi” lauteten Plakate der einen, “Verdufte Versager” die der anderen Seite. So viele Menschen trieb es Sonntag in Kairo und im Nilstaat um, dass man es wohl mit den fünf Millionen vergleichen mag, die sich in den Trauerzug für Präsident Abd an-Nasir am 1. Oktober 1970 eingereiht hatten. Er wollte das Pyramidenland modernisieren und säkular den Islam aus der Politik halten. Eine gewisse Illusion. Schon der Nachfolger Anwar as-Sadat holte Muslimbrüder aus den Gefängnissen. Er bedurfte ihrer, um das Sowjetmodell abzustreifen. Er öffnete Ägypten 1974 dem Weltmarkt, was die Kluft zwischen Arm und Reich vertiefte. 1979 schloss er Frieden mit Israel. Islamisten ermordeten ihn.

Der politsche Islam ließ sich nicht zurückdrängen

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Husni Mubarak verfolgte daher jene, die den Islam extrem politisierten. Um den Staat zu treffen, ermordeten sie Intellektuelle wie Farraj Fauda und Touristen, darunter Deutsche. Als sie damit aufhörten, veränderte der 11. September auch die Wahrnehmung dieser Gefährdung. Für Machthaber bot dies Gründe, die Opposition noch stärker niederzuhalten und Reformen zu verbauen. In diese Falle lief auch Husni Mubarak, wobei er den Bogen überspannte. Die Lotusrevolte fegt ihn 2011 hinweg. Die Islamisten erwiesen sich als stärker und setzten vor einem Jahr den Muslimbruder Muhammad Mursi als Amtsnachfolger durch.

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Dass er wenig auf die Stimmung im Lande hörte, zeigte er, indem er sich über das Gesetz gestellt und sein Grundgesetz durchgedrückt hat. Er hoffte, dass der Widerstand gegen diese Islamistenmacht bald erlahmen würde. Dabei hat er sich mächtig verrechnet. Und keine seiner eiligen Aktionen halfen, des Landes kritische Wirtschaftsmisere zu lindern. Im Gegenteil. Lange Schlangen an den Tankstellen, der Absturz der Devisenreserve und ein allgemeiner Verfall im alltäglichen Überleben folgten. Mursi fand auch das Töten von Christen nicht alarmierend. Dies sei halt so in Ägypten. Für seine antijüdischen Ausfälle entschuldigte er sich nicht. Kein Vorgänger agierte so parteiisch, also völlig islamistisch.

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Allislam

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Oppositionelle Angebote, die Verfassung besser gemeinsam zu erarbeiten und eine mehr repräsentative Regierung zu bilden, fegte er vom Tisch. Obwohl es im Land brodelte und es bei den Demonstrationen viele Tote und Verletzte gab, lenkte er nicht im Geringsten ein. Nur ein Drittel würde ihn nochmals wählen. In Europa und Amerika liess man ihn nicht nur gewähren, sondern die Zahlungen liefen weiter. Die meisten Regierenden sprachen bis vor kurzem noch vom Übergang in die Demokratie, so Barack H. Obama in Berlin. Nicht wenige Ägypter erzürnte dieses „Paktieren mit einem islamistischen Autokraten“.

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Wenig hörte Mursi auf Oppositionelle. Mitte Juni hatte er noch die Stirn, mit Adil Asad al-Khayat in Luxor einen Governeur aus der Salafistengruppe al-Jamaa al-Islamiyya zu ernennen, die vor dem Millennium durch Terror auftrat. Die Europäische Union führt sie auf ihrer Antiterrorliste. Mit ihr verknüpft ist Umar Abd ar-Rahman, der in Amerika wegen des Anschlags 1993 auf das Welthandelszentrum einsitzt. Ende 1997 tötete diese Gruppe 58 Touristen und vier Ägypter vor Luxors altägyptischen Tempeln. Nun zählt al-Khayyat zu 17 durch Mursi ernannten Gouverneuren, dabei acht aus der Muslimbruderschaft. So herrscht diese heute über 13 der 27 Gouvernorate. Sie möchte das pharaonische Erbe lieber tilgen. Eine Fatwa rät Anhängern, nicht dem Tourismus und seinen Sünden zu huldigen.

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Rote Karte

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„Es reicht“: Kifaya ist eine der Oppositionsgruppen, die durch ihre Demonstrationen am Sonntag, dem Jahrestag von Mursis Präsidentschaft, diesen zu entmachten suchten. Aber wie? Das beantwortete Mahmud Badr. Er ist einer der fünf Gründer der Bewegung „Tamarrud“. Dieses Wort für „Revolte“ stammt von einem syrischen Journal. Am Nil griffen ies die Rebellen auf. Im Webvideo „Tamarrud, eine organisierte Revolte“, erklärt es der Journalist Badr, Mitorganisator der Kifaya-Bewegung: Diese friedliche Revolte, zu der sich 50 Gründer über Facebook und Twitter einfanden, soll Stadt und Land ergreifen.

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Die Präsidalmacht möge durch die Macht des Gesetzes abgelöst werden. Ihr Ziel sei eine Petition des Vertrauensentzugs – eine Idee Hasan Shahins – und der Absetzung Mursis. Laut Artikel fünf der Verfassung sei das Volk die Quelle der Souveränität. Artikel 153 fordere Neuwahlen, auch wenn der Präsident seine Macht „aus anderen Gründen“ nicht ausüben könne. Dies sei gegeben, da 22 Millionen Ägypter in der Petition der Tamarrud-Bewegung dessen Rücktritt gefordert haben. Auffällig war diesmal am Nil eine höhere Beteiligung von Frauen, wobei nicht wenige der verschleierten Zukunft entrinnen wollen.

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Nur mit einer roten Karte bewaffnet gehe er am Sonntag zum Präsidialpalast, erläuterte Badr. Und er teile dem Präsident freundlich mit, er solle gehen. Die Menschenmengen wogten noch lange im abendlichen Kairo und in anderen Landeszentren, wobei es wohl ein Dutzend Tote und viele Verletzte gab. Schon kurz nach Mitternacht verbreitete der Direktor des Kairiner Instituts für Menschenrechtsstudien einen „Nachruf“ auf Mursi. Baha ad-Din Hasan, der Anfang 2012 eindrücklich in seinem offenen Brief Präsident Obama gebeten hatte, nicht mehr von „Ägyptens breitem Übergang in die Demokratie“ zu reden, da diese Worte Todesmunition zugunsten des Regimes bilden würden, fragte nun im Blatt Al-Ahram Weekly, wie denn die Geschichte Mursi einst behandeln werde.

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Zorniger Sommer

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Sicherlich erscheint die Antwort auf eine solche Frage verfrüht. Aber sie zeigt den Zorn vieler Schichten kurz nach dem Sommerbeginn an. So wie einst gegen Anwar as-Sadat 1981 im Herbst des Zorns, als dieser Präsident die islamistischen Geister nicht mehr zu zügeln vermochte, die er geweckt hatte, und alle Oppositionsführer hinter Gitter warf.

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Baha ad-Din Hasan nennt Mursi den ersten gewählten Islamisten als Präsident: Ob er wohl auch der letzte sein könnte? Angetreten gegen einen Loyalisten Mubaraks, bekam er nur 51 Prozent der Stimmen. Dann schaffte er es durch die Verfassung, Zivilisten vor Militärtribunale stellen zu lassen. Ägypter hätten ihre Furcht vor der Polizeigewalt am Nationalen Polizeitag überwunden, den 25. Janaur 2011, und revoltiert. Indes brauchte Mursi nur ein halbes Jahr, um exzessive Gewalt gegen Demonstranten zu richten. Selbst gegen Frauen, etwa im Januar 2013. Am Monatsende, dem 30. Januar, als ihn Kanzlerin Angela Merkel in Berlin empfing, zählte man 60 Tote. Kürzlich habe ein Ladenbesitzer an sein Kaffeehaus geschrieben, da er ein Muslim sei, wären Muslimbrüder unerwünscht.

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Der antisäkulare Mursi habe den Ägyptern vor Augen geführt, dass der Islam nur ein Teil der Gesellschaft, der islamistische Staat kein lebensfähiges Projekt mehr und der Islam nicht länger „die Lösung“ sei. Steht zu hoffen, dass die Wende zum Rechtsstaat am Nil in der postislamistischen Ära unblutig verläuft. Auch das Militär muß Mursi verabschieden.

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<emphasize>Wolfgang G. Schwanitz</emphasize>



Kommentare (1)

  1. Johannes Müller am 02.05.2017
    Toller Artikel! =)

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