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100 Jahre Revolution: Russland will seine Identität bewahren

Während Deutschland auf 500 Jahre Reformation zurückblickt, setzt sich Russland mit der Revolution vor 100 Jahren auseinander. Zwei Geschichtsvereine versuchen, das Bild Russlands zu bestimmen. Soll Russland stolz auf seine Geschichte sein oder braucht es eine Auseinandersetzung mit seiner Geschichte, so dass sich der Blick nach vorne richtet.

Während Deutschland auf 500 Jahre Reformation zurückblickt, setzt sich Russland mit der Revolution vor 100 Jahren auseinander. Zwei Geschichtsvereine versuchen, das Bild Russlands zu bestimmen. Soll Russland stolz auf seine Geschichte sein oder braucht es eine Auseinandersetzung mit seiner Geschichte, so dass sich der Blick nach vorne richtet.

Die russische Geschichte erscheint lang genug, so dass sich das Land stolz mit seiner Vergangenheit beschäftigt, statt nach vorne zu blicken. So sehen diejenigen, die sich die Liberalen nennen, den Stand der Geschichtswissenschaft und der Geschichtsunterrichts. Zu diesem Schluss kommen auch die Experten der „Freien Historischen Gesellschaft“, die einen Gegenpol zur "Militärisch-Historischen Gesellschaft" bildet. Letztere wird vom Staat gesponsert und vom Kulturminister geleitetet. Es ist die Organisation, die sich als Zweck die Erziehung der Bürger im Geiste der Wertschätzung der russischen Geschichte hat. Es wäre ein guter Zweck, wenn es nicht dazu geführt hätte, statt Geschichte des Volkes und des Landes die Geschichte des Staates zu verherrlichen. Ein Blick in die Vergangenheit kann helfen, eine Vision für die Zukunft zu gewinnen. Er kann aber auch dazu dienen, den Blick nach vorne zu versperren. “Gestalten der Vergangenheit verdrängen alles andere, auch die Visionen der Zukunft. Das Land wird ideologisch, und seine Ideologie wird geschichtlich untermauert” – zu diesem Schluss kommen die Experten der Freien Historischen Gesellschaft. In diesem Jahr wird in Russland besonders viel über die Geschichte des Landes diskutiert. Aus gutem, aber leider nicht so erfreulichem Grund. Genau vor 100 Jahren haben Bolschewiken die Macht an sich gerissen und das Land in das Chaos und die Tragödie des Bürgerkriegs gestürzt. Der Bürgerkrieg ist längst vorbei, die Geschichte aber bleibt nach wie vor ein Feld an dem ein “Kalter Bürgerkrieg” ausgefochten wird. Nur dass jetzt nicht als Bürgerkrieg zwischen den Kommunisten und ihren Feinden, sondern zwischen den Liberalen und Traditionalisten. Geschichte kann jetzt in Gefahr laufen, keine Wissenschaft mehr, sondern eine Dienerin der Ideologie zu werden. In der Sowjetzeit war die ganze Geschichte eine Geschichte der progressive Menschheit gegen die Unterdrückung. Das Seltsame an der Geschichte unter dem Kommunismus war, dass die Kommunisten ein Ideal der Befreiung, das in ihrer Darstellung nach vorne blickte und sich eigentlich am Westen orientierte, in Wirklichkeit Russland zu einer Gesellschaft gemacht hat, die wie eine orientalische Despotie aussah. Marxismus war letztendlich eine westliche Ideologie. Jetzt aber werden “Freiheitskämpfer” der Vergangenheit zu den Räubern oder zu den Liberalen, die irregegangen sind.

Die Modernisierung nach westlichem Vorbild ist misslungen

Russland hat mehrmals versucht, sich nach westlichem Vorbild umzuformen. Alle diese Versuche sind aber letztendlich gescheitert, was nicht so sehr an Westen, sondern an der Art und Weise lag, wie diese nach westlicher Vorbild orientierte Modernisierung in Russland durchgeführt wurde. Unter Peter dem Großen wurden nicht nur westliche Technologie und Wissenschaft nach Russland gebracht. Die Eliten wurden auch westlich ausgebildet und sogar westlich gekleidet. Dass Land wurde zur erstklassige Militärmacht. Die Kluft jedoch zwischen den westlich gewordenen Eliten und der nach traditionellen Werten lebenden Bevölkerung wurde dadurch unüberbrückbar. Das hat letztendlich zu einem Zusammenbruch der ganzen Gesellschaft und zu einem brutalen Bürgerkrieg geführt.

Bolschewistische Oktoberrevolution

Das ganze Staatsgebäude ist nach der Februarrevolution des Jahres 1917 zusammengebrochen. In der eingetretenen Anarchie war es für kommunistische Partei, die damals in ganz Russland nicht mehr als 5.000 aktive Mitglieder zählte, leicht, die Macht zu ergreifen. Im Oktober 1917 stürzten sie die Regierung in Petersburg. Nach einigen Monaten hatte ihre kleine, aber mit eiserner Disziplin zusammengehaltene Partei fast das ganzem Land unter Kontrolle. Um sich gegen den sich allmählich formende Widerstand behaupten zu können, griffen sie zu den brutalsten Methoden. Massenerschießungen waren an der Tagesordnung. Zuerst waren Adeligen an der Reihe, dann kamen Unternehmer, dann einfach alle, die etwas gegen neue Machthaber einzuwenden hatten. Sogar Aufstände der Bauern, denen die neue Regierung alle Lebensmittel weggenommen hatte, um die Armee zu versorgen und die Aufstände der Arbeiter in einigen Städten, die jetzt wie Sklaven schuften mussten, zu beruhigen, wurden von der Roten Armee niedergeschlagen.

Wenn man die Geschichte der Revolution studiert, kann man den Eindruck gewinnen, dass es nicht Mitbürger waren, die aufeinander losgingen, sondern Leute, die sich überhaupt nicht verstanden haben. So viel Hass und Brutalität wie damals im Bürgerkrieg nach der Revolution, aber auch später bei der Kollektivierung Russlands, kennt sonst kaum aus der Geschichte. Der Hass, der sich Jahrhunderte angesammelt hatte, forderte jetzt Millionen Opfer, indem die eigenen Landsleute gefoltert und umgebracht wurden.

Die “Perestroika” unter Gorbatschow sowie die Fortsetzung der Reformen unter Jelzin in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts sind ein weitere Beispiel, wie man eine Gesellschaft, sie mit besten Absichten vorwärts zu bringen, spalten und fast an den Rand eines neuen Bürgerkrieges bringen kann. Der Hass der verarmten Bevölkerung gegen eine korrupte Regierung und die neuen Reichen war so stark, dass nur wenig fehlte, dass sich dieser Hass und die Verzweiflung in einen gewaltsamen Widerstand zu entluden.

Modernisierung Russlands nach japanischen Vorbild

Was jetzt in Russland geschieht, ist der Versuch einer integrativen Modernisierung, die schon mit großem Erfolg in Japan und in den letzten Jahren auch in China durchgeführt wurde. Man versucht, die traditionellen Werte des Landes mit dem zu verbinden, was vom Ausland zum Nutzen des Landes übernommen werden soll.

Russland hat versucht, seine eigene Geschichte zu leugnen und zu dem zu werden, was es nicht war - mit katastrophalen Folgen. Die heutige Politik, einen solchen Bürgerkrieg zwischen den verschiedenen Klassen und Gruppen in der Gesellschaft sowie auf dem Feld der Ideologie zu vermeiden, ist des Versuchs wert.

Vladimir Pachkov



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