Santa Maria dei Monti, Foto: T. Schultz

1943 Rom: Priester retten jüdische Kinder

In der Kuppel der Kirche haben die SS und italienischen Faschisten sie nicht gesucht. Im Winter 1943 hatten Priester dort jüdische Kinder versteckt. Tanja Schultz erinnert an diese Rettungsaktion

Zugig und dunkel war es unter dem Dach der Kirche Santa Maria dei Monti. Im engen Gang, der sich um die Apsiskalotte schmiegt, kauerten in Decken gehüllt zwanzig kleine Mädchen. Von den Gassen hallten die Stiefelschritte und schrillen Stimmen der SS bis hoch in das Versteck. Es war der Winter 1943. SS, die Wehrmacht und verbündete italienische Faschisten durchkämmten das Viertel Monti nach Juden. Der Auftrag, aus dem eben besetzten Rom mindestens 8.000 Juden zu deportieren, kam direkt von Reichsinnenminister Heinrich Himmler.


Klöster in Rom nehmen Juden auf

Die Furcht der Kinder, entdeckt zu werden, teilten sie mit den Nonnen des benachbarten Konvents Sacro Cuore, in dem sie nach der dramatischen Razzia im Ghetto am 16. Oktober 1943 - als Internatsschülerinnen oder Novizinnen getarnt - Unterschlupf fanden. Papst Pius XII. hatte nach der ersten Verhaftungswelle in Rom die Klausur der Klöster aufgehoben und heimlich zur Aufnahme von jüdischen Mitbürgern in kirchlichen Einrichtungen aufgefordert. Der Klerus riskierte Kopf und Kragen für seine Zivilcourage. So wurde wenige Monate später, am 24. März 1944, Don Pietro Pappagallo von der SS hingerichtet. Der Priester hatte Juden und Widerstandskämpfer in der Via Urbana versteckt, nur 400 Meter von der Madonnen-Kirche entfernt. Er wurde von einem italienischen Faschisten denunziert. Die Deutschen hatten damals ein hohes Kopfgeld für jeden verratenen Juden ausgeschrieben.

Kindliche Wandkritzeleien erinnern an das Versteck

Die Tarnung im Konvent war offenbar ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr sicher, da die deutschen Besatzer ahnten, dass die zahlreichen Klöster und Schwesternhäuser als Unterschlupf dienten. Deshalb brachten die Nonnen und der Pfarrer die Kinder in den Dachstuhl der Kirche. Dort gab es eine abschließbare Kammer und eben diesen Gang oberhalb der Apsis, der nur über eine klapprige Leiter zu erreichen war. Wie lange die Mädchen an dem unwirtlichen Ort ohne fließend Wasser und Heizung ausharren mussten, ob Stunden oder gar ganze Tage, ist nicht bekannt.
Dieses zweite, sichere Versteck wurde überhaupt erst durch das wieder entdeckte Graffiti bekannt. In die Wand geritzte Zeichnungen von Spielsachen, Fratzen, eine Skizze des Kirchenverstecks, jüdische Symbole und auch Texte sind lebendige Zeugnisse der jungen Insassen, der Stunden des Wartens, bis die Luft wieder rein war und sie wieder in den Konvent zurück durften. Die deutsche Besatzung in Rom dauerte 8 Monate bis zum 4. Juni 1944 an. Für diejenigen, die im Verborgenen leben musste, waren es lange Monate.
„Herberge im Schatten dieser Gewölbe“, verewigte Ada Sermoneta mit schöner Kinderschrift in den grauen Putz. Es ist noch deutlich zu lesen. Sie unterschrieb mit ihren Namen. Daneben die Zeichnung des jüdischen Brotes in Form eines geflochtenen Zopfs, der Challa. Vielleicht verbrachte die kleine Ada einen Freitagabend, dem jüdischen Ruhetag, in dem kalten Gang, hungrig und in Erinnerung an das süße, ofenfrische Brot, das an Sabbat in der Familie gereicht wird. Sie war von ihrer Familie getrennt worden, die sich anderweitig verstecken musste - vielleicht in einem der anderen 94 bekannten christlichen Einrichtungen der Stadt, die Bedrängten ihre Pforten öffneten.

Viele Juden wurden in Konventen versteckt

In den Archiven aufgespürt und durch Befragung von Überlebenden rekonstruiert hat zwischen 2001 und 2010 der ehemalige Pfarrer der Kirche, Don Federico Corrubolo. Fortgeführt und angereichert mit neuen Zeugnissen wurden die Recherchen von seinem Nachfolger Don Francesco Pesce. Die Kirche ist im Besitz der Namensliste der Geretteten, die sie jedoch aus Gründen der Privacy nicht publizieren möchte. Die Mädchen seien zwischen sechs und vierzehn Jahre alt gewesen. Don Francesco versichert, dass all diese Kinder den Holocaust überlebt hätten. Mittlerweile gibt es auch eine Gedenkplatte im Vorraum der Sakristei von S. Maria dei Monti.
„In diesem Viertel wurden schätzungsweise 100 Juden von christlichen Familien und Institutionen gerettet“, erzählt der Priester stolz. In der gesamten Stadt waren es laut der Historikerin Anna Foa sogar mindestens 4447 von den circa 12.000 im damaligen Rom lebenden Juden, die in Klöstern, Kirchen und bei Familien versteckt dem Vernichtungswahn des Nationalsozialismus entkamen. Ganz oben in der Liste der mutigen Helfer steht die Ordensgemeinschaft Unserer Lieben Frau von Sion in dem Viertel Trastevere, die 187 jüdischen Männern, Frauen und Kindern aufnahm.
Im Vergleich zu anderen von der deutschen Wehrmacht okkupierten Gebieten, ist die Zahl der Deportierten in Rom relativ gering: 2091. Davon wurde ungefähr die Hälfte von einer Sondereinheit der SS verhaftet, die extra aus Berlin abkommandiert wurde. Die andere Hälfte wurde hingegen aufgrund von Denunziationen von der italienischen Polizei oder der Wehrmacht nach dem 16. Oktober 1943 aufgegriffen. Zweifellos hat die katholische Kirche einen wichtigen Anteil an der Rettung dieser Menschen – ungeachtet der Debatte um die persönlichen Versäumnisse oder Verdienste von Papst Pius XII. während der Shoa.

Wiedergutmachung für jahrhundertelange Zwangskonversionen

Das Viertel Monti grenzt unmittelbar an die Kaiserforen im Herzen des Zentrums. In der Antike hieß das Quartier Suburra, es war die Wohnstätte des Lumpenproletariats. Enge und Armut zeichneten es noch bis in den Faschismus aus, als etwa fünfzehn jüdische Familien dort mit ihren christlichen Nachbarn friedlich zusammen lebten. Man kannte sich und half gegenseitig in der Not, einschließlich der örtliche Klerus. Das nennt man heute Inklusion.
Monti ist heute ein In-Viertel. Die Touristen, die nach dem Besuch des überfüllten Forum Romanum in seine stillen Gassen fliehen, um sich in den Gaststätten zu stärken, erfährt nichts von dieser jüngeren Vergangenheit. "Die Zeugnisse sollten erhalten bleiben, am Besten in Form eines Museums”, wünscht sich Don Francesco Pesce. Ob die materiellen Hinterlassenschaften für eine Ausstattung à la Anne-Frank-Museum reicht, ist fraglich. Außer den Graffiti erinnern nur ein paar rostige Bettgestelle und modrige Tischplatten an das Versteck der Kinder.
Dennoch gibt es einen weiteren Grund, weshalb gerade diese Episode der Rettung von Juden der Erinnerung verdient. Sie versöhnt mit der Vergangenheit des Viertels. Das Versteck liegt ausgerechnet über dem Ort, an dem bis zur Auflösung des Ghettos 1870 Juden getauft wurden, und das nicht immer aus freiem Willen. Die Konversion erfolgte oft unter starkem Druck. Dazu gehörte auch die Praxis, jüdische Kinder den Eltern wegzunehmen und in eine christliche Erziehung zu geben. Die jüdischen Bürger verabscheuten das Haus der „Katechumenen und Neophyten“, wo ihre einstigen Mitbürger im Evangelium unterwiesen wurden. Es mag als eine Art Wiedergutmachung der Geschichte gesehen werden, dass ein paar Jahrzehnte später nebenan jüdische Kinder vor dem sicheren Tod bewahrt wurden. 


Kategorie: Kirche

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Zum Seitenanfang